“Ben X”: Ein Film zwischen virtueller und realer Welt

Autismus, Mobbing und Computerspiele – all diese Themen greift der
belgische Kinofilm "Ben X" auf und verzahnt sie in einer komplexen,
aber durchaus fesselnden Handlung miteinander. Was "Happy Slapping" und
"Online-Rollenspiele" miteinander zu tun haben und welche Rolle Jesus
und Ärzte dabei spielen, verrät dieses Regiedebut des belgischen
Schriftstellers Nic Balthazar.

Seit dem heutigen Donnerstag ist "Ben X" in einigen deutschen
Kinos. Dies vornweg: Der Film beruht auf wahren Begebenheiten und ist
absolut sehenswert. In 94 Minuten bekommt der Zuschauer eine große
Vielfalt an Problemen der heutigen Teenager gezeigt. "Ben X" hat
zahlreiche Filmpreise gewonnen, darunter den Hauptpreis des "Montreal
Film Festival 2007", des "Abu Dhabi Film Festival 2007" sowie den Preis
für innovatives Kino des "Palm Springs Film Festival 2008". Die Hauptperson ist der 17-jährige Ben. Er ist Autist und
hochintelligent. In der Schule wird er von den meisten Mitschülern
gemobbt, doch er kann sich nicht wehren, verschlossen und schüchtern,
wie er ist. Zu Hause verbringt er die meiste Zeit mit dem Computerspiel
"Archlord", ein Online-Rollenspiel. Darin hat sich Ben einen virtuellen
Charakter erstellt, der ihn so repräsentiert, wie er gerne sein würde.
Diese virtuelle Person kann er nach eigenen Wünschen per Mausklick
anpassen. Das würde er auch gerne in echt können. Bezug zur Realität – Gott, wo bist du?
Einzigartige an "Ben X" ist seine Umsetzung: Ständig wechseln die
Szenen zwischen der virtuellen und der realen Welt. Der Regisseur
begibt sich mit seinem Regiedebut auf bisher unbekanntes Terrain und
schafft es auf geniale Weise, Bens Charakter in "Archlord" mit dem
wirklichen Ben zu verknüpfen. Beispielsweise sieht Ben in seiner
Fantasie in zwei verhassten Mitschülern stets zwei Gegner aus dem Spiel
"Archlord". Im Film sind immer wieder fast dokumentarisch Kommentare der Eltern
und Lehrer eingebaut. So sagt Bens Mutter: "Es muss immer erst einer
sterben, damit die anderen aufwachen und etwas unternehmen." Die
gängigste Ansicht ist im Allgemeinen, Jugendliche fänden das wahre
Leben langweilig und suchten daher in der virtuellen Welt umso mehr
nach "Action". Bei Ben ist es eher so, dass für ihn das tatsächliche
Leben eine riesige Herausforderung ist. Er wird nie in Ruhe gelassen.
Um zu lernen, wie das "normale Leben" funktioniert, filmt er es mit
seiner Kamera – beispielsweise wie man sich küsst. In der virtuellen
Welt hingegen kann Ben ganz ungestört scheinbar er selbst sein und
kommt zur Ruhe. Abbild der heutigen Schulen
Der Film gibt einen tieferen Einblick in die Beweggründe
Jugendlicher, die in Online-Welten flüchten. Er schafft dabei
Verständnis, wieso für einen autistisch veranlagten Jungen wie Ben
schließlich nur noch der Selbstmord die letzte Lösung zu sein scheint.
Die Ursachen dafür beginnen oftmals bereits in der Kindheit, wie der
Film deutlich macht. Aber die Auswirkungen werden meistens erst viel
später sichtbar – oftmals zu spät. Der Regisseur von "Ben X" will wachrütteln und alarmieren. Der
Religionslehrer etwa sagt resigniert in die Kamera: "Wir haben das
getan, was wir immer tun. Nichts." Der Film zeigt ein Abbild vieler
heutiger Schulen, mit Respektlosigkeit gegenüber Lehrern und
gnadenlosem Mobbing der Schwachen, die beschämt schweigen. Die exzellenten Schauspieler schaffen es, eine authentische
Geschichte zu erzählen, und vor allem der Hauptdarsteller Greg
Timmermans stellt den autistischen Ben durch Körperhaltung, Sprache,
Mimik und Gestik beeindruckend dar. Eine ernste Thematik und eine
realistische Handlung mit mehrmals völlig überraschenden Wendungen und
einem völlig unerwarteten Ende machen diesen Film wertvoll und
unterhaltsam – und sowohl für Eltern als auch für Jugendliche
sehenswert. "Pass dich an, oder du gehörst nicht zu uns"
Die Ärzte kommen bei Ben zu unbefriedigenden Ergebnissen: "Ihr Sohn
ist anders, aber das gibt sich wieder", sagt einer. Auf seine
Mitschüler wirkt er verhaltensgestört, weil er nicht so ist wie sie.
Oftmals wird er unter Druck gesetzt, "normal" zu sein – für Ben eine
unlösbare Aufgabe. Er soll sich den anderen anpassen, darf aber nicht
er selbst sein. Im Religionsunterricht hört Ben dem Lehrer zu, was dieser über die
Kreuzigung Jesu sagt: "′Gott, wo bist du?′, fragte sogar Jesus, als er
am Kreuz hing." Am Ende der Schulstunde sagt der Religionslehrer:
"Jesus hat alles ertragen und erduldet. Was er am Kreuz getan hat, war
eigentlich Selbstmord. Aber er ist wiederauferstanden, das ist das
Entscheidende." Währenddessen ärgern die Schüler Ben und spotten über
Jesus. "Gott, wo bist du in dieser Welt? Das frage ich mich auch jeden
Tag", so der Lehrer frustriert. Auferstehung für Jesus und Ben
Die Frage nach dem Selbstmord und was für ihn nach dem "Exit" oder
dem "Game Over" im echten Leben folgt, lässt Ben nicht mehr los. Denn
seine Freundin im Online-Spiel sagt ihm, dass jedes Ende ein neuer
Anfang sei. Diese Aussage beschäftigt und fasziniert ihn bis zum Ende
des Filmes, bei dem auf die Auferstehung Jesu erneut angespielt wird.
Und in gewisser Weise erlebt auch Ben für sich eine erlösende
Auferstehung. Auf dem Weg zur Schule kommt Ben täglich an einer Kirche vorbei, wo
er jedes Mal das Kreuz anschaut, an dem Jesus hängt – vielleicht
fragend, suchend: "Gott, wo bist du?" Ohne Antworten auf wichtige
Fragen glaubt Ben zunächst, die Antwort im Computerspiel "Archlord" zu
finden. Doch seine Freundin Scarlite ermuntert ihn, nach mehr zu
suchen, und sie gibt ihm die Kraft, auch in der Realität durchzuhalten.
Der Film gehört sicher nicht zum großen Popcorn-Kino, leider, denn
eigentlich sollte ihn keiner verpassen, dem die Probleme der heutigen
medialen Gesellschaft nicht gleichgültig sind.pro-medienmagazin.de

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