Ein verurteilter Mörder. Krasses Lebenseugnis.

20 Jahre später.Torsten Hartung – ein hochgewachsener Mann mit markanten Gesichtszügen – sitzt im Wohnzimmer seiner kleinen Wohnung im thüringischen Altenburg. Mit ruhiger Stimme erzählt der 52-Jährige seine Lebensgeschichte. An vielen Stellen klingt sie wie der Stoff, aus dem Hollywood-Streifen gemacht sind. Hatte dieser Mensch das wirklich allesgetan? Die Ausstrahlung des Mannes, der mir gegenüber sitzt und die Geschichte, die er erzählt, wollen so gar nicht zusammenpassen. Als könnte er Gedanken lesen, sagt er: “Vor Ihnen sitzt ein verurteilter Mörder. Und glauben Sie mir: Ich habe in meinem ganzen Leben keinen bösartigeren Menschen kennengelernt als mich selbst!” In diesem Moment bekomme ich eine Ahnung von der kriminellen Energie, die Torsten Hartung einst getrieben haben mag. Die Gründe dafür reichen zurück bis in Hartungs Kindheit.
Eine schlimme Kindheit In seinem Elternhaus im mecklenburgischen Schwerin war Gewalt an der Tagesordnung. Es verging fast kein Tag, an dem er und seine drei Geschwister nicht zwischen die Fronten der streitenden Eltern gerieten oder dass sie wegen Lappalien bestraft wurden. So etwa, als Torsten sieben Jahren eines Tages von der Schule nach Hause kam und der Mutter traurig den abgerissenen Riemen seiner Brottasche zeigte. Anstatt den Sohn zu trösten und den Riemen wieder anzunähen, schlug sie ihn, bis er blutete.
Die Mutter täuschte einen Selbstmord vor Aber noch schlimmer als die körperlichen Schmerzen waren die seelischen, wenn sie ihm Sätze an den Kopf warf wie “Wir haben dich nie gewollt” oder “Du bist an allem schuld”. An diesem Tag drohte die Mutter damit, sich das Leben zu nehmen. Als sie sich auf dem Dachboden bereits die Wäscheleine um den Hals gelegt hatte und ihr kleiner Sohn mit einem Küchenmesser nach oben gestürmt kam, um die Leine zu durchtrennen und so seiner Mutter das Leben zu retten, fuhr sie ihn nur an: “Hör auf! Die Wäscheleine gehört dem Nachbarn Müller.” In diesem Moment wurde dem Jungen nicht klar, dass sie sich gar nicht umbringen, sondern ihm lediglich Angst und ein schlechtes Gewissen machen wollte. “An diesem Tag starb mein Urvertrauen und der Hass begann zu wachsen”, erinnert sich Hartung.
Entwicklung zum Schläger War er in der Grundschule lange Zeit der Klassenclown gewesen, um zumindest auf diese Weise etwas Aufmerksamkeit zu bekommen, so entwickelte er sich nun zunehmend zum Schläger, je mehr Gewalt er zu Hause erlebte. “Die besten Kämpfer sind die, die das Leben hassen”, sagte er. Seinem jeweiligen Gegenüber gab er das stets zu verstehen: “Wenn du gewinnen willst, musst du mich totschlagen”, schleuderte er ihnen entgegen. “Diese Entschlossenheit machte den Leuten Angst.” Mit 18 Jahren wurde Torsten Hartung das erste mal zu einer Haftstrafe verurteilt, damals noch zu zehn Monaten wegen Diebstahls. Beim zweiten mal waren es schon ein Jahr und zehn Monate wegen Körperverletzung, beim dritten Mal fast drei Jahre.
Er täuschte einen Fluchtversuch vor 1983 schien es für kurze Zeit so, als würde sein Leben eine Wendung zum Guten nehmen. Er lernte eine junge Frau kennen, die viel Geduld und Verständnis für ihn aufbrachte. Mit ihr zog er nach Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), machte dort eine Lehre zum Dachdecker. Er verdiente nicht schlecht. “Doch was sollte ich mit dem Geld machen? Wir durften ja nicht raus”, erzählt er. Als dann auch noch eine beantragte Urlaubsreise ins sozialistische Bruderland Bulgarien abgelehnt wird, will Torsten nicht länger in der DDR leben. An der sächsisch-bayerischen Grenze täuschte er einen Fluchtversuch vor und ließ sich bewusst dabei erwischen. Sein Plan: Nach einigen Jahren Haft wegen versuchter Republikflucht würde ihn der Westen freikaufen. Und so kam es. Hartung wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die er in Cottbus verbrachte. Anschließend schob ihn die DDR nach West-Berlin ab.
Die Seele verkauft “Zwar lebte ich nun ich Freiheit. Aber meine Geschichte hatte ich ja mitgenommen”, erzählt er. Immer häufiger stritt er sich mit seiner Freundin, der er – nachdem er von der Bundesregierung in Bonn freigekauft worden war – zur Flucht in den Westen verholfen hatte. Als sie sich schließlich von ihm trennte, brach für Hartung eine Welt zusammen. So saß er eines Abends Ende 1990 allein in seiner Berliner Wohnung. “Ich sah überhaupt keinen Sinn mehr in meinem Leben.” Da kam ihm plötzlich Goethes Faust und sein Pakt in Mephisto in den Sinn. Und obwohl er zu dieser Zeit weder an GOTT noch an den Teufel glaubte, sprach er in diese unsichtbare Wirklichkeit hinein: “Du kannst meine Seele haben, ich brauche sie nicht mehr. Aber im Gegenzug möchte ich eineinhalb Jahre leben wie ein König in dieser Welt.”
Der Pate von Riga Wenige Wochen darauf war Hartung gerade mit einem Freund bei einem russischen Künstler, als zwei zwielichtige Gestalten den Raum betraten – Igor, auch genannt “der Pate von Riga”, und sein Leibwächter Iwan, wie sich herausstellte. Fast nebenbei fragten sie, wer ihnen deutsche Luxusautos besorgen könne. Hartung sagte zu. Zwei Bekannte von ihm studierten an einer Fernuniversität Feinmechanik. Und zwar nur aus einem Grund: Um die Schießmechanismen von Oberklassewagen der marken Mercedes und BMW zu überwinden. “20 Sekunden brauchten sie durchschnittlich, um einen Wagen zu knacken”, erzählt Hartung. Er selbst kümmert sich um die ganze Logistik, besorgte gefälschte Zulassungs- und Versicherungspapiere und brachte die Fahrzeuge an ihren Bestimmungsort. Auf diese Weise verdiente er schon bald bis zu 90.000 US-Dollar pro Woche, umgerechnet also 150.000 D-Mark. Es schien, als sollte sich sein in die Dunkelheit gesprochener Wunsch erfüllen. Schon bald lieferte er nur gestohlene deutsche Luxuskarossen nicht mehr nur nach Russland, sondern in den gesamten Ostblock sowie in die arabische Welt.
Ein Meister der Täuschung Dabei gingen er und seine Komplizen, von denen er einige noch aus Zeiten der politischen Haft in der DDR kannte, so strukturiert und geschickt vor, dass ihnen lange niemand auf die Schliche kam. Meistens waren es dunkle Autos, die von den Auftraggebern bestellt wurden. Da Hartung kontakte zu Polizei und Zulassungsstellen hatte, die er bestach, tarnte er die Autos einfach als zivile Polizei- oder als Regierungsfahrzeuge. “Sie bekamen entsprechende Nummernschilder und wir setzten uns Blaulicht aufs Dach”, erzählte er. “Damit wurden wir meist nicht einmal an den Grenzen gestoppt. Wer wollte schon eine vermeintlich deutsche Regierungsdelegation anhalten?” Torsten Hartung genoss es, einen falschen Schein zu erwecken, und er perfektionierte sein Auftreten immer mehr. “Mit visueller Täuschung kann man fast alles erreichen”, sagte er. “Die Menschen beurteilen dich zunächst danach wie du auftrittst!” Als er und einige seiner Mitstreiter beispielsweise 1991 vor dem Hotel “Stadt Sofia” – dem damals vornehmsten Hotel in der bulgarischen Hauptstadt – mit mehreren schwarzen Limousinen hielten und für eine Nacht abstiegen, gab Hartung vor von Interpol zu sein. Im Hotel und bei der Polizei fühlte man sich geschmeichelt, dass solch wichtigen Leute hier halt machten. Hotel-Pagen parkten die gestohlenen Fahrzeuge, und führende Polizeivertreter luden die Hochstapler abends sogar ins Konzert ein. Im Hotel wurde man selbst dann nicht stutzig, als die Gruppe die Rechnung am nächsten Morgen bar und mit Dollar-Noten bezahlte.
15,8 Millionen DM Schaden in 18 Monaten Insgesamt 120 Luxusautos stahlen und verkauften Hartung und seine “54 Räuber” in knapp eineinhalb Jahren. Die Höhe des Versicherungsschadens belief sich auf 15,8 Millionen DM. Torsten Hartung hatte so viel Geld verdient, dass er kaum wusste, wohin damit. Nachdem er Dieter in dem Waldstück bei Riga “ausgeschaltet” hatte, war er auch im “Unternehmen” und bei den Kunden wieder die unangefochtene Autorität. Trotzdem spürte er eine große innere Leere. Kurz bevor Hartungs Autoschiebering ziemlich genau 18 Monate nach jener Nacht aufflog, in der er seine Seele verkaufte, besuchte er während eine Urlaubs auf Mallorca eine kleine Kirche. Darin stand eine Wand, an die Besucher Gebetsanliegen heften konnten. Hartung schrieb auf einen Zettel: “Ich wünsche mir ein Leben in Glück!”
Ich war vor allem Täter Als er im Oktober 1992 gerade eine neue Transportroute auskundschaften wollte, wurde Hartung in Stockholm von Interpool verhaftet. Als Kopf der inzwischen europaweit gesuchten Bande kam er sofort in Einzelhaft – zunächst in Schweden, dann in Deutschland. Insgesamt vier Jahre, neun Monate und zwei Tage sah er keinen anderen Menschen als den Gefängniswärter, der jeweils die Tür auf und zu schloss. Er begann ein Fernstudium in Psychologie. “Ich wollte mich selbst verstehen.” Hartung erkannte dass die Ursachen für sein Gewalt- und Aggressionspotenzial in seiner Kindheit lagen. Ihm wurde aber auch deutlich, wie vielen Menschen er selbst Unrecht getan hatte. “Ich war ja nicht nur Opfer, sondern vor allem Täter. Doch wohin ich mit meiner Schuld sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht.” Die einzige Möglichkeit seine Gedanken loszuwerden, war ein Tagebuch.
Wenn es Gott gibt… Ostern 1998 wurde im Gefängnis in Berlin-Moabit ein JESUS-Film gezeigt. Hartung – der inzwischen nicht mehr in Einzelhaft war – schaute ihn sich an. Anschließend notierte er in sein Tagebuch: “JESUS, Du hattest Deine Auferstehung. Gib auch mir eine zweite Chance! Schenk mir ein neues Leben!” Einige Wochen später lag er auf seinem Gefängnisbett und sah, wie sich das weiße Laken, das er wegen der Hitze vors Fenster gespannt hatte, aufgrund eines Luftzugs ans Fensterkreuz legte. Beim Anblick dieses Kreuzes kam ihm wieder JESUS in den Sinn und er begann in den Raum zu sprechen: “Wenn es dich gibt, schenk mir ein neues Leben! Schau nur, was ich getan habe. Ich habe mich über dich gestellt, indem ich über Leben und Tod entschieden habe. So will ich nicht länger leben.” ohne es zu wollen, fing er an zu weinen. “ In diesem Moment hörte ich eine Stimme, die ganz liebevoll und barmherzig sagte: ‘Ich weiß’” erinnert sich Hartung. Für ihn war dieser Moment eine Art Damaskuserlebnis: “Da wusste ich, dass es Gott wirklich gibt.”
Katholische Bibelstunden Als Hartung am nächsten Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen aus seiner Zelle trat, hielten ihn viele seiner Mithäftlinge für durchgedreht. Beim Freigang auf dem Hof pflückte er ein Gänseblümchen und bewunderte dessen Farbe und Struktur. “Erstmals überhaupt nahm ich die gesamte Schönheit der Schöpfung wahr, weil GOTT mir den Schleier der Sünde von den Augen genommen hatte.” Hartung begann die Bibel zu lesen und besorgte sich andere christliche Literatur. Im Gefängnis gab es zwei Bibelgruppen – eine evangelische und eine katholische. Hartung besuchte beide. “Allerdings wurde ich in der evangelischen schräg angesehen, als ich mit der Heiligen Schrift unterm Arm ankam. Was ich denn damit wolle”, erinnert sich Hartung. “Dort waren Kaffeetrinken und Kuchenessen wichtiger als das gemeinsame Bibelstudium.” Fortan ging er nur noch zu katholischen Bibelstunden und Gottesdiensten.
Taufe in der Gefängniskapelle Am 20 Juni 2000 ließ er sich in der Kapelle der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel taufen. Erst später wurde ihm bewusst, dass das auf den tag acht Jahre nach dem Mord an Dieter war: “Für mein Leben ist der 20. Juni ein symbolisches Datum. Es zeigt, wie böse der Mensch von sich aus ist, wie GOTT aber selbst aus dem Schlechtesten Gutes erwachsen lassen kann.”
2006 wurde Hartung nach knapp 15 Jahren Haft entlassen. Heute lebt er mit seiner aus Südkorea stammenden Frau Claudia in der Stadt Altenburg (südlich von Leipzig) in Thüringen. Arbeit hat er nicht: “Mit insgesamt 20 Jahren Gefängnis im Lebenslauf stellt niemand an.” Sehnsucht nach seinem alten Leben hat er trotzdem nicht: “Geld macht nicht glücklich, eine persönliche Beziehung zu unserem Schöpfer und Erlöser schon.” Und genau das möchte Hartung auch straffälligen Jugendlichen vermitteln, die er ehrenamtlich betreut. Mittelfristig möchten Torsten und Claudia Hartung ein Haus aufbauen, in dem sie solche junge Menschen auf dem Weg in den Alltag nach der Haft begleiten. Schließlich ist Torsten Hartung ein lebendiges Beispiel dafür, dass es die sprichwörtliche Wandlung vom Saulus zum Paulus wirklich gibt.
Autor unbekannt

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