Biblische Archäologie: Was die Siedlungsspuren aus Tell el-Daba erzählen

Vor dem Hintergrund eines revidierten chronologischen Modells für Ägypten, ergibt sich in der Region „Goschen“ in Nordost-Ägypten ein äußerst stimmiges Bild zwischen dem archäologischen Befund und dem biblischen Bericht über den Aufenthalt der Israeliten im Land der Pharaonen.

Auf Tell el-Daba geht es geschäftig zu. Ein österreichisches Team, geleitet von der Ägyptologin Irene Forstner-Müller, betreibt hier seit Jahren erfolgreich Ausgrabungsarbeiten. Hier, das ist die Region im nordöstlichen Nildelta Ägyptens und gleichzeitig eine der bedeutendsten Ausgrabungsstätten des Landes. Auch manche Bibelleser haben Interesse an der dort betriebenen Forschung, wird die Region um Tell el-Daba doch mit dem Land Goschen gleichgesetzt, in dem sich die Familie Josefs ansiedelte.

In der Ausgrabungsschicht H auf dem sogenannten Areal F/I fand man vor mehr als zwanzig Jahren die Reste einer Siedlung. Forstner-Müllers Vorgänger, Manfred Bietak, erklärt: „Eselbestattungen in Verbindung mit Grabmälern und der Typ der Häuser erweisen … die Bewohner der Siedlung als Kanaanäer, jedoch stark ägyptisiert.“ Ihren Anfang hatte die Siedlung während oder kurz nach der Regentschaft des Pharaos Amenemhet III. Vor dem Hintergrund einer aktuell diskutierten Revision der ägyptischen Chronologie, lässt sich diese Siedlung zeitlich mit der biblischen Josefserzählung in Verbindung bringen. Die von Wissenschaftlern um Uwe Zerbst und Peter van der Veen vorgeschlagene Revision der ägyptischen Chronologie versetzt die Regentschaft Amenemhet III. in die Zeitspanne von 1679 bis 1633 v.Chr., was den beiden zufolge auch die Zeit ist, in der Josef sein hohes Amt in Ägypten antrat (um 1670 v.Chr.) und seine Familie ins Land Goschen siedelte (1661 v.Chr.).

Die Bibel gibt noch weitere Informationen, die sich im archäologischen Siedlungsbild widerspiegeln. So hatte der Pharao offenbar Interesse daran, fähige Ausländer in seinen Dienst zu stellen und weist Josef im Bezug auf dessen Familie an „wenn du erkennst, dass tüchtige Männer unter ihnen sind, setze sie als Oberhirten ein über das, was ich habe!“ (1.Mose 47,6). Siegelfunde aus Tell el-Daba belegen, dass die Bewohner im Dienst der ägyptischen Verwaltung standen. Weiter legt der Bericht in 1.Mose 46,28-34 nahe, dass Josefs Verwandte ansonsten von den Ägyptern weitgehend in Ruhe gelassen wurden. Archäologisch gibt es sogar Hinweise auf eine lokale Selbstverwaltung der Kanaanäer. In der frühen 13. Dynastie (revidiert ca. 1600 v.Chr.) wurde ein nordsyrisches Mittelsaalhaus durch einen Palast ersetzt, „der als administratives Zentrum gedient haben muss“, wie van der Veen und Zerbst in ihrer Ausarbeitung “Volk ohne Ahnen?” ausführen. Vorderasiatische Begräbnisrituale in der Grabanlage des Palastes weisen darauf hin, dass hier Kanaanäer und nicht Ägypter die Verwaltung übernahmen. Der Bibel zufolge war diese Zeit der Freiheit jedoch vorbei, als ein neuer König an die Macht kam, „der nichts von Josef wusste“ (2. Mose 1,8) und schon bald wurde aus einer Duldung der Israeliten eine Unterdrückung. Van der Veen und Zerbst schreiben mit Blick auf diese Bibelstelle: „Die archäologisch dokumentierten Vorgänge in Tell el-Daba während der zweiten Hälfte der 13. Dynastie [ca. 1550 v.Chr.] sind wie eine Illustration des Umbruchs, der sich zu dieser Zeit für die angesiedelten Israeliten ereignete.“ Ab einem gewissen Punkt wurde „der Eigenverwaltung der ausländischen Würdenträger vor Ort … offensichtlich ein Ende gesetzt.“ Dieser Umbruch ist für weite Teile Ägyptens durch Inschriften bezeugt und wird allgemein der Herrschaftspolitik des Pharao Sobekhotep III. aus der 13. Dynastie zugeschrieben.

Auch die Ergebnisse von Robert Schiestl vom Deutschen Archäologischen Institut untermauern den biblischen Bericht. Schiestl führte Untersuchungen an einer überlebensgroßen Statue durch, die in einer Grabanlage des vorher erwähnten Palasts entdeckt wurde. Sie stammt aus der 12. Dynastie – revidiert ist das die Zeit Josefs – und stellt einen hohen vorderasiatischen Würdenträger dar. Darüber hinaus weist sie Spuren von mutwilliger Zerstörung auf, die Schiestl auf die zweite Hälfte der 13. Dynastie ansetzt. Der Bibel nach muss dies die Zeit der beginnenden Unterdrückung der Israeliten gewesen sein und es ist gut möglich, dass man nun die Andenken an die Tatsache ausradieren wollte, dass die Kanaanäer einst im Staatsdienst tätig waren. Eine Minderheit unter den Archäologen sieht in der Statue sogar ein Porträt des biblischen Josef, wofür es zwar den ein oder anderen Hinweis, aber keinen zwingenden Beweis gibt. Dass eine solche These trotzdem diskutiert wird, liegt vielleicht auch an der ausgezeichneten Übereinstimmung des biblischen Berichtes mit dem archäologischen Gesamtbild auf Tell el-Daba.

 

Quelle:

Volk ohne Ahnen? Auf den Spuren der Erzväter und des frühen Israel, SCM-Verlag, 2013

Titelbild: © reginakaempfer – Fotolia.com

Dieser Beitrag ist im Factum-Magazin 8/13 erschienen.

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