Radsport Das umfassende Geständnis
„Für mich war das kein Doping, sondern eine Anpassung an das System.“ Auszüge aus dem Spiegel-Interview mit dem geständigen Doping-Radprofi Jörg Jaksche.
Am kommenden Samstag beginnt die Tour de France, das wichtigste Radrennen der Welt. Wie auch schon im vergangenen Jahr wird die Tour auch diesmal wieder von Doping-Skandalen überschattet.
Der jüngste Sündenfall ist der von Jörg Jaksche. Am Samstag legte der 30-jährige aktive Rennfahrer vom Team Tinkoff im Spiegel ein umfassendes Geständnis ab. Jahrelang hat er gedopt. Sein Interview gibt einen tiefen Einblick in die Machenschaften des spanischen Dopingarztes Fuentes - und generell der Radsportszene. Jaksche gibt nicht nur zu, seit 1997 systematisch gedopt zu haben, er nennt auch die Namen von Hintermännern.
Unsere Frage an Sie: Nach all den Doping-Beichten - ist die Tour de France kaputt? Werden Sie das sportliche Ereignis in Frankreich überhaupt noch verfolgen?
ZEIT online dokumentiert im folgenden Auszüge aus dem Geständnis Jaksches.
Über das System Doping
"Es ist pervers, aber das Doping-System ist gerecht, weil alle dopen. Radsport ohne Doping ist nur gerecht, wenn wirklich niemand mehr dopt. Mir hat ein Fahrer erzählt, dass es wegen der Trainingskontrollen Deals geben soll zwischen ein paar Mannschaften und dem Weltradsportverband. Da muss man annehmen, dass es kein generelles Umdenken gibt. Doping hat niemandem gefallen, aber in der Welt, in der wir leben, herrschte dafür kein Unrechtsbewusstsein."
Über Doping bei der Telekom
"Es gab eine Mannschaftssitzung im Konferenzraum des Hotels, wo sich alle Fahrer und die Teamleitung trafen. (Manager Walter) Godefroot warnte davor, Sachen (Dopingmittel, d. Red.) zu den Rennen mitzunehmen, das sei zu gefährlich geworden. Er sagte nicht, dass wir nichts mehr benutzen dürfen. Er sprach weder von Doping noch von Epo, aber für mich war klar, was er meint. Die Mannschaftsleitung wusste alles. Es war ein fest installiertes System. (...) Es ging Godefroot nicht darum auszuschließen, dass jemand dopt, sondern dass er ungeschickt dopt."
Über Kontrollen des Weltverbandes
"Die Trainingskontrollen waren nur sporadisch und eher lasch. Ich hätte nur zur Tür gehen müssen, den Namen meines Bruders angeben, und die Kontrolleure wären wieder weitergefahren."
Über Blutdoping bei Fuentes
"Fuentes war ein Meister der Tarnung. Keiner seiner Kunden wusste vom anderen. Noch nicht einmal in unserem Team war genau bekannt, ob noch mehr Fahrer bei ihm sind. (...) Fuentes holte mich (2005) in seinem klapprigen Toyota vom Flughafen ab. Wir kamen sehr zügig zur Sache und gingen das ganze Programm durch. Als Erstes sprach er von Anabolika, aber die wollte ich nicht, weil große Muskelpakete hinderlich sind in den Bergen. Dann künstliches Hämoglobin, irgendwelches Zeug aus Russland, tiefgefroren. Dann kamen wir auf Epo, aber das wollte ich nicht wegen der Trainingskontrollen. Er sagte, dass er ein Mittel habe, um Epo-Doping zu vertuschen, das hat er mir später in einer kleinen Pillendose mitgegeben, und das mixte man in den abgegebenen Urin. Fuentes hat quasi seinen ganzen Katalog aufgeblättert und mich gefragt, welches Risiko ich eingehen wolle. Mit Risiko meinte er das Risiko, erwischt zu werden, nicht das gesundheitliche Risiko. So kamen wir auf das Eigenblut-Doping.
(...) Das lief ab wie bei einer Blutspende. Ich habe mich auf eine Couch gelegt, dann wurde die Kanüle angelegt, das Blut floss raus, und nach gut einer halben Stunde war ein halber Liter abgezapft. Fuentes persönlich setzte die Nadel an. Ich habe gedacht, du musst das jetzt machen, wenn du mithalten willst.
(...) Da waren keine Quacksalber am Werk. Fuentes war so ein Arzt, der dich aufgeklärt hat. Während das Blut rauslief, hat er erzählt, wie das Blut gekühlt und aufbewahrt wird."
Über die Gefühle beim Dopen
"Der Akt der Blutzufuhr an sich ist schon eklig. Auf der anderen Seite hast du ein reines Gewissen, du sagst dir: Okay, ich muss keine Angst haben bei der Kontrolle. Es sind keine gefährlichen Substanzen in meinem Blut. Für mich war das kein Doping. Für mich war das eine Anpassung an das System."
Über deutsche Doping-Dependancen
"Der (Fuentes) hatte überall seine Mitarbeiter. 2005 führte die Tour durch Deutschland. Also bin ich im Frühsommer nach Bad Sachsa gefahren. Dort hat mir Dr. Choina einen halben Liter Blut abgenommen. Zum verabredeten Termin kam Choina dann nach Karlsruhe und hat es mir für den Rest der Tour zurückgegeben. Es dauerte zwei Tage, bis sich das zurückgeführte Blut verstoffwechselt hat. Aber dann fühlt man sich einfach besser. Das wirkt wie eine Verjüngungskur."
Lesen Sie hier mehr aus dem Ressort Sport.
- Datum 10.7.2008 - 09:57 Uhr
- Quelle ZEIT online
- Kommentare 3
- Empfehlen E-Mail verschicken | Facebook, Twitter…
- Artikel Drucken Druckversion | PDF
-
Artikel-Tools präsentiert von:
...spricht einer der Profifahrer aus, was seine Profi-Kollegen nur zwischen den Zeilen zugegeben haben und die Öffentlichkeit sich sowieso schon dachte.
Auch wenn ich Doping nicht gutheiße, so bin ich doch in gewisser Weise erleichtert, denn an einen dopingfreien Profi-Radsport glaube ich schon lange nicht mehr. Spätestens seit dem Gezerre um Lance Armstrongs Tour de France Siege hat bei vielen radsportbegeisterten Zuschauern wie mir und Amateursportlern sich der Zweifel in den Blick gemischt.
Bewunderswert ist die Leistung der Radsportler für mich allemal - ob gedopt oder nicht: wer einmal am Fuße des Mont Ventoux mit seinem Rad gestanden hat oder sich vorgenommen hat Alpe d'Huez auch nur ansatzweise zu bezwingen, der kann sich vorstellen, dass man die gesamte Tour de France nur schwer ohne "Mittelchen" übersteht. Ich jedenfalls würde das eine oder andere höchstens zu Fuß machen. Und sollte man mich dazu "nötigen", es mit dem Fahhrad zu versuchen wäre ich um die eine oder andere "Happy Pill" vielleicht auch dankbar, denn ich finde die beiden Etappen schon vom Zuschauen einfach furchterregend.
Was mich allerdings viel mehr ärgert, ist die Scheinheiligkeit der Rennställe und deren Management insgesamt, die von alledem immer nichts gewußt haben wollen. Dass ein "Arbeitgeber" nicht weiß, was seine Angestellten in Ausübung des ihnen übertragenen Jobs tun, ist so oder so eine Blamage.
Da das, was man Doping nennt, nicht nur nicht kontrollierbar ist, sondern auch der Aufwand einer eventuellen lückenlosen Kontrolle auch in keinem Verhältnis zum Ertrag steht, sollte man alle gängigen Doping-Regeln abschaffen. Sollen sich doch Sportler offensiv zu ihren "Massnahmen" bekennen. Das Desinteresse des Publikums wird mittelfristig die Folge sein. Der Aspekt, sich vor anderen einen Vorteil zu verschaffen, der nicht erlaubt ist, entfällt - wenn alles erlaubt ist, wird es beliebig - und auch langweilig.
Ich erinnere an Helmut Schmidt neulich bei "Maischberger": Es wurde niemals soviel Alkohol in den USA konsumiert als zu Zeiten der Prohibition. Ähnlich dürfte der Sachverhalt beim Doping mit seinen teilweise absurden Regeln sein.
Und sollte sich tatsächlich herausstellen, dass nahezu alle gängigen Profiteams im Radsport gedopt waren, dann ist das Paradoxon eingetreten, dass die "Chancengleichheit" wieder hergestellt wurde.
Seit dem phänomenalen Sieg von Greg Lemonds über Laurent Fignion auf der letzten Etappe 1989 (um 8 Sekunden !!!) war ich Tour de France Fan. Fast jedes Jahr hat es mich nach Alpe d'Huez & Co getrieben, um den Kampf zu beobachten.
Seit 2006 sehe ich keinen Radsport mehr, ich steige nur noch auf mein eigenes Rennrad. Das gedopt wird wußte man ja schon immer irgendwie, aber wirklich in dem Ausmaß ? Und dann dieser super-arrogante Bjarne Riis vor den Kameras. Und unsere deutschen Helden nicht wirklich besser. Nein, ohne mich.
Der Rad_RENN_sport wird in Deutschland sterben bzw. für länger in der Versenkung verschwinden. Keine verantwortungsbewußten Eltern werden ihre Kinder in diesen Sport schicken. Ohne Nachwuchs, keine Zukunft. Und wenn unsere nicht-gedopten rosa T-Mobile-Radler hinterherfahren, wird sich eh keiner mehr dafür interessieren.
Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren