Die Heilige Schrift unterscheidet sich von jedem anderen Buch der Weltgeschichte grundlegend.

Was ist auf diesem Bild zu sehen? Über einer Geraden spannen sich unzählige verschiedenfarbige Halbkreisbögen. Manche Radien spannen sich von einem Ende des Bildes zum anderen, andere sind klein oder sogar winzig. Es ist ein schöner Anblick. Ein modernes Kunstwerk? Eine Illustrierung physikalischer Zusammenhänge? Das Bild ist eine Einladung, zu lesen.

© Chris HarrisonThomas Lachenmaier26. August 2020

Dieses Bild ist eine grafische Darstellung von Querverweisen zwischen Versen in der Bibel. Jeder der 63 779 Querverweise in der Bibel ist durch einen einzelnen Bogen dargestellt – die Farbe entspricht dem Abstand zwischen den beiden Versen, wodurch ein regenbogenähnlicher Effekt entsteht. Unterhalb der Linie, auf der sich die Bogendiagramme spannen, finden sich Balkendiagramme unterschiedlicher Länge, abwechselnd in Weiss und Hellgrau. Sie stellen die einzelnen Kapitel der Bibel dar, beginnend bei Mose und mit der Offenbarung des Johannes endend. Die vertikale Länge entspricht der Zahl der Verse des jeweiligen Kapitels. In der Mitte ist Psalm 119 leicht auszumachen: das längste Kapitel der Bibel. Die Darstellung zeigt: Das sogenannte Alte und das sogenannte Neue Testament sind untrennbar verbunden und verwoben. Auf der bildlichen Darstellung ist die Grenze nach dem letzten Buch der Hebräischen Bibel und dem ersten Evangelium nicht direkt ersichtlich. Die Bibel, das sind 66 Bücher, aber es ist ein Wort Gottes. Unter diesem Link (https://www.chrisharrison.net/index.php/Visualizations/BibleViz) kann das Bild in hoher Auflösung angeschaut werden, man kann hineinzoomen, wodurch die Schönheit und Komplexität der Verbundenheit innerhalb der Bibel noch deutlicher wird.

Die Heilige Schrift ist ein beziehungsreiches Buch. Jesus beruft sich fortlaufend auf Verse in der Hebräischen Bibel, Stellen bei Mose, in den Psalmen oder bei Jesaja nehmen wechselseitigen Bezug auf Verse in den Evangelien, von Petrus oder in der Offenbarung – oder zu benachbarten Versen. Kein zweites Buch weist auch nur annähernd ein solches inneres, lebendiges Geflecht von Zusammenhängen auf. Die Bibel ist nicht einfach eine Aneinanderreihung von historischen Berichten, poetischen oder philosophischen Texten und Erzählungen. Ihre Ganzheit drückt sich gerade in dieser ganzheitlichen Verwobenheit, in diesem unauslotbaren Beziehungsreichtum aus. Das ist völlig ohne Beispiel. Das ist mit keinem anderen Buch auf diesem Planeten zu vergleichen.

In Zusammenarbeit mit dem Pfarrer Christoph Römhild hat der Computer-Wissenschaftler Chris Harrison einen Aspekt innerbiblischer Beziehungen visualisiert. Es ging ihm darum, die Komplexität der Daten zu würdigen und zu offenbaren. Harrison arbeitet an der «Carnegie Mellon University» in Pittsburg, Pennsylvania. Er befasst sich unter anderem mit der grafischen Darstellung von Informationen und mit maschinellem Lernen und interaktiven Technologien. Für seine  Arbeit wurde er mit Preisen und Anerkennungen ausgezeichnet, unter anderem von der Universität New York, dem «Massachusetts Institute of Technology» (MIT) und mit einem Forschungspreis, den «Intel» vergibt. Er wurde in der Top-30-Liste der Wissenschaftler unter 30 Jahren geführt. Seine grafische Darstellung ergibt eine Ahnung vom Beziehungsreichtum der Schrift, von ihrer Lebendigkeit.

Aber im Grunde wird auch diese Visualisierung der Bibel noch lange nicht gerecht. Man müsste in eine  räumliche, eine dritte Dimension gehen, um das darzustellen – die so gross ist, dass man sich darin bewegen und die Verse lesen kann. Ja, es bräuchte eine (uns unvorstellbare) vierte Dimension. Um all diese Beziehungen zu ergründen, genügte ein Menschenleben nicht. Allein alle der hier dargestellten Querverweise nachzulesen und einen angemessenen Moment lang zu bedenken: Wie viel Zeit würde dies sinnvoll ausfüllen? Sicher wäre man damit zwei Jahre gut beschäftigt – sofern man sich ausschliesslich dieser Aufgabe widmen kann.

Man mag in dieser Illustration auch einen Hinweis auf die Schönheit der Schrift sehen. In ihr liegt auch eine Zugänglichkeit, eine Einfachheit. Wie der Regenbogen, der ein sehr komplexes Naturphänomen ist, über das man viel Kluges erforschen und schreiben könnte, so ist er doch auch von einer reinen und klaren, herzerfrischenden Schönheit und Wahrheit, die sich jedem sofort erschliesst. Wie der Regenbogen ein Verweis auf das Immaterielle ist (vgl. u. a. 1. Mose 9,13–16), obwohl er zunächst ein physikalisches Phänomen ist, so ist es auch hier. Die Bibel als Buch, und auch diese Veranschaulichung in Balken- und Bogendiagrammen, ist nur der Widerschein ihrer transzendenten Wahrhaftigkeit, ihrer eigentlichen Wirklichkeit. Die Bibel wird als lebendig erfahren, indem man sich ihr ernstlich und vertrauensvoll zuwendet.

Die Heilige Schrift unterscheidet sich von jedem anderen Buch der Weltgeschichte grundlegend. Es geht, anders als bei normalen Texten, um mehr als schiere Information. Die Bibel ist wie ein lebendiger Organismus und das einzige Buch, welches tatsächlich interaktiv ist: Es interagiert mit dem Leser. Es bezieht ihn ein, verwandelt ihn, macht ihn heil, verbindet ihn mit Gott und dem Nächsten, richtet ihn aus. Sie ist eben tatsächlich und buchstäblich lebendiges Wort. Die Bibel ist lebendiges Wort Gottes. Beim Lesen der Bibel begegnet uns Gott selber.

Meldung aus factum 05/2020.

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