Religion boomt, besonders das Christentum. Leider nicht bei uns.

Religion boomt, besonders das Christentum. Nicht bei uns. Aber in unvorstellbarem Ausmaß in Asien, Afrika, Südamerika. Selbst in den Vereinigten Staaten. Während der Glaube in Europa immer mehr zum Randphänomen wird, verlagert sich der Schwerpunkt des Christentums nach Süden und Osten. Neue geistliche Bewegungen schießen wie Pilze aus dem Boden. Christliche Gemeinden werden gegründet in einer Zahl, wie sie dieser Planet noch nie gesehen hat. Ganze Regionen wenden sich dem Glauben zu. Die alte Säkularisierungsthese, dass Bildung und Wohlstand zwangsläufig zum Niedergang von Religion führen, wird heute von kaum einem Wissenschaftler vertreten. Und auch der sogenannte neue Atheismus eines Richard Dawkins ist nur eine Panikreaktion auf ein globales religiöses Erwachen.

Noch vor fünfzig Jahren war es einhellige Überzeugung an den meisten Universitäten, dass Religion eines Tages verschwunden sein wird. Bildung und Wohlstand vertragen sich nicht mit Religion. Der Sieg der Moderne ist gleichzeitig ein Sieg über jeden Glauben. 1968 schrieb der renommierte jüdisch-lutherische Religionssoziologe Peter L. Berger in der New York Times: „Im 21. Jahrhundert wird man religiöse Gläubige möglicherweise nur in kleinen Gruppen finden, wo sie eng zusammengedrängt einer weltweiten säkularen Kultur widerstehen.“ Nicht nur Peter L. Berger hat sich revidiert. An der Säkularisierungsthese kann man sehen, wie eine wissenschaftlich begründete Grundüberzeugung innerhalb kurzer Zeit zum großen Irrtum einer ganzen Zunft wird. Statt des prognostizierten Niedergangs von Religion, wenn Wissenschaft, Bildung, Industrialisierung und Urbanisierung eine Gesellschaft verändern, öffnen sich gerade Gesellschaften, die sich wirtschaftlich im Aufschwung befinden und intensive Modernisierungsprozesse durchlaufen, in einem unvorstellbaren Ausmaß für den christlichen Glauben. Ausgerechnet in gebildeten und wirtschaftlich erfolgreichen Milieus gewinnt Religion an Attraktivität. Das gilt besonders für den ostasiatischen Raum, wo heute über zehn Prozent der Bevölkerung Christen sind. Vor fünfzig Jahren waren es gerade mal 1,2 Prozent. Wer deutsche Zahlen gewohnt ist, wo immer noch die Hälfte der Menschen einer christlichen Kirche angehört, den wird das nicht beeindrucken. Christsein in Deutschland heißt, dass man formal zu einer Kirche gehört, aber zumeist mit den Glaubensinhalten nichts anzufangen weiß und auch den Glauben kaum praktiziert.

Ganz anders in den meisten Teilen der Welt. Dort bedeutet Christsein, dass man seinen Glauben kennt und bekennt, seine Bibel liest, wöchentlich einen Gottesdienst besucht und seine Gemeinde mit oft zehn Prozent seines Einkommens mitfinanziert. Das dramatischste Gemeindewachstum kann man in Afrika beobachten. Dort hat sich die Zahl der Christen in den letzten fünfzig Jahren mehr als verfünfzigfacht. Das ist weniger eine Frucht der Arbeit traditioneller Christentümer, sondern neuer geistlicher Bewegungen zumeist pentekostaler Provenienz. Zwei große Bewegungen verändern Lateinamerika: das enorme Wachstum protestantischer Kirchen, zumeist evangelikal pentekostal geprägt (ihre Mitgliederzahl dürfte bei hundert Millionen liegen). (Alexander Garth ist evangelischer Pfarrer und lebt in Wittenberg)

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