Buch: Ermordet in Kabul: Vom Leben, Glauben und Kämpfen der Simone Beck. Holzgerlinen: SCM, 2021, 222 Seiten.

Im Frühjahr 2017 erhielt ich die Einladung zu einer Trauerfeier für Simone Beck. Simone war Missionarin und brach 2003 nach Afghanistan auf, um dort als Lehrerin und Spracherkunderin zu arbeiten. Ihre Liebe zu Jesus Christus und den Menschen in dem fernen Land kostete sie das Leben. Am 20. Mai 2017 wurde sie in Kabul brutal ermordet.Schwester Heidemarie Führer, Diakonisse der Aidlinger Schwesternschaft, hat mit ihrem Buch einen berührenden und aufrüttelnden Lebensbericht vorgelegt. Sie kannte Simone nicht persönlich, hat aber akribisch Briefe, E-Mails, Fotos und sonstige Dokumente ausgewertet und sich mit Simones Familie und anderen wichtigen Kontaktpersonen eingehend ausgetauscht. Herausgekommen ist ein gut lesbarer Band über eine alleinstehende Frau, die in einem islamischen Land für die Weitergabe des Evangeliums alles gegeben hat.

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht

Schon als kleines Mädchen wollte Simone Missionarin werden. Sie glaubte an die Gute Nachricht und wollte möglichst vielen Menschen davon erzählen, dass Jesus der Retter ist. Ihr Konfirmationsspruch aus Römer 1,16 begleitete sie ihr ganzes Leben (vgl. S. 21): „Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben.“

Obwohl Simone zu den besten Schülern gehörte, ging sie nach der 10. Klasse vom Gymnasium ab. Sie ließ sich auf einer Fachschule für Sozialpädagogik als Erzieherin ausbilden (vgl. S. 22). Durch Freunde lernte sie bald das Werk Operation Mobilisation (OM) kennen und entschied sich für einen zweijährigen Einsatz auf dem Missionsschiff Doulos (vgl. S. 23–68). In einem Brief aus dem Jahre 1997 äußert sich Simone zur gedrängten und doch bereichernden Lebensgemeinschaft auf dem Schiff. Ihre Worte lassen erkennen, dass sie eine gute Beobachterin war:

„Manchmal habe ich eine gute Beziehung zu einer Freundin entwickelt, gerade bevor sie die Doulos wieder verlässt; das liegt eben in der Natur des Schiffslebens. Auch sonst ist es ein einzigartiger Platz zum Leben, fern von allem, was normalerweise das Leben ausmacht. Wertvorstellungen werden völlig verschoben, das Materielle verliert mehr und mehr an Bedeutung. An Bord werden zum Beispiel jedes Jahr etwa 200 bis 250 Paar Schuhe geflickt. Wer braucht schon neue Schuhe! Die geflickten halten noch lange. Aber vor allem ist es das intensive Zusammenleben mit so vielen Menschen auf engem Raum, wodurch ein hohes Konfliktpotenzial entsteht. Und es ermöglicht, sich und andere wirklich auf eine tiefere Weise kennenzulernen und sie so zu akzeptieren, wie sie sind. Im Grunde ist die Doulos-Gemeinschaft eine behütete Insel, abgeschirmt von den Problemen des normalen Lebens. Es ist schon etwas Besonderes, mit so vielen Christen zusammenzuleben, Gespräche über Gott und unseren Glauben ergeben sich immer wieder wie selbstverständlich: das ist für mich eine große Bereicherung.“ (S. 44)

Zeit, um Steine zu sammeln

Nach ihrem strapaziösen OM-Einsatz brauchte Simone dringend Erholung. In dem beschaulichen Dettingen fand sie den nötigen Rückzugsraum im Haus ihrer Eltern. Allerdings war der Kulturschock für die Familie herausfordernd. Simone kam mit der Stille und der Sauberkeit zunächst nicht klar. Noch immer hörte sie das „Stampfen der Schiffsmotoren“ und das „Plätschern des Wassers an der Schiffswand“ (S. 68). Langsam erholte sie sich freilich und konnte im September 1998 eine Ausbildung am Neues Leben-Seminar im Westerwald starten (heute TSR). Noch vom Schiff aus hatte sie sich dort beworben und ihren Freunden geschrieben: „Dort werde ich vier Jahre lernen, um für einen langzeitigen Dienst in der Mission ausgerüstet zu werden … Betet, dass ich mich gut einlebe und dass ich Gottes Führung in meinem Leben erkenne, Schritt für Schritt“ (S. 68).

Während des Studiums kristallisierte sich heraus, dass Simone der Umgang mit Sprachen viel Freude bereitet. Nicht nur deshalb führte sie das Studium am Martin Bucer Seminar (MBS) in Bonn weiter. Ihre Abschlussarbeit dort trug den Titel „Ein Gedicht über die Größe Gottes, eine Exegese über Jesaja 40,12–31“. Da ich Zugang zum Archiv habe, konnte ich die Abhandlung einsehen. Einige Zitate aus ihrem Fazit signalisieren mehr als eine gute theologische Auffassungsgabe. Die Aussagen, die sie macht, habe in ihrem Leben sichtbare Prägekraft entfaltet:

„Gott ist mit seiner Macht, Kraft und Größe den irdischen Machthaber unendlich überlegen. […] Gott ist nicht ohne seine Heiligkeit denkbar und er fordert auch ein heiliges Leben von denen, die zu ihm gehören. […]  Gott ist viel größer als das Universum und alles, was er geschaffen hat. […] Gott will sich in seiner Größe dem Menschen zuwenden, auch wenn er seine Hilfe hinauszögert – sei es aus pädagogischen oder anderen Gründen, für die Gott in seiner Größe und Souveränität vor dem Menschen keine Rechenschaft ablegen muss. […] Gott ist ewig und er herrscht souverän in Ewigkeit. […] Gottes wahre Größe zeigt sich daran, dass er sich klein macht und Menschen an seiner Größe und Kraft teilhaben lässt. Diese Kraft erhält der Mensch, wenn er auf Gott hofft, sein Leben auf ihn ausrichtet; gemeint ist ein aktives und gespanntes Warten auf Gottes Eingreifen in persönlicher Not und in der Not des gesamten Volkes.“ (S. 108)

Zeit, um Steine zu werfen

Ab dem 7. Kapitel beschreibt Schwester Führer die Zeit in Afghanistan. Was Simone dort geleistet hat, wird nur nachvollziehen können, wer selbst unter vergleichbaren Umständen gelebt hat. Immer wieder klingt durch, wie fordernd der Alltag gewesen ist. Wir erfahren, wie vertrackt die Trinkwasserversorgung mitunter war. Besonders während ihrer Zeit in Nordafghanistan auf 3000 Meter Höhe wurde die Kälte zu einer seelischen und körperlichen Belastung. „Die Fensterscheiben in Simones Zimmer waren meistens von innen gefroren. Sie hatte oft Frostbeulen an den Händen, da sie zudem wenig heizte, oder besser: es sowieso nicht richtig warm wurde, auch wenn der Ofen brannte“ (S. 173). Simones Alltag war streng durchgeplant. So stand sie von Frühling bis Herbst 4.30 Uhr auf, um sich mit einem Morgenlauf am Fluss fitzuhalten.

„Es ist eine Stärke des Buches, dass es die Leser mit den Entbehrungen und Kämpfen konfrontiert, die Missionare im Verborgenen auszuhalten haben.“

Nachdem sie im März 2004 ihren Sprachkurs erfolgreich beendet hatte, wurde sie zur Leiterin der Schule in Kabul berufen. „Sie arbeite mit Lehrern und Schülern intensiv an der Verbesserung der Qualität des Unterrichts“ (S. 101). Ihr eigentliches Ziel, nämlich mit einem Volk zu arbeiten, das eine ungeschriebene Sprache spricht, verlor sie dabei nicht aus den Augen. Es gibt derzeit in Afghanistan noch dreißig bis vierzig Sprachen ohne Schrift. Gern wollte sie für eine dieser Sprachen eine Grammatik, ein Alphabet und die Rechtschreibung entwickeln, um anschließend die Bibel übersetzen zu können. Dafür musste sie zunächst die Landessprache als sogenannte „Mittel-Sprache“ in ihren feinsten Nuancen beherrschen (vgl. S. 102).

Das Leben auf dem Dach der Welt

Von Oktober bis Dezember 2006 nahm Simone an einer Weiterbildung für Spracherkundung teil, um sich auf einen Einsatz in einer entlegenen Gegend vorzubereiten. Ab 2007 gehörte sie zu einem kleinen Team, das sich in Faizabad, einer Provinzhauptstadt im Norden des Landes, niederließ. Sie freute sich sehr über Daniela, die sie dafür gewinnen konnte, in dem Spracherkundungsprojekt mitzuarbeiten. Sie beschlossen, die Arbeit in einem Khiva-Dorf, dass eine Tagesreise von Faizabad entfernt lag, aufzunehmen. Am Ostersonntag 2009 trafen sie dort ein. Simone begann als erste Ausländerin die Khiva-Sprache zu erlernen. „Eine ziemlich komplexe und schwierige Sprache, die nicht mit Dari zu vergleichen war“ (S. 145).

Das Ringen um die Kontextualisierung

Schwester Führer schildert das ehrliche Ringen um den angemessenen Kontextualisierungsansatz vor Ort. Es gab und gibt sehr unterschiedliche Sichtweisen im Blick auf das christliche Zeugnis in der islamischen Welt. Einige Christen sind sehr offensiv und riskieren dabei, dass Einheimische, die sich bekehren, von ihrem Familien verstoßen werden und sie selbst das Land verlassen müssen. Andere sind sehr zurückhaltend, was das Zeugnis anbetrifft. Das erhöht die Chancen dafür, länger im Land bleiben zu dürfen, schmälert indessen die missionarische Ausstrahlungskraft. Simone arbeitete für eine christliche Organisation, um die Botschaft von Jesus weiterzugeben. Andererseits hatte sie im Land den Status als Entwicklungshelferin und war damit beauftragt, einem Stamm die Schriftsprache zu bringen. Ein Mitarbeiter des Teams befürchtete, dass das offene Zeugnis für Jesus Unfrieden in dem sowieso schon zerrissenen Land förderte. Simone und anderen Mitarbeiter wollten im persönlichen Gespräch das Evangelium mutig und zugleich freundlich bezeugen. Es war nicht einfach, diese Spannung auszuhalten. In einem Rundbrief schrieb Simone dazu: „Der Brückenschlag zwischen beiden Anliegen ist manchmal mühsam, denn mir liegt beides am Herzen: dass den Menschen praktisch geholfen wird und sie Leselernmaterial in ihrer Muttersprache erhalten, und ebenso, dass sie einmal Gottes Wort in der Sprache ihres Herzens zur Verfügung haben“ (S. 154).

Stichflammen der Anfechtung

Es ist eine Stärke des Buches, dass es die Leser mit den Entbehrungen und Kämpfen konfrontiert, die Missionare im Verborgenen auszuhalten haben. Auf Simone warteten viele Prüfungen. Zu dem Gedicht „Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper notierte sie: „Wir wünschen uns sehr, dass auch die Khiva erfahren, dass Gott sie vom Dunkel ins Licht führt, dass ihre Rettung von Gottes Angesicht herkommt! Manchmal scheint die Dunkelheit hier überwältigend“ (S. 175). Nicht nur körperliche und seelische Erschöpfung und menschliche Konflikte führten Simone an ihre Grenzen. Wiederholt klopften Selbstzweifel bei ihr an:

„Stichflammen der Anfechtung und des Zweifels züngelten aus der Tiefe ihrer Seele immer wieder herauf und wollten ihren Glauben versengen: War alles, alles umsonst? Was habe ich falsch gemacht? War ich zu ungeschickt, die wichtigen Leute zu überzeugen? War ich am falschen Ort? Wegen äußerer Umstände musste ich mein Tal verlassen. Ich habe nichts zu Ende gebracht. Habe ich mich getäuscht in der Einschätzung der Lage? Habe ich versagt? Warum hilft mir Gott nicht? Warum bin ich nicht nach meiner Geburt gestorben? Wofür habe ich so gekämpft? Ich bin ausgelaugt, zerbrochen in tausend Stücke …“ (S. 184)

Es lohnt sich, für Christus zu leben und zu sterben

Irgendwann musste Simone das Tal wegen zunehmender logistischer und behördlicher Probleme sowie Kraftlosigkeit verlassen. Ab 2015 pendelte sie zwischen Deutschland, wo sie unterrichtete, und Kabul sowie dem Khiva-Tal, hin und her. So gern hätte sie die Spracherkundung und eine Bibelübersetzung erfolgreich abgeschlossen. Sie wurde einmal gefragt: „Warum lohnt es sich, sich auch dann für Jesus einzusetzen, wenn es gefährlich oder scheinbar fruchlos ist?“ Sie antwortet: „Weil Jesus Christus alles in allem ist und weil es sich lohnt, mit ihm zu leben und mit ihm zu sterben – egal, wo“ (S. 188).

Am Abend des 20. Mai 2017 machten sich Mitarbeiterinnen in ihrem Camp Sorgen, da Simone telefonisch nicht erreichbar war. Sie beschlossen, sie in ihrer kleinen Wohnung in Kabul, die nicht weit entfernt lag, aufzusuchen. Die Eingangstür stand offen. Simone lag leblos auf dem Boden in ihrem Blut. Ihre Kollegin wurde von den Tätern verschleppt. Nachdem sie später freikam, berichtete sie, dass Simone vor ihrer Hinrichtung dreimal den Namen „Jesus!“ ausgerufen hatte (vgl. S. 196). Simone wurde 44 Jahre alt. Die entsetzliche Gewalttat ist bis heute nicht aufgeklärt.
Ich wünsche diesem wunderbaren Buch eine weite Verbreitung. Die Schilderung von Simones Leben und die eingestreuten authentischen Zitate und Zeugnisse haben die Kraft, den Glauben an Christus und die Leidenschaft für die Verkündigung seines Wortes unter allen Völkern zu fördern. VON RON KUBSCH

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