1,9 Millionen Stimmen zählen nicht: EU wischt Lebensschutzinitiative “One of Us” vom Tisch

Es war die erfolgreichste Europäische Bürgerinitiative überhaupt. Fast 1,9 Millionen Menschen haben für die Forderungen von “One of Us” (zu deutsch: “Einer von uns”) votiert und damit für eine Stärkung des Lebensschutzes in der EU.

Doch 1,9 Millionen waren offenbar zu wenig. Sie konnten die zuständigen EU-Kommissare, Máire Geoghegan-Quinn und Andris Piebalgs, nicht einmal zu einer Weiterleitung der Petitionsforderungen an das einzige demokratisch legitimierte Organ der EU, das Europaparlament, bewegen. Die Entscheidung sollte alle, die an einer lebenswerten Zukunft Europas interessiert sind, nachdenklich stimmen.

Undemokratisches Abkanzeln

Die Initiative hatte gefordert, dass die EU keine Forschungsgelder mehr für Projekte ausgibt, die zur Tötung menschlichen Lebens im Anfangsstadium führen, insbesondere für Stammzellforschung mit embryonalen Stammzellen. Die EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Wissenschaft, die Irin Máire Geoghegan-Quinn, erklärte ihre ablehnende Haltung gegenüber der Bürgerinitiative damit, dass man schon gute Gründe habe, warum sich die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament darauf geeinigt hätten, die Forschung in jenem ethisch umstrittenen Bereich fortzusetzen. Einen der Gründe nannte sie sogar konkret: “Embryonale Stammzellen sind einzigartig und bieten das Potenzial für lebensrettende Behandlungen, die bereits in klinischen Versuchen erprobt werden.”

Nun grenzt allein die Tatsache, dass die EU-Kommission eine derart breit unterstützte Bürgerinitiative ohne Diskussion abkanzelt, an einen Skandal. Erst am 10. April diesen Jahres fand die öffentliche Anhörung im Europäischen Parlament statt. Nun, keine zwei Monate später, hat die EU-Kommission kraft ihres hoheitlichen Amtes im Alleingang entschieden. Mit Demokratie hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. Eher mit dem genauen Gegenteil. Hatte die Kommission vielleicht Angst vor einer Weiterleitung an das Parlament, weil dieses seit der Wahl am 25. Mai mit seinem “Rechtsruck” auch familienpolitisch konservativer eingestellt ist als zuvor?

Überholte Argumente

Aber nicht nur das. Auch die Argumente der Kommissarin sind schlecht, weil überholt. Dazu muss man wissen, warum embryonale Stammzellen so interessant für die Medizin sind. Es handelt sich dabei um Zellen, die nur in frühen Entwicklungsstadien eines Embryos auftreten. Sie sind totipotent, können also noch zu jedem Zelltyp werden. Man erhofft sich durch Gewinnung solcher Stammzellen aus eigens dafür – durch künstliche Befruchtung oder Klonierung – erzeugten Embryonen, bislang unheilbare Krankheiten zu besiegen. Denn die embryonalen Stammzellen könnten defekte Zellen in Geweben eines Menschen einfach durch gesunde ersetzen.

Das ganze Forschungs- und Anwendungsgebiet ist freilich sehr umstritten, weil dabei menschliche Embryonen als “Ersatzteillager” instrumentalisiert und zumeist abgetötet werden. Dabei gibt es längst Alternativen zu dieser Art der Gentherapie. Vor gut zwei Jahren veröffentlichten Wissenschaftler um Tilanthi Jayawardena vom Duke University Medical Center (Durham/US-Staat North Carolina) eine Arbeit, in der es ihnen offenbar gelang, residente (im Körper des Patienten befindliche) Zellen direkt vor Ort in embryonale Stammzellen umzuwandeln. Konkret konnten sie nachweisen, dass bei Mäusen durch den Einsatz von microRNAs vernarbte Herzzellen wieder zu intakten Herzmuskelzellen werden. Damals sagte selbst Oliver Brüstle, mit diesem neuen Verfahren komme man zu ganz neuen Paradigmen. Der Bonner Stammzellforscher Brüstle hatte kurz zuvor noch versucht, mit einem Patent auf embryonale Stammzellen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) durchzukommen und blitzte ab.

EuGH: Embryo ist Mensch von Anfang an

Stichwort EuGH: Dieser hat im Oktober 2011 in besagtem Grundsatzurteil festgehalten, dass “jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als „menschlicher Embryo“ {…} anzusehen {ist}, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen.” Der oberste Gerichtshof Europas hat also unterstrichen, dass ein Embryo vom Zeitpunkt der Zeugung an ein Mensch ist, dem folglich alle Menschenrechte zustehen. Die EU-Kommission fährt somit fort, dieses Urteil zu ignorieren, indem sie weiterhin den Missbrauch von wehrlosen Menschen als Forschungsobjekte billigt und sogar fördert.

Eine weitere Forderung von “One of Us” bestand im Übrigen darin, dass die EU keine Maßnahmen in Verbindung mit Abtreibung mehr finanzieren solle, was sie insbesondere in Entwicklungsländern getan hatte. EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs sprach in Zusammenhang mit diesen Entwicklungsprojekten von “effizienter Familienplanung”, die “Schwangerschaftsabbrüche gar nicht erst nötig werden” ließen.

Macht der Wirtschaftsoligarchen?

Effizient – so kann man auch das Vorgehen der Kommission in der Kausa “One of Us” bezeichnen. Effizient – ein Wort aus der Wirtschaft, wo inzwischen einige kritische Stimmen den wahren Impetus der Kommissionsentscheidungen verorten. Die Stammzelltherapie könnte in der Medizin durchaus “The Next Big Thing” werden, ein Milliardenmarkt. Dazu bedarf es aber noch großer Forschungsanstrengungen und liberalerer Gesetzgebungen. Die EU-Kommission will offensichtlich beidem den Weg ebnen. Geoghegan-Quinns Reden von “hohen ethischen Maßstäben”, die man bei der Vergabe der Forschungsgelder anlegen wolle, kann man getrost als Makulatur abhaken. Wer kein Problem damit hat, Embryonen – seit 2011 auch höchstrichterlich als “Menschen” definiert – zu töten, hat keine hohen ethischen Maßstäbe.

Doch das größte Problem ist nicht, dass die Kommission den Willen vieler Bürger und des EuGH ignoriert. Ihr Kurs ist frontal gegen den einer viel höheren Autorität gerichtet. Schon in den 1970er Jahren stellte der US-amerikanische Apologet und Pastor Dr. Francis Schaeffer fest, dass Entfernung von Gott und seinem Wort der Grund für die Entfremdung der Gesellschaft von zentralen ethischen Positionen wie dem Schutz ungeborenen Lebens sei. Der stete Tropfen des Humanismus, der den Mensch zum absoluten Maßstab setzt, habe die moralische Substanz der westlichen Gesellschaft ausgehöhlt, weil sie Bindung an die Autorität Gottes zersetzte, so Schaeffer.

Keine lebenswerte Zukunft ohne Gottes Gebote

Jetzt, 40 Jahre später, sehen wir jene Entwicklung noch weiter fortgeschritten. Umgekehrt wirkt sich der Verlust zentraler christlicher und abendländische Werte auch auf das Zusammenleben in unserer Gesellschaft aus. Wer kann sich noch sicher fühlen in einem Europa, in dem Lebensschutz durch pragmatische Forschungsprogramme verdrängt und der Bürgerwillen dem von Eurokraten und Wirtschaftsverbänden (siehe auch TTIP) untergeordnet wird? Steuert da die friedliche Einigung Europas nicht in eine schleichende, gottlose Diktatur der politischen und wirtschaftlichen Klasse?

Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem auch liberal denkende Menschen aufhorchen müssen. Die ethischen Fragen sind längst nicht mehr nur Stoff für Christengejammer über den moralischen Verfall der Gesellschaft. Denn z.B. Abtreibung ist nicht nur unchristlich, sondern auch zutiefst antiliberal, wie Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel in einem genialen Editorial jüngst festhielt. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Gott ist eben nicht der Gott der religiösen Sphäre, sondern der Wirklichkeit, in der wir leben. Wer seine Gebote missachtet, ignoriert moralische Naturgesetze. Und denen ist es bekanntlich egal, ob jemand an sie glaubt.

Kommentare

  1. Daniel Höf

    Petitionen sind in Demokratien Ausdruck des Verständnisses, dass die Bürger beim Parlament mit ihren Anliegen Gehör finden sollten. In der Bundesrepublik Deutschland wird eine Petition im Regelfall bei nur 50.000 Stimmen innerhalb einer Zeichnungsfrist vom Parlament diskutiert. Das folgt aus der Einsicht, dass Themen, die so viele mündige Bürger bewegt auch ihre Vertreter bewegen sollte, wenn sie diesen Namen verdienen wollen. Die 50.000 für die Bundesrepublik ist relativ zu den 1,9 Millionen für die EU eine eher kleine Zahl. Die Tatsache, dass das EU Parlament und die Komission aufgrund einer um soviel stärkeren Petition nicht diskutieren will oder soll, zeigt etwas von der Auffassung der Kommision und dem Parlament über die Bewohner der EU. Es fasst sie durch diese Entscheidung nicht als mündige Bürger sondern als Untertanen auf, deren Stimme nicht wichtig ist. Ihr Verhalten spricht lauter als ihre Beteuerungen. Das macht traurig und sollte uns Warnung sein.

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