Seit “Winnenden” aktueller denn je: Von der Suche nach Abenteuern in Online-Killerspielen

Alles Spielverderber?
"Fernsehsüchtig, internetsüchtig, musiksüchtig? – wie viele Jugendliche musste ich mir oft anhören, dass meine Lieblingsbeschäftigungen süchtig machen. Meistens waren es meine Eltern, deren Job es ja ist, sich Sorgen zu machen, oft auch christliche Gemeinden, in denen es in Mode kam, hinter neuen Medienentwicklungen Angriffe des Bösen zu vermuten. Ich ignorierte all das genauso wie die uralten Warnungen vor dem Lesen mit der Taschenlampe unter der Bettdecke (macht die Augen kaputt!) oder vor Cola-Trinken (löst den Magen auf!). Momentan wird besonders vor Mehrspieler-Onlinerollenspielen (MMORPGs) wie World of Warcraft, Warhammer Online, Ultima Online und anderen gewarnt. Ist das nun die übliche Spielverderberei nerviger Eltern oder haben diese Spiele wirklich etwas, was Spieler abhängig werden lassen kann? Ist es für mich – oder für dich – sinnvoll, die Ohren auf Durchzug zu stellen, oder sollte man sich als Spieler besser einmal kritisch hinterfragen?
Die unendliche Spirale aus Belohnung und Freiheit
Ich habe immer "Magier" gespielt, die sind intelligent, gut angezogen, tiefgründig und nicht so dümmlich wie Haudrauf-Schwertkämpfer.
Rollenspiele wie World of Warcraft bieten grundsätzlich eine angenehme Freiheit zur Gestaltung des eigenen Ichs. Aussehen, Eigenschaften und Fähigkeiten des Charakters können frei gewählt werden, ebenso die eigenen Handlungen. Keine Schule, kein Stress, lieber wandert man durch die Weiten ferner Länder und dunkler Gemäuer. Doch eins steht zu Beginn fest: Man startet immer als Habenichts. Als kleiner Magier hatte ich schlechte Waffen, keine Erfahrung, wenig Skills, kaum Mana und schwache Zaubersprüche. Also habe ich die ersten Stunden investiert, ein paar Dungeons aufgeräumt – und schon war ich um einige Stufen aufgestiegen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass bei jeder gelösten Aufgabe (Quest) zur Belohnung Glückshormone ausgeschüttet werden. Das Gehirn gewöhnt sich an dieses angenehme Zeug und will es immer wieder auf demselben Wege produziert haben. Ich musste also weiter spielen, um meinen Magier weiter zu steigern: Von Stufe 1 auf 10 brauchte ich vielleicht einen Tag, von 40 auf 50 dauerte es Wochen und Monate. Das Gehirn produziert immer mehr Sehnsucht nach dem Spiel, weil es seine Erfolgsgefühle nicht mehr so schnell bekommt, wie es das gerne hätte. Also muss mehr Zeit in schwierigere Stufen investiert werden. Bei Onlinespielen muss man sich dafür mit anderen Spielern zusammentun. Dabei gilt: Haste was, biste was.
Auf Youtube werden Videos von Level 80 World of Warcraft-Charakteren von Tausenden als Helden angesehen. Die Anerkennung, das Glücksgefühl ist durch ständiges Gesehen-Werden viel größer als bei Einzelspieler-Versionen. Enden sollen die Aufgaben möglichst nie: Ich habe meinen Magier nie auf die höchsten Stufen gebracht, auch trotz täglichen Trainings nicht.
World of Warcraft hat angeblich 10 Millionen Abonnenten – denkst du, die Firma Blizzard wird jemals aufhören, mit denen Geld zu verdienen? Will ein Drogendealer, dass man irgendwann aufhört, bei ihm zu kaufen? Moderne Onlinerollenspiele sind mächtige, millionenschwere Simulationsmaschinerien: Eine bunte und belebte Welt, in der Menschen ihren spannenden Aufgaben gemeinsam nachgehen und die dafür Belohnung und Anerkennung finden. Das klingt wunderbar – wo also ist das Problem?
Wie fängt Sucht an?
Keiner kann absolut definieren, wo Sucht anfängt. Dennoch gibt es Alarmsignale: Wenn World of Warcraft dein Denken und Handeln übermäßig bestimmt, wenn du Freunde vernachlässigst, wenn du Hobbies sausen lässt, wenn Schule und Ausbildung den Bach runtergehen, dann stimmt da was nicht. Nach der Schule und dann bis Nachts vorm PC, am nächsten Tag müde, aber wieder lange zocken. Plötzlich sind nur noch Leute interessant, die auch Spieler sind. Man wird innerlich unruhig, wenn man mit Freunden unterwegs ist, weil man in derselben Zeit seinen Magier (oder was auch immer du spielst) ja steigern könnte. Schlechte Noten in der Schule – was solls, Hauptsache der Magier lernt neue Zaubersprüche! Wissenschaftler haben gerade diese Symptome unter einem größeren Prozentsatz von Online-Spielern festgestellt. Tausende werden im Spiel zu strahlenden Helden und gleichzeitig in der Realität zu erfolglosen und einsamen Freaks.
Wie zähmt man eine Sucht?
Alleine das Wort "Sucht" hat mich immer genervt, das will keiner hören. Aber frage dich mal ganz ehrlich, welchen Platz das Spiel in deinem Leben einnimmt. Wie viel Zeit opferst du? Schreib mal die Stunden auf, die du täglich investierst. Wie sehen deine Freundschaften und deine Hobbies aus? Sitzt du lieber zu Hause vorm PC anstatt was zu unternehmen?
Du kannst als ein Experiment versuchen, die Anzahl der Spielstunden runter zu schrauben und mehr Zeit mit anderen Hobbies zu verbringen. Beobachte dich, wie es dir dabei geht. Wenn du Entzugserscheinungen kriegst und nur an das Spiel denkst, dann ist das ein Alarmsignal. Kritisch ist auch, wenn du spielst obwohl du dir eigentlich vorgenommen hattest, eine Pause zu machen. Wenn du das Gefühl hast, schon abhängig oder gefährdet zu sein, dann such dir jemand zum Reden. Es gibt kein Patentrezept gegen Sucht, deswegen ist Reden sehr wichtig. Bleib nicht alleine mit dem Problem, weil es dir peinlich ist. Freunde werden dich verstehen und dir helfen. Wenn du im Internet danach suchst, wirst du sehen, dass es viele Menschen gibt, die abhängig geworden sind.
Und schließlich: Finde heraus, worum es im Leben geht. Was suchst du im Spiel, dass dir die reale Welt nicht gibt? Die Antwort, die ich gefunden habe, steht in der Bibel, und mein Sinn im Leben ist Gott. Er gibt ein Leben, das ewig hält, das spannende Beziehungen mit realen Menschen bereithält und das deine Erfahrung ständig steigert – und das auch noch kostenlos. Ob das was für dich ist, musst du aber selber rausfinden. Bei mir hat es funktioniert.
Vor kurzem erschien Diablo III, und ich werde dreimal überlegen, ob ich wieder hunderte Stunden in einen Magier investiere, wenn ich in derselben Zeit Freunde besuchen, Sport treiben, reisen oder schlaue Handzettel verfassen kann …
Martin Geilfus marburger-medien.de

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