20 Jahre Love Parade

Die Love Parade ist in ihr 20. Jahr gegangen, und manche Edelfeder der deutschen Presse hat sich bereit gemacht, den Jahrestag zu würdigen. Gar nicht so einfach, nebenbei gesagt, denn wofür der regelmäßige ohrenbetäubende Umzug der Raver eigentlich steht, was er zu bedeuten hat, ist nach zwei Jahrzehnten immer noch umstritten, wenn nicht ungeklärt. Aber Jubiläum hin, Sinn her – die Love Parade findet in diesem Jahr überhaupt nicht statt, zum dritten Mal übrigens schon seit 2001. Man kann sagen, dass die Massentanzparty wohl an ihrem eigenen Erfolg zu Grunde gegangen ist. Bochum war als Veranstaltungsort geplant gewesen, aber die Stadt konnte die erwarteten Massen von Technofans nicht aufnehmen. In Berlin ist die Love Parade, jedenfalls in ihrer heutigen monströsen Form, mangels Sponsoren nicht mehr auf die Beine zu stellen.

1989 hatte alles mit "vielleicht 50 Teilnehmern" am Kudamm begonnen, wie sich der Erfinder und langjährige Veranstalter, DJ Dr. Motte (bürgerlich Matthias Roeingh), im Internet erinnert. Er stapelt bewusst etwas tief, denn die Pop-Geschichtsschreibung hat sich allgemein auf 150 Teilnehmer der Ur-Love Parade geeinigt. Tendenziell aber hat Motte schon recht: Auch diese Zahl wurde zu den besten Zeiten um 2000 um das Zehntausendfache übertroffen. Das Event ließ sich ab 1996 nur noch auf der Straße des 17. Juni zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor unterbringen, der wichtigsten Ost-West-Verbindung Berlins, aber mit der Überwindung der Teilung hat die Love Parade nichts zu tun. Noch kurz vor der Grenzöffnung entstanden, ist sie ein sehr westdeutsches Phänomen.

Geradezu neckisch machen sich im Vergleich zur Massenbewegung der Jahre um die Jahrtausendwende die Anfänge aus. Motte berichtet, wie er auf die Idee kam, eine Technoparty von den Kellerclubs, wie sie außer den Eingeweihten niemand wahrnahm, auf die Straße zu verlegen, indem er sie als Demonstration anmeldete – unter dem Motto: "Für Frieden, Freude, Eierkuchen". Die Demo wurde genehmigt, dabei soll die Zahl der Polizisten auf dem Kudamm anfangs die der Demonstranten deutlich übertroffen haben, da man nicht wusste, was von einer solchen Veranstaltung zu erwarten war.

Aber die Technofans hatten erkannt, dass die Zeit der Rock-Revolution vorbei war. Keiner von ihnen wollte noch gegen irgendetwas rebellieren. "Das Subversive, das Kritische, das Diskursive" fehlte, wie Jens Bisky in der Süddeutschen Zeitung feststellt. Man wollte nur sein Lebensgefühl ausstellen, so Motte: "Gemeinsam in eine Art Trance zu fallen, als Einzelner in dieser zuckenden Masse unterzugehen, angetrieben von Stroboskop und Nebellicht. Dazu dieser neue Acid-Sound, der einen fast hypnotisch vorantrieb. Man fühlte sich elitär, und man machte etwas, das die Gesellschaft nicht verstand."

Es dauerte bis 1991, bis wenigstens die taz die Love Parade wahrnahm und ankündigte. 1994 beschrieb "Frontpage"-Herausgeber Jürgen Laarmann erstmals die "raving Society", der es nur um "Spaß, gute Laune und Sex" gehe. Bisky spricht heute von der "Zeitlosigkeit des Rausches", dem "Glücksgefühl der Wiederholung, des In-Sich-Seins, der Konzentration auf den Augenblick und den Körper". Darin sieht er ein "Urlaubs-Phänomen"; die Deutschen, die in den 90er Jahren unter den Problemen der Eingliederung der ehemaligen DDR und Stasi-Debatten, immenser Staatsverschuldung und Kriegen auf dem Balkan und im Nahen Osten litten, zeigten seiner Ansicht nach, dass sie sich endlich mal von all dem erholen wollten.

Es war freilich eine sehr spezielle Form der Erholung. Getanzt wurde auf der Love Parade regelmäßig bis zu 36 Stunden lang – eine ungeheure Tortur für den Körper, die er nur mit Hilfe von Drogen durchhalten kann. Die bevorzugte Droge der Technofans war lange Zeit Ecstasy, ein synthetisches Amphetamin, das anhaltend euphorisierend wirkt, aber auch zu Wahrnehmungsstörungen und Depressivität bis hin zu psychischen Defekten führen kann.

Positiver Nebeneffekt der Love Parade war in den Augen von Motte, dass Deutschland im Ausland anders wahrgenommen wurde. Man habe gesehen, dass die Deutschen nicht nur effizient Krieg führen (wie im Zweiten Weltkrieg) und beängstigend diszipliniert arbeiten (wie im Wirtschaftswunder), sondern auch zwanglos feiern können, und das, ohne dass es der Staat ihnen verbietet. Dass die Love Parade allerdings nicht Deutschland repräsentiert, da die meisten Deutschen noch heute rätseln, was die Raver mit ihrem Umzug eigentlich bezwecken, wird dabei übersehen.

Trotz der zeitweise gigantischen Teilnehmerzahlen war es eine recht schwache Bewegung. 2001 wurde zum Love-Parade-Termin eine Art Gegendemo angemeldet, und schon ließ sich der Rave nicht mehr organisieren. Die Sponsoren sprangen ab. 2002 und 03 konnten die Veranstalter den Umzug noch einmal mit Geld, das sie auf der hohen Kante hatten, auf die Beine stellen, bei allerdings deutlich niedrigeren Teilnehmerzahlen, dann machten sie pleite. Eine Fitnessstudio-Kette erklärte sich bereit, künftig die Organisation zu übernehmen, wenn sie die Marke "Love Parade" übernehmen könne. Motte war dagegen, konnte sich aber gegen seine Mitgesellschafter nicht durchsetzen. Deshalb ist die Love Parade in seinen Augen Geschichte, auch wenn sie darauf ins Ruhrgebiet umzog. 2010 soll sie in Duisburg stattfinden.

Bisky meint sarkastisch, das seien Probleme, "die Massentourismus nun einmal mit sich bringt", einschließlich der Müllberge, des Urins und der Exkremente, die die Raver stets in Berlin hinterließen. Man muss aber vor allem konstatieren, dass eine Jugendbewegung, die sich für nichts anderes als ihre Unterhaltung mehr interessiert, darin ihr wahres Gesicht zeigt. Sie rückt in ihrer Selbstvergessenheit und Amüsiersucht noch näher an völlige Perspektivlosigkeit und Nihilismus heran, ein Trend, der sich die gesamte Rockgeschichte hindurch beobachten lässt. Es ist nicht wahr, dass das Leben nichts ausser der Lust des Augenblicks zu bieten hat. Jesus Christus bietet uns ein Leben, das weit über unser irdisches Dasein hinaus weist, wenn er sagt: "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken." (Matthäusevangelium, 11,28) Und dabei dürfen wir ihn beim Wort nehmen.

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