Es war einmal ein Fischer, der fuhr jede Nacht aufs Meer hinaus, um seine Netze auszulegen. Früh am Morgen kehrte er zurück, dann waren seine Netze voll mit Fischen. Denn er kannte die Wege, die die großen Fischschwärme nahmen. Selbst in der tiefsten Nacht fand er seinen Weg. Er sah hinauf zu den Sternen, die über ihm am Himmel standen, und ließ sich von ihnen den Weg zeigen.
Aber einmal kam eine Zeit, da war der Himmel von Wolken verhangen. Dicker Nebel lag über dem Meer, so dass man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte. Weder Sonne noch Mond noch Sterne ließen sich blicken. Das war eine schlimme Zeit. Denn der Fischer konnte nicht hinausfahren.
Tag für Tag hoffte er, dass sich der Nebel bald verziehen würde. Aber der Nebel blieb.
“Wenn ich wenigstens eine einzigen Stern sehen könnte”, dachte der Fischer, “damit ich übers Meer finde”. Aber kein einziger Stern schaffte es, den dichten Nebel zu durchdringen. Da fasste der Fischer einen Entschluss. “Ich werde mir einen eigenen Stern machen”, dachte er. Er ging in den Schuppen und schnitzte sich aus einem alten Brett einen großen Stern. Den hängte er an eine Stange.
Die Stange befestigte er an seinem Boot.
Als der Abend kam, ruderte der Fischer hinaus aufs Meer. Rings um ihn herum war dichter Nebel.
Aber vor ihm leuchtet sein Stern. Er brauchte nur hinter ihm her zu rudern.
Am Morgen bemerkten die anderen Fischer, dass sein Boot nicht an seinem Platz war. Sie warteten auf ihn. Aber er kam nicht zurück. Niemand hat ihn je wieder gesehen.
Der gottlose Mensch ist der orientierungslose Mensch; es gibt dann keinen höchsten Gesetzgeber mehr. Im Buche „Die Brüder Karamasow“ von Dostojewski läßt der Dichter den Iwan sprechen: „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt.“ Tatsächlich, so ist es. Denn wenn es keinen Gott gibt, gibt es kein unverbrüchliches Sittengesetz mehr. Wenn es keinen Gott gibt, dann entscheidet eben der Nutzen oder der Erfolg, aber nicht mehr das Gesetz Gottes über gut und böse. Wenn es keinen Gott gibt, dann versteht der Mensch sich selbst nicht und die Welt nicht, dann verfällt er der Selbstsucht, der Lüge und dem Hass; er wird wahrhaft orientierungslos. Dann entscheidet die Mehrheit, die Mehrheit in allen Fällen und die Mehrheit in allen Sachen. Die Mehrheit hat immer recht, auch wenn sie gegen Gottes Willen steht. Mehrheiten entscheiden, nicht die Wahrheit. Wer den Gottesglauben aufgibt, der verliert die Orientierung. Niemand hat das hellsichtiger gesehen als der Philosoph Friedrich Nietzsche. „Wohin ist Gott? Wir haben ihn getötet. Wir alle sind seine Mörder. Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir die Erde von ihrer Sonne losketteten! Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen. Stürzen wir nicht fortwährend und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Gott ist tot, und wir haben ihn getötet.“ G.May