GEKÜSSTE HÄNDE


Vor vielen Jahren, also ich noch aktiv im Sicherheitsdienst tätig war, hatte ich die Ehre eine 82 Jährige Dame Nacht für Nacht zu bewachen. Viele Stunden verbrachte ich sogar am Bett der alten Dame. Wir sprachen wirklich über Gott und die Welt, je länger ich meinen Dienst tat umso tiefer wurden unsere Gespräche. Am Ende beteten wir sogar zusammen. Nach einigen Monaten war meine Aufgabe dort beendet. Wir verloren uns viele Jahre aus den Augen. Bis ich eines Tages erfuhr, dass die alte Dame an Demenz erkrankte. Spontan rief ich sie mal an, doch zu meinem Entsetzten stellte ich fest, dass sie mich nicht mehr erkannte. Kurze Zeit später, wurde ich von einer Bekannten gefragt ob ich gemeinsam mit ihr, die alte Dame die nun kurz vor ihrem 90. Geburtstag stand, besuchen möchte. Das ließ ich mir nicht nehmen. So fuhren wir gemeinsam zu der, sehr einst wohlhabenden mächtigen Frau. Es war ein Samstagabend. Bevor ich hineinging bat ich Gott um Bestand. Ihre Haushälterin empfing uns an der Tür und weihte uns über den Zustand der Frau ein, dass sie niemanden mehr erkennt und dass sie seit zwei Jahren mit niemanden mehr spricht.
Aufgeregt was mich wohl erwartet, ging ich ins Haus. Da saß sie, zusammengekümmert in einem Rollstuhl. Der Anblick tat mir sehr weh und doch trotz all ihrer Gebrechlichkeit, strahlte sie Wärme und Güte aus. Ich nahm ihre Hände und hielt sie in meinen. Ich fragte sie ob sie mich noch kennen würde, dann begann sie zu nicken. Es war unbeschreiblich, nach all den Jahren erkannte sie mich.
Ich streichelte ihre Hände. Bevor ich weiter berichte, muss ich aus meinem Herzen berichten. Wenn ich solche Dinge schreibe, erlebe ich all dies nochmals durch und bin zutiefst berührt.
Da saßen wir nun, die Dame und ich, Händchenhaltend und meine Bekannte und die Haushälterin saßen daneben. Dann fragte ich sie: „Ist es gut dass ich da bin?““ Sie nickte, ich wiederholte meine Frage und dann geschah es, sie öffnete ihren Mund und fing nach zwei Jahren wieder an zu sprechen „Ja das ist sehr gut“. Da saßen wir drei nun und konnten es kaum fassen, ein Wunder oder wie soll ich das nennen? Ja ich weiß es wird schon ein paar schlaue Erklärungen dafür geben. Eine Frau die niemanden mehr erkannte und nichts mehr sprach, erkennt und spricht wieder.
Durch wildes gestikulieren an die beiden Damen gab sie zu verstehen, dass sie alleine sein möchte mit mir. Die beiden verließen das Zimmer. So saß ich nun da, allein mit dieser wunderbaren Lady. Dann nahm sie meine Hände und führte sie an ihr Gesicht. Tränen liefen herab, sie küsste meine Hände und brachte ihre Tränen in Berührung mit meinen Händen. Nun weinte ich auch, welch eine Geste, welch ein Moment. Diese einst mächtige Frau, saß nun zusammengekauert in ihrem Rollstuhl, kaum noch Leben war in ihr und nun erfüllt die den Raum mit Liebe und Wertschätzung. Bevor ich die Dame besuchte, bat ich ja Gott mit zugehen. Beim Unfall meiner Familie, schrie ich Tage und Wochen nach ihm. Als ich meine kleine Tochter vermisste, rief ich nach ihm….und so viele tausende Male stieg mein Flehen zu ihm empor. Er war immer da. Ich war es der so oft weglief. Er war treu wenn ich untreu war. Er war da, als ich ging.
Ja und nun war ER in diesem Raum spürbar da. Ich fragte die Dame ob sie mit mir beten möchte.
Unter Tränen nickte sie. So begannen wir das „Vater unser“ zu beten. Kaum hörbar, flüsterte sie jedes Wort mit. Sie hatte dieses großartige Gebet nie vergessen. Sie hat fast alles vergessen, wer sie selbst ist, wer die anderen sind aber Gott hat sie nie vergessen, denn er hat sie auch nie vergessen.
Es war das einzigste Gebet, dass Jesus uns gelehrt hat. So soll Dein Gebet sein, so soll…nicht wir müssen, sondern wir sollen. Er weiß was gut für uns ist, lässt uns aber immer aus seiner Liebe heraus, die Freiheit alles was er uns anbietet auch abzulehnen.
Als wir das Gebet beendeten sagte sie laut und deutlich „AMEN“. Das ist der Stempel unter alle Gebete. Das bedeutet „So sei es“, also ja ich bestätige das ist die Wahrheit. Ich glaube es war eines ihrer letzten Worte, vielleicht sogar ihr letztes. Denn drei Wochen später starb sie.
Es hatte so sein müssen. Gott hat alles so eingefädelt. Unser letztes Treffen, unsere gegenseitige Wertschätzung ,die Tränen und unser gemeinsames Gebet. Während ich diese Zeilen in den PC tippe, blicke ich auf meine Hände. Hände die von dieser Dame gehalten wurden, die ihre Tränen auffingen und die geküsst wurden.
Ihre letzten Worte richtete sie zu Gott dem Vater und das gab ihr wahren Frieden. Frieden den all ihr Reichtum, ihr nie gegeben hatte. All die Häuser, die Autos und das ganze Geld spielte am Ende keine Rolle mehr. Am Schluss war es ein Gebet dass sie reich machte, ihr wahren Reichtum bescherte bis in alle Ewigkeit. Es ist mir eine Ehre, von dieser Dame geküsst geworden zu sein und mit ihr gebetet zu haben bevor sie in den Himmel ging.
Auszug aus meinem Büchlein „ERlebt“ / Michael Stahl

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