Man kann nicht beweisen, daß es einen Gott gibt! Das ist einer der verbreiteten Gedanken, durch die Immanuel Kant noch heute gegenwärtig ist. Wie vor ihm schon der französische Philosoph René Descartes wollte Kant alles ganz sicher wissen. Zwei Dinge, rief Kant, muß ich verbitten: erstens das Spielwerk von Wahrscheinlichkeit und Mutmaßung; zweitens die Entscheidung vermittelst der Wünschelrute des sogenannten gesunden Menschenverstandes. Man sollte meinen, daß das Abwägen von Gründen sowie der Einsatz des gesunden Menschenverstandes der Weg sei, den wir vernünftigerweise einschlagen sollten, um uns eine Meinung zu bilden und um Erkenntnis und Wissen zu erlangen. Kant aber wollte sich darauf nicht einlassen. Auch eine Überzeugung, die auf Gründen und Indizien beruht, ist fehlbar. Er wollte aber nichts weniger als unumstößliches Wissen.
Pietistische Erziehung
Immanuel Kant wurde am 22. April 1724 im ostpreußischen Königsberg als das fünfte von neun Kindern in eine Handwerkerfamilie geboren. Seine Eltern starben beide früh. Über seine Mutter sagte er einmal, sie habe ihm den Sinn für das Gute eingepflanzt und auf langen Sonntagsspaziergängen seine Augen für die Natur geöffnet. So schrieb Kant später: Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Dieses Bewußtsein von moralischen Gesetzen und Pflichten wurde der Mittelpunkt von Kants Ethik. Bis zu seinem 16. Lebensjahr besuchte er die pietistische Schule Collegium Fridericianum. Das war keine gute Zeit für Kant. Im Fridericianum herrschte eiserne Disziplin. Immanuel empfand Schrecken, Unfreiheit und Einsamkeit. Im Rückblick sprach er gar von Jugendsklaverei. Naturwissenschaften wurden wenig gelehrt, wohl auch, weil man freie wissenschaftliche Forschung mitunter als Konkurrenz zur Autorität der Bibel empfand. Die Mathematik fand man zwar für die Buchhaltung nützlich, aber nicht für die Beschreibung der Welt. Der Mangel an naturwissenschaftlicher und mathematischer Ausbildung behinderte später Kants Erforschung der Natur. Gelehrt wurde am Fridericianum durch Wiederholung und Drill: Der Lehrer sprach, die Schüler mußten wiederholen. Widerspruch oder Zweifel waren nicht vorgesehen. Auf diese Weise wurde auch Religion gelehrt. Vom Christentum bekam Kant keinen guten Eindruck. Er entwickelte eine Abneigung gegen alles Fromme. Seine ersten Biographen, allesamt lutherische Theologen, stellten Kant als dem Christentum gegenüber freundlich eingestellt dar. Neuere Forschungen haben jedoch gezeigt, daß Kant eine Abneigung gegen das Christentum empfand. Seine Einstellung erinnert an die heute weitverbreitete Abneigung gegenüber Fundamentalisten. Im Alter von 16 Jahren begann Kant, an der Universität von Königsberg zu studieren. Dort lehrte er auch sein Leben lang. Königsberg verließ er selten, Preußen nie. Man sagt ihm eine außerordentliche Ordnungsliebe nach. Um fünf Uhr morgens begann sein Arbeitstag. Nach seinem Spaziergang am Nachmittag immer zur gleichen Zeit konnte man die Uhr stellen.
Erstaunlicher Ausweg
Man sagt manchmal Glauben heißt, nicht wissen oder Glaubst du es, oder weißt du es? Das ist ganz im Sinne Kants, denn er sah Wissen als etwas vom Glauben ganz Verschiedenes an, weil er nur absolut Gewisses Wissen nennen wollte. Auch Kant sah jedoch ein, daß wir keine absolute Gewißheit über Dinge haben können, die unabhängig von uns sind. Da war für Kant guter Rat teuer. Wie können wir etwas mit absoluter Gewißheit wissen? Kants Ausweg ist erstaunlich. Normalerweise nehmen wir an, daß wir unsere Überzeugungen an den Gegenständen ausrichten, indem wir sie erforschen. Kant sagte: Versuchen wir es doch einmal andersherum: Nehmen wir mal an, die Gegenstände richten sich nach uns! Wir konstruieren die Gegenstände unserer Erkenntnis selber. Was wir an den Gegenständen erkennen, ist nichts als das, was wir selbst ihnen übergestülpt haben. Unser Wissen reicht nicht über unser Denken hinaus. Das mag man schwer nachvollziehbar finden, für Kant war es die Lösung seiner philosophischen Probleme. Wie die Dinge unabhängig davon sind, wie wir sie uns konstruieren, können wir nach Kant nicht wissen. Die Dinge an sich sind uns nicht zugänglich. So kommt Kant denn auch zu der Auffassung, daß man die Existenz Gottes nicht beweisen und daß man über Gott eigentlich gar nichts wissen kann. Ihn interessiert nicht, ob zum Beispiel die Ordnung in der Natur dafür spricht, daß es einen Gott gibt, weil sich diese Ordnung am besten durch die Annahme eines Schöpfergottes erklären läßt. Ihn interessiert nur, ob es einen unbezweifelbaren Beweis gibt. Und weil es den nicht gibt, ist alles Suchen nach Argumenten für die Existenz Gottes oder nach Gotteserfahrung vergeblich. Diese Einstellung ist immer noch weit verbreitet.
Religion nur als Moral
Für Religion hatte Kant nur insofern etwas übrig, als sie von Moral handelt. Von Gott spricht Kant im Sinne der Idee eines höchsten Gutes. Über Gott kann man ja laut Kant nichts wissen. Wie alle Dinge an sich sei er uns nicht zugänglich. Von einer Religion, die Lehren über Gott aufstellt, hielt Kant nichts. Christliche Lehren wie etwa die von der Göttlichkeit Jesu oder der Dreieinigkeit Gottes glaubte er nicht, aber er sagte das nicht so, sondern gab den Lehren einen neuen, die Moral betreffenden Inhalt, der seinen eigenen Vorstellungen entsprach. Damit wurde er zum Wegbereiter der deutschen liberalen Theologie, wie wir sie von Friedrich Schleiermacher (1768-1834) und Rudolf Bultmann (1884-1976) kennen. Kant nahm keine Harmonie mehr zwischen christlichem Glauben und Vernunft an, wie sie christliche Philosophen eineinhalb Jahrtausende lang gesehen hatten.
Unvernünftige Auferstehung
Mit späteren liberalen Theologen hat Kant auch einen starken Glauben an die Naturnotwendigkeit gemeinsam. Er war überzeugt, daß alles, was geschieht, natürliche Ursachen hat und unausweichlich geschieht. Wunder wie die körperliche Auferstehung Jesu sind damit kurzerhand ausgeschlossen. Daher kommt die häufig anzutreffende Meinung, daß die Auferstehung Jesu gegen die Vernunft gehe. Man könnte ja denken, daß es vernünftig sei, an die Auferstehung Jesu zu glauben, wenn man gute Gründe dafür hat, z.B. zuverlässige Berichte von Augenzeugen. Kant schließt das aus, weil er Übernatürliches, wie zum Beispiel eine körperliche Auferstehung oder einen Gott, der die Welt geschaffen hat, kurzerhand aus dem Bereich der Vernunft ausschließt. Diese Ablehnung des Übernatürlichen ist der Dreh- und Angelpunkt der späteren liberalen Theologie. Dr.Dr.Daniel von Wachter
Interessant ist, ist der Vergleich des Sternenhimmels mit seinem inneren Empfinden von Moral. Damals hatte ich Kant dafür bewundert, denn mir erschloss sich diese Empfindung keineswegs. Auch sein kategorischer Imparativ wurde damals von einer guten Freundin von mir mit einem einfachen logischen Schritt widerlegt, da tatsächlich, wie u.a. im Nationalsozialismus geschehen, durchaus auch Böses zum Gesetz Vieler werden kann. Allein die Kritik an der (rein menschlichen) Vernunft scheint mir in gewisser Weise angemessen.