Der maximale Freiheitsgenuß der modernen Menschen endet in schrecklicher Einsamkeit.

„Wenn Freiheit lediglich die Optimierung von Wahlchancen ist, wird jede Ehe und jedes Kind zur Freiheitseinschränkung. Denn Kinder wie Ehepartner mindern die Optionen. Schon so einfache Sachen wie z.B. die Urlaubsplanung werden mit Kindern schwieriger als ohne – und als Single leichter als für Eheleute. Alle Lebensverhältnisse geraten so unter das Diktat der solistischen Selbstbestimmung. Existenz wird permanenter Wahlakt. „Der Mensch, das ist seine Wahl“ proklamierte Jean Paul Sartre in hybrider existentialistischer Selbstüberschätzung.
Die Ehe und die Familie ist in ihrem Wesen das existentialistische Antiprojekt. In Ehe und Familie schafft sich der Mensch nicht selber, sondern durch und mit anderen. Die Familie ist die „zweite Geburtsstätte der Menschen“ (Rene König). Die moderne Ehe gerät in Gefahr, so vorübergehend zu werden wie eine Fahrt mit der U-Bahn: Einsteigen-Aussteigen-Umsteigen mit kurzen Haltezeiten zwischen zwei Lebensabschnittspartnerschaften. Diese Ehe als Abenteuerurlaub mit Fahrt ins Blaue bietet maximale Abwechslung. Die Endstation bleibt allerdings unbekannt. Auf dem Zielbahnhof stehen relativ viele traurige Singles herum. Daran ist die Ankunft auf der Endstation erkennbar: Nach maximalem Freiheitsgenuß endet das Finale in der Einsamkeit.
Wir kehren zur Polygamie der Vorzeit zurück. Unsere unterscheidet sich von den früheren, daß wir Polygamie in den Zeitverlauf eingebaut haben, also nacheinander die Partner aufreihen, während früher „Vielweiberei“ oder „Vielmännerei“ gleichzeitig genutzt wurden. Beim polygamen Wechselspiel stören vorerst noch die Kinder wie beim Umsteigen die Gepäckstücke. Denn Kinder sind Lasten. Das unterscheidet die neue von der alten Polygamie…..Jede 8. Ehe in Deutschland lebt in einer Fernbeziehung. Liebe wird zu Telepathie. Es geht von der Seßhaftigkeit, die wir uns über Jahrtausende mühsam angewöhnt hatten, wieder zurück zum Nomadentum. Mit Green-Card sogar global. Die Informatiker kommen aus Bangalore und die Krankenschwester aus Mali, allerdings allein, „ohne Familienballast“. Die Ehe folgt der Platzanweisung, die durch die imperiale Wirtschaft gesetzt wird. Flexibel und mobil, am besten auf Abruf, befristet, ausgeliehen, arbeitet der moderne Jobhopser. Die beiden Ehepartner sollen dort arbeiten, wo sie Arbeit finden.“ Dr. Norbert Blüm, Die Neue Ordnung, Nr. 6/2012, Jahrgang 66

Kommentare

  1. Robert

    Ein genialer Text, der kurz, knapp und präzise formuliert, was heute geschieht. Beziehungen sind nicht mehr erwünscht. Schade, dass es die beiden Seiten eines Norbert Blüm gibt, auf der einen Seite so etwas Gelungenes, andererseits wird er zerfressen durch seinen Hass auf Israel. Hab ihn da mal bei Hart aber fair gesehen, es war so erschreckend diese Einseitigkeit.

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