“Hat die Aufklärung viel geleistet?“

Aufklärung ist wie Intelligenz, Wahrheit, Vernunft und Tugendhaftigkeit. Es ist etwas unbestritten Gutes, das Wort ist einfach so definiert. Unaufgeklärt sein ist so wie Unvernünftigsein, Dummsein, Naivsein, Abergläubischsein. Es ist etwas Schlechtes. Keiner will unaufgeklärt sein, keiner will unvernünftig sein. – Aber daraus folgt nicht, daß wir denen folgen sollten, die von sich behaupten, „aufgeklärt“ zu sein. Ganz im Gegenteil, wenn jemand lautstark von sich behauptet, „aufgeklärt“ zu sein, sollten wir dem kritisch entgegentreten. Eigenlob stinkt. Wenn wir aufgeklärt und vernünftig sein wollen, müssen wir denen, die sich selbst als „Aufklärung“ bezeichnen“, kritisch gegenüber treten und vor allem Argumente verlangen.
Die Frage ist deshalb nicht, ob Aufklärung gut ist, sondern ob die Gruppe von Autoren, die sich selbst als „Aufklärung“ bezeichnet hat, viel Richtiges behauptet und viel geleistet hat. Diese Gruppe von Autoren, die sich „Aufklärung“ genannt hat, müssen wir daraufhin prüfen, ob sie gute Argumente für ihre Thesen vorgetragen hat. Insofern sie nämlich lautstark von sich behauptet „Aufklärung“ zu sein, dabei aber wenige oder keine Argumente vorträgt, ist die Selbstbezeichnung „Aufklärung“ ein Propagandatrick oder ein Kampfbegriff. Jene Gruppe von Autoren hat sich selbst als „Aufklärung“ und als „die Erleuchteten“ bezeichnet und dabei die anderen, insbesondere die Christen, als abergläubisch, unvernünftig, rückständig und naiv bezeichnet. Die Argumente für die eigenen Auffassungen sind dabei spärlich und schwach ausgefallen.
Was war das für eine Gruppe von Autoren, die sich selbst als „Aufklärung“ bezeichnet haben? Ich spreche bewußt von einer „Gruppe“ von Autoren. Selbst haben diese Autoren gerne von einem „Zeitalter der Aufklärung“ gesprochen, um den Eindruck zu erwecken, daß zu dieser Zeit alle oder alle vernünftigen Denker ihre Auffassungen teilten. Oder daß im Laufe der Zeit die Vernunft sich immer mehr durchsetzen wird und deshalb immer mehr ihre Auffassungen teilen werden. Da klingt ein historischer Determinismus an, wie er von Hegel dann ausgearbeitet wurde und wie er sich auch ganz deutlich im Marxismus findet: So wie Marx meinte, daß die Geschichte unweigerlich zum Sozialismus führen werde, so meinten die „Aufklärer“, daß die Vernunft sich immer mehr durchsetzen wird und es deshalb immer weniger Menschen geben wird, die so naiv sind, an die Existenz Gottes oder die Existenz der Seele zu glauben. Tatsächlich waren die Aufklärer natürlich nur eine Gruppe unter anderen. Es gab zu ihrer Zeit wie zu jeder früheren und jeder späteren Zeit genug Autoren, welche die Existenz Gottes oder die Existenz der Seele sowie die Wahrheit der christlichen Lehre angenommen und nach den Regeln der Kunst geprüft und begründet haben. Diese als rückständig oder abergläubisch oder unaufgeklärt zu bezeichnen, ist noch kein vernünftiges Argument. Es ist nichts, wodurch sich ein vernünftiger Mensch überzeugen ließe.
Wer gehörte überhaupt zu dieser Aufklärungs-Gruppe und was haben diese Autoren behauptet? Gewöhnlich werden Christian von Wolff (1679-1754) und Christian Thomasius (1655-1728) zur Aufklärung gerechnet. Das ist seltsam, denn die Bezeichnung „Aufklärung“ kam in Deutschland erst nach 1770 auf. Zu dieser Zeit erst, also Jahrzehnte nach Thomasius und Wolff, entstand dann eine Gruppe von Autoren, die sich selbst „Aufklärung“ nannten. Mit der Ausnahme von Immanuel Kant waren dies keine besonders bedeutenden und keine wissenschaftlichen Philosophen. Es waren eher Journalisten oder Popularphilosophen, die gerade nicht besonders gründlich, nüchtern und präzise argumentierten. Einige Namen: Johann Karl Wilhem Möhsen (1722-1795), Johann Leonhard Reinhold (1757-1823), Moses Mendelssohn (1729-1786), Christoph Martin Wieland (1733-1813), Rudolph Zacharias Becker (1752-1822), Andreas Riem (1749-1814), Christoph Meiners (1747-1810).
Welche Thesen haben die Aufklärer vertreten? Das ist nicht so leicht zu erkennen, aber die Richtung ist klar: Sie haben die traditionellen christlichen Lehren, insbesondere die Annahme von Wundern, für unvernünftig und abergläubisch erklärt. Die Aufklärer wandten sich gegen die Annahme eines Schöpfergottes, der in den Lauf der Dinge eingreifen kann, gegen die Annahme eines Lebens nach dem Tode und gegen die Annahme der menschlichen Seele.
Argumente für diese Thesen haben sie so gut wie keine vorgetragen. Das ist meine Kritik an der Aufklärung: daß diese Autoren behauptet haben, sie hätten die Vernunft gepachtet und ihre Gegner seien abergläubisch, dabei aber keine ordentlichen Argumente entwickelt und vorgetragen haben. Das dauernde Gerede von Aufklärung und Vernunft war geradezu eine Strategie, um die argumentative Auseinandersetzung zu vermeiden. Die Aufklärung war das Gegenteil von Vernunft, es war reine Propaganda gegen das Christentum.
Christen hingegen haben in allen Jahrhunderten zuvor und auch seitdem und heute auf dem höchsten philosophischen Niveau ihrer Zeit die christliche Lehre analysiert, die Argumente ihrer Gegner diskutiert und Gründe für die Wahrheit der christlichen Lehre vorgetragen. Das gilt sowohl für die römisch-katholische Tradition, als auch für die lutherische, die reformierte, die pietistische und die baptistische Tradition. Wer einmal zum Beispiel Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin, Rudolph Goclenius (1547-1628), Christoph Scheibler (1589-1653), Hugo Grotius (1583-1645) oder Martin Knutzen (1713-1751) liest, die allesamt Christen waren und eine Seele angenommen haben und laut der Rhetorik der Aufklärer unaufgeklärt waren, wird feststellen, daß dies Philosophen waren, die ein beachtliches Maß an Präzision erreicht haben und denen die selbsterkorenen Aufklärer schwerlich das Wasser reichen können.
Heute wird oft verklärend von den „Errungenschaften der Aufklärung“ gesprochen. Gibt es die? Sehen wir uns den besten Kandidaten dafür an, nämlich die Meinungs- und Religionsfreiheit. Es ist meiner Einschätzung nach in der Tat so, daß das Christentum viel zu lange gebraucht hat, um das Recht des Menschen, nicht um seiner Meinungen willen belangt zu werden und seine Religion auszuüben, anzuerkennen. Das heißt nicht, daß alle Schauermärchen wahr wären, zum Beispiel daß die Christen nach Südamerika gezogen seien, um den Eingeborenen dort das Schwert an die Gurgel zu setzen und zu sagen: „Glaub oder stirb!“. Aber sowohl im Katholizismus als auch im Luthertum als auch unter Reformierten hat sich erst viel zu spät die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Regierung niemanden um seiner Meinungen oder seiner Religion Willen belangen oder vertreiben darf.
Kam die Religionsfreiheit von der Aufklärung? Das von den heutigen Aufklärern gerne gemalte Bild ist, daß es das dunkle Mittelalter gab und dann die Aufklärer als Lichtbringer gegen den Willen der Christen die Religionsfreiheit gebracht haben. Das ist aber nicht wahr. Die Religionsfreiheit wurde vor allem von Christen gefordert und eingeführt. Und zwar zuerst von den Täufern und „Dissentern“, sowohl gegen die katholische Kirche als auch gegen die Reformatoren. 1526 forderte der Täufer Balthasar Hubmeier eine strenge Trennung von Staat und Kirche. 1529 hingegen wurde auf dem Reichstag zu Speyer noch beschlossen, daß Täufer und auch Eltern, welche ihre Säuglinge nicht taufen lassen, ohne Verhandlung zu töten sind. Der reformierte Sebastian Castellio forderte 1554 gegen Calvin Religionsfreiheit. 1614 forderte der Baptist Leonard Busher völlige Religionsfreiheit. Vordenker der Meinungs- und Religionsfreiheit gab es früher schon, beispielsweise Erasmus von Rotterdam (1469-1536), Johann Gerhard (1582 – 1637) und der bedeutende deutsche Philosoph Rudolph Goclenius (1547-1628), der in seinem Buch “Conciliator philosophicus” von 1609 die Meinungsfreiheit forderte. Abgesehen davon haben schon im 15. Jahrhundert die in ihrer Heimat verfolgten Hussiten in Polen Zuflucht gefunden, und 1775 erhielt die Religionsfreiheit in Polen Verfassungsrang. Das ist fünf Jahre vor dem „Bill of Rights“ in den USA. Zu dieser Zeit hatte sich die „Aufklärung“ in Deutschland noch gar nicht formiert. Sie hat sich auf den schon fahrenden Zug aufgesetzt und dann behauptet, es sei ihr Zug.
Redetext von Daniel von Wachter, Prof. Dr. phil. Dr. theol „Hat die Aufklärung viel geleistet?“ “Nacht der Philosophie” Veranstaltung in der Kath. Akademie Daniel von Wachter, Prof. Dr. phil. Dr. theol., Professor für Philosophie an der Internationalen Akademie für Philosophie (an der Pontificia Universidad Católica de Chile) in Santiago de Chile. von-wachter.de , epost@von-wachter.de .
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