Literaturnobelpreisträger Günter Grass ist tot. Ein Querulant und Unruhestifter ist nicht mehr.

Der gute Günter Grass hat sich bis zu seinem Ende wie ein Zwiebel gehäutet. Wer allerdings mit einer Zwiebel rummacht, der bekommt tränende Augen. Der verliert dabei das Wesentliche aus dem Blickfeld. Gab er gerade deshalb viel Verwirrendes von sich? Zuerst kam seine WaffenSS-Biografie an die Oberfläche, dann seine Sehnsucht nach der untergegangenen linksfaschistischen DDR und zuletzt seine verschobene Israel-Optik. Seinen Glauben an Gott hatte er auch verloren. Wir denken an das Bild der gekreuzigten Ratte, oder an dieses Gedicht:  „DICH, Zweifel will ich kettenrauchend rühmen, / DICH, eingekellert und verlacht, / DICH, ohne Pass, des Thomas / „. 1974 tratt der ehemalige Messdiener aus Protest gegen die Haltung der Kirche zum Abtreibungsparagrafen 218 aus der Kirche aus. Der Mann irrlichterte zuletzt durch die politische Landschaft, in der Hoffnung, noch etwas Aufmerksamkeit zu erringen. Er hatte es ja auch schwer. Sein linksgestricktes Weltbild ist in allen Staaten der Welt am Verblassen. Jetzt wird er gelobt, bedauert und beerdigt. Was bleibt, ist seine Verwirrung. Er war ein großer Künstler, ein großes Irrlicht. Mehr nicht. Er war ein Prophet des Zweifels.

Johannes Hansen zu Günter Grass:

 

 

Günter Grass
und die Folgen

Nun also wissen wir es, Günter Grass ist auch nur ein Mensch. Wie du und ich? So nun auch wieder nicht, denn Günter Grass ist Bildhauer, Dichter und ein weltberühmter Autor. Dazu auch noch der Träger des Nobelpreises für Literatur. Mehr geht nicht, wer will da konkurrieren?

Dieser Mann ist tatsächlich auch nur ein Mensch. In mancher Hinsicht tatsächlich wie du und ich, also wir. Günter Grass gestand in einem Interview der FAZ, dass er zur Waffen-SS gehört hat, obwohl er bislang nur eine Art kleiner Soldat gewesen war. Das steht so auch in der Biografie. Alle Radio – und Fernsehnachrichten brachten es noch am selben Tag. An erster Stelle. Es ging ab sofort ein Sturm der Entrüstung nicht nur durch die Kulturlandschaft, er erreichte sogar die Stammtische. In BILD äußerte jemand in einem Leserbrief, er habe ja schon immer gewusst, dass dieser Grass ein unaufrichtiger Mensch sei. Bierdunst. Wer etwas auf sich hält, entrüstet sich jetzt. Die Intellektuellen und die Spießer vereinen sich. Inzwischen sind Stimmen der Mäßigung dazu gekommen. Auch der frühere Bundespräsident v. Weizsäcker äußerte sich so. Doch dieses Ereignis wird uns und die Welt noch länger beschäftigen. Oder auch nicht?

Was ist geschehen? – etwas genauer bitte. Günter Grass hat seine Biografie unter dem interessanten Titel „Beim Häuten der Zwiebel“ geschrieben, deren Erscheinen zunächst noch etwas warten sollte, doch dann „warf“ der Verlag scheinbar total überrascht das Buch schon Wochen vorher auf den Markt. Lag es an der Druckerei, fragte sich der etwas naive Bürger? Oder war es ganz anders? Der Autor hatte – wie gesagt – in einem Interview der FAZ geäußert, er sei als 17-Jähriger zur Waffen-SS eingezogen worden. Also als Knabe in diese üble Truppe, die von Reichsmarschall Heinrich Himmler in absoluter Treue zu dem unsäglichen Mann mit Namen Hitler geführt wurde.

Dieser Günter Grass ? Der große Moralist Deutschlands? Die „Wahrheitskeule“, so meinte jemand, der sich über die „endlose Adenauerzeit“ mit dem „katholischen Mief“ aufregte, doch ebenso entrüstet war, als Präsident Reagan und Kanzler Kohl auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg standen, wo auch Soldaten der Waffen-SS begraben sind.

Wenn Grass doch damals mit der „Häutung der Zwiebel“ begonnen hätte, ganz einfach menschlich und ehrlich. „Ich hätte dort auch liegen können.“ Auch das hätte eine Menge Lärm gegeben, doch von da an hätte Günter Grass mit seiner anerkannt großen literarischen Kraft ungezählten Männern in Deutschland und einigen Ländern Europas zur Wahrhaftigkeit helfen können. Sie hätten vielleicht den Mut gefunden, vor sich selbst und anderen ehrlich zu werden. Manche vielleicht sogar vor Gott, der mit Mief absolut nichts zu tun hat. Hätte, könnte, was soll es, er hat geschwiegen. Grass saß nun mal auf der bekannten langen Bank und rutschte und rutschte und rutschte, bis er jetzt am anderen Ende von der Bank fiel. Darf man Gorbatschow zitieren? „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Schluss mit der Neigung zur Ironie, zum Nachrechnen und zur Arroganz. Besonders sei Schluss mit der ach so „christlichen“ Betonung der Schuld des Günter Grass. Immerhin hat er es jetzt ausgepackt, reichlich spät und auch mit ein bisschen zu viel Geklimper. Viele seiner Freunde und die amerikanische Armee wussten es doch längst. Er wollte offenbar bei seinen achtzig Lebensjahren nicht mit diesem Klotz am Bein in die Grube sinken. Er wollte diese verschwiegene biografische Geschichte in den großen Zusammenhang stellen, so zu Wickert im SPIEGEL.

Verharren wir nun doch lieber ein wenig bei uns. Wir sind ja, wie gesagt, auch nur Menschen. Wie Günter Grass. Wo liegen bei uns die Leichen im Keller, wo steht die lange Bank, auf der wir rutschen und rutschen? Und ist es nicht an der Zeit, dass wir die Zwiebel häuten? Gustav Heinemann, der Unvergessliche, hat es im Bundestag vorgeführt, dass man jeweils mit vier Fingern auf sich selbst zeigt, wenn man mit einem auf jemand Anderen zeigt. Setzen wir also den Zeigefinger bei dieser guten Gelegenheit auf die eigene Brust.

Ich habe es vor vielen Jahren einmal unter dem Predigtthema „Wer ist der Mensch?“ auf der Kanzel einer Citykirche in einer süddeutschen Großstadt versucht, das Häuten einer Zwiebel auf der Suche nach dem Kern derselben vorzuführen.  Doch dann habe ich davon abgelassen, weil mir die Tränen kamen und ich den Predigttext der Bibel kaum noch lesen konnte. Die große Gemeinde nickte Zustimmung, als ich sie fragte. Man kann wohl das Heulen kriegen, wenn man sich bis in die Tiefen seines Lebens entblättert. „Denn da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Heulen.“ (Psalm 32) Zu hoch gegriffen, zu sentimental? Wir sind doch nur Menschen, wie auch Günter Grass. Ihm täte es gut, uns auch, wenn wir ganz ehrlich sein könnten vor uns selbst und vor Gott. Doch nun nichts mit „würden“ und „könnten“, tun wir es doch einfach. archiv.gott.net/1870.html

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