Zitat des Tages

Der Physiker Hans Peter Dürr, Direktor des
Münchner Max-Planck-Instituts, beantwortete die
Frage „Was hat Wissenschaft mit der Wirklichkeit zu
tun?“ einmal mit einem Gleichnis: Ein Mann sitzt am
Ufer und fängt Fische. Ein Wanderer kommt vorbei
und fragt ihn: „Was tust du?“ – „Ich fange Fische.“
– „Was kannst du über Fische aussagen?“ – „Sie sind
alle mindestens fünf Zentimeter lang.“ Der Wanderer
lässt sich das Netz zeigen. Es hat Maschen mit
einem Umfang von fünf Zentimetern. Daraufhin
sagt er: „Wenn es kleinere Fische als fünf Zentimeter
gäbe – und ich meine, solche gesehen zu haben –, so
könntest du sie nicht fangen, sie würden durch dein
Netz hindurchschlüpfen.“ Darauf der Fischfänger
mit Selbstbewusstsein: „Was ich nicht fangen kann,
ist kein Fisch.“
So arbeitet die Wissenschaft: Sie hat ein bestimmtes
Netz und fängt damit bestimmte Fische oder,
um es etwas abstrakter zu sagen: Sie stellt bestimmte
Fragen und erhält darauf bestimmte Antworten.
Wonach sie nicht fragt, darauf bekommt sie auch
keine Antworten. Nach Dürr gibt es einige „Fische“,
die man mit den Netzen der Wissenschaft prinzipiell
nicht einfangen kann: ästhetische Fragen (was
ist Schönheit?) und religiöse Fragen. Stellen wir uns
Gott als jemand vor, der alles geschaffen hat, auch
uns mit unseren Netzen – mit welchem Netz welcher
Wissenschaft sollten wir ihn einfangen können? Das
ist prinzipiell nicht möglich. Wir können über Gott
nur dann Aussagen machen, wenn er sich uns Menschen
mitteilt, da er sonst weit über unser Begriffsvermögen
hinausreicht.
Wissenschaft ist ein Zugang zur Wirklichkeit,
aber nicht der allein gültige. Viele für uns wichtige
Erfahrungen religiöser und künstlerischer Art kön-
nen mit Wiegen, Messen und Beobachten nicht einmal
annähernd erfasst werden. Diese Einschränkung
mindert nicht den Wert der (Natur-)Wissenschaften
für unser Leben (denken wir allein an den medizinischen
Fortschritt), weist aber auf ihre Grenzen hin.
Glaube und Wissenschaft sind keine Gegensätze.
Viele Wissenschaftler haben sich mit den Gesetzen
der Natur beschäftigt, weil sie von einem Gesetzgeber
fest überzeugt waren. Schließlich sollte man
noch bedenken, dass Wissenschaftler sich zwar auf
ihrem Gebiet meistens sehr gut auskennen und oft
auch Hervorragendes leisten; häufi g werden sie aber
über Gott befragt, obwohl sie darüber nicht mehr zu
sagen haben als ein Bäcker, Polizist oder Manager.
Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn des
Ganzen sind sie nicht zwangsläufi g kompetenter als
andere Menschen. Hier helfen einem keine akademischen
Abschlüsse.
Der Kirchenvater Augustinus (354–430) sah eines
Tages einen Jungen am Meer spielen und schaute
ihm eine Weile zu. Der Junge schöpfte geduldig mit
einer Muschel Wasser aus dem Meer in eine Kuhle,
die er im Sand gegraben hatte. Als Augustinus ihn
fragte, warum er das tue, antwortete der Junge: „Ich
versuche, das Meer in diese Kuhle zu schöpfen.“ Augustinus
spürte, dass er die Antwort auf sein Suchen
erhalten hatte: Gott ist unermesslich wie das Meer.
Wenn man mit dem menschlichen Verstand versucht,
ihn ganz und erschöpfend zu erfassen, ist man
ein Knirps, der sich übernimmt. Diese Geschichte
sagt auch noch etwas anderes: Es ist unmöglich, das
Meer auszuschöpfen, aber man kann beginnen, sich
um die Erkenntnis Gottes zu bemühen. (Christentum und Gesellschaft –
Wovon wird unser Denken beeinflusst?
Jochen Klein)

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