Ich las von einem Jungen, der alles, was er fand, in seine Hosentasche steckte, so auch eines Tages einen merkwürdigen weißen Steinbrocken, den er auf einer Baustelle entdeckte. Anschließend watet er mit seinen Freunden in den nahen Dorfteich. Plötzlich beginnt er mörderisch zu schreien: „Es brennt, es brennt! Mein Bein brennt!“ Die Kameraden halten ihn für verrückt: Wie kann es mitten im kühlen Wasser brennen? Doch der Kleine setzt sein verzweifeltes Geschrei fort: „Hilfe, mein Bein brennt!“ Tatsächlich zeigt sich dann am Oberschenkel eine so tiefe Brandwunde, daß sofort ärztliche Hilfe nötig ist. Bei dem seltsamen Steinbrocken handelte es sich um gebrannten, ungelöschten Kalk. Wir wissen: Wenn solcher ungelöschter Kalk mit Wasser in Berührung kommt, setzt ein intensiver chemischer Prozeß ein, der von Zischen und Sieden und mächtiger Wärmeentwicklung begleitet ist.
Das mag ein schwaches Bild sein für das, was geschieht, wenn Gottes Gesetz mit dem gefallenen, Gott entfremdeten Menschen in Kontakt kommt, wenn „Geist“ auf „Fleisch“ stößt. Gottes Gesetz, das ist die Summe des guten göttlichen Willens, der auf Leben aus ist (Röm 7,10 „zum Leben gegeben“). Es ist – wie Paulus sagt – „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12), ja „geistlich“ (7,14). Es trägt also Gottes Art an sich, kommt von ihm, ist sein heilsames Gebot, seine helfende Weisung (Tora). Aber dieses göttliche Gesetz stößt nun auf den Sünder, auf den von Gott abgesonderten Menschen. „Fleisch“ ist dieser Mensch (Röm 7,18). „Fleisch“ – das hat nichts mit Biologie zu tun und dem Metzgerladen, auch nichts mit der idealistischen Unterscheidung zwischen dem Materiell-Triebhaften und dem Vernünftig-Geistigen im Menschen. „Fleisch“ meint nicht etwas, eine niedere Schicht im Menschen, sondern ist ein Ganzheitsurteil: „Fleisch“ ist der Mensch in seinem Widerstand gegen Gott, in seinem Wahn, wie Gott sein zu wollen. Dieses „Fleisch-Sein“ des Menschen äußert sich in doppelter Weise: als Selbst-Sucht und als Welt-Sucht.