Mein Vater war **** . Mein Vater war Träger vom goldenen Parteiabzeichen, und es war alles sehr auf Drill ausgerichtet. Ich habe nur auf den Moment gewartet, an meine Mutter die Rosinen im Kuchen in Reih und Glied ausrichten musste. Mir hat er immer vorgeworfen ‘Aus dir wird nie ein Soldat, aus dir wird nie ein Mann’.
Gerhard wächst als Einzelgänger auf. Mit den Kindern der zumeist sozialdemokratisch oder kommunistisch orientierten Nachbarn, darf er nicht spielen: in der Schule mag man ihn ebenso wenig. Erst als er sich mit 17 freiwillig zur Wehrmacht meldet, erlebt er so etwas wie Kameradschaft.
1945 – mit 19 Jahren also – gerät er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wird bald entlassen und kehrt nach Hause zurück. Der Vater hat den Krieg nicht überlebt. Er wurde 1945 beim Einmarsch der Russen erschossen. Gerhards Elternhaus gehört mittlerweile der französischen Besatzung, doch hat seine Mutter eine kleine Wohnung darin behalten dürfen. Eine fremde Familie wohnt nun im Haus. Es sind ehehemalige Widerstandskämpfer. Gerhard verliebt sich in die 18jährige Tochter der Leute, die beiden verloben sich, ein Kind wird geboren.
Um finanziell unabhängig zu sein, arbeitet Gerhard für die Franzosen, die ihm zudem versprechen, dass er sein Elternhaus zurückbekäme, wenn er nur gute Arbeit leisten würde. Seine Aufgabe: Fluchthilfe. Fachkräfte aus dem Erzbergbau in der Ostzone sollten in den Westen geschleust werden. Doch er wird verraten und verhaftet. Das Urteil: Lebenslängliches Arbeitslager.
Er kommt in das Lager Bautzen im Südosten der DDR. Die Bedingungen dort sind unmenschlich. Jeder Schlafsaal ist mit 400 Mann überbelegt, täglich sterben 10 Häftlinge oder mehr. Es gibt keine Schreiberlaubnis und auch keine sinnvolle Arbeit zu tun.
Die meisten Insassen resignieren und geben sich innerlich auf. Man lässt sich tätowieren, das ist eine Art Symbol dafür, was es heißt gezeichnet zu sein, unwiderruflich, für`s ganze Leben eben.
Nach einem Jahr die erste Schreiberlaubnis: Die Mutter erfährt, wo ihr Sohn sich befindet, sie überlebt diese Nachricht nicht. Gerhard erhält die Nachricht vom Tod seiner Mutter erst nach ihrem Begräbnis.
Die Verlobte hatte versprochen zu warten, sie hält Kontakt – 8 Jahre lang. Da wird Gerhard unerwartet begnadigt und nach Westdeutschland abgeschoben. Als er nach Westberlin zu seiner Braut fährt, erwartet ihn ein weiterer Schock. Er sagt: “8 1/2 Jahre lang hat sie mich besucht, unter ihrem Mädchennamen geschrieben, Pakete geschickt und dann komm’ ich ‘raus und finde gar nicht mehr das Mädchen, sondern finde ein verheiratete Frau, die mit meinem besten Freund verheiratet ist. Ihre Entschuldigung war, sie wollte es mir in der Zeit nicht noch schwerer machen.“
Trotz aller bisheriger Enttäuschungen beschließt Gerhard sein Leben nun für andere zu leben: Er wird Krankenpfleger. Nach seiner Ausbildung arbeitet er in einer Einrichtung für Behinderte in Hannover. Hingebungsvoll kümmert er sich um spastisch gelähmte und Contergan-geschädigte Kinder.
„Dann habe ich bewusst die Arbeit genommen bei körperbehinderten Kindern, und es war herrlich, es war wunderbar. Die guckten nicht auf Tätovierungen, die guckten darauf, dass da jemand ist, der hat uns lieb. Sie brauchten mich ja als Hand, als alles. Es war ein schöne Zeit.“
Die Reaktionen auf seine Arbeit sind sehr gemischt. 1964 stirbt Gerhards Chef, sein Nachfolger wirft ihn alerdings raus. Seine Tätowierungen würden das das Betriebsklima stören. Gerhard beschließt: „Jetzt erst recht! Entweder man akzeptiert ihn wie er ist oder eben nicht. In Hamburg lässt er sich am ganzen Körper tätowieren. Dadurch wird er interessant und berühmt: In Hamburgs Szenenkneipen kennt man ihn bald genauso gut wie im Fernsehen und bei den Hell`s Angels, der berüchtigten Rockertruppe. Gerade bei den Rockern findet Gerhard, was er bisher vergeblich gesucht hat: Er wird angenommen, wie er ist. Um dazuzugehören, verschreibt er sich dem Satan, wie das Rockergesetz es will. Von nun an tut er Dinge, an die er später nur noch mit Grauen denkt, er wird zum Sinnbild für Gewalt.
„Ich habe Gewalt ausgeübt … was ich heute nicht mehr begreifen kann. Ich kann heute nicht mehr begreifen, dass wenn jemand am Boden gelegen hat, ich noch mit Kampfstiefeln draufgetreten habe. Selbst, wenn der an den Folgen gestorben ist, war ich damals stolz darauf. Heute möchte man alles rückgängig machen.“
Das Fernsehen hatte schnell einen Narren gefressen an diesem tätowierten Rocker mit dem Nasenring und dem Irokesenhaarschnitt: Durch eine NDR-Talkshow wird ROCKY, wie er sich nun nennt, schnell berühmt, eine Plattenfirma produziert eine Single mit ihm. Und eines Tages ruft Udo Lindenberg dort an: Er will genau diesen tätowiertenHerrn unbedingt für seine Show haben.
Mit Udo verbindet ihn bald eine echte Freundschaft; Ein Lied entsteht über ihn. Gerhard genießt es, als Anheizer bei Udos Shows mitzuwirken, doch es geht ihm nicht anders als vielen anderen Bühnenstars: Nach dem Applaus der Massen empfindet er allerdings Einsamkeit und Depressionen.
„Wenn da mit einem Mal 8.000 Leute „Rocky“ rufen, Wunderkerzen und Feuerzeuge anmachen, dann ist das ein tolles Gefühl. Es ist wunderschön solange man noch im Theater ist, wo man umlagert ist von Autogrammjägern … Und dann kommt ‘ne Zeit wo du dich ausgesprochen beschissen fühlst, so allein, so verlassen, oft allein in den Hotelzimmern, wo alles gleich ist … ob ich in München, Hamburg oder Frankfurt bin …“
„Wie ich dann näher mit Udo zusammenkam merkte ich, er ist ja nicht der im Leben, der er auf der Bühne ist, denn es ist eine gemachte Show, wo er ‘rumspringt und wirklich den Kasper für’s Publikum macht. Und wenn man ihn alleine hat, dann merkt man, das ist ein Mensch, der sensibel ist, der voller Gefühl ist, der suchend ist, auch mit dem Alleinsein sehr schwer fertig wird. Wenn er sich, sehen lässt, dann sieht man ja gar nicht den Menschen, man sieht immer Udo LIndenberg. Wie es in ihm aussieht, dass er Schmerz trägt, dass er Sorgen hat, dass sieht dann keiner.“
Von 1976 bis 1984 ist Rocky mit Udo Lindenberg unterwegs. Gegen seine Depressionen und das Lampenfieber hilft bald nur noch Kokain, dass ihm von Musikerkollegen empfohlen wurde. Auch mit Heroin macht er bald Bekanntschaft. Bei der Fernsehaufzeichnung der Show „Götterhämmerung“ bricht Gerhard Bauer dann zusammen. Die Produktion muß abgebrochen werden. Im Krankenhaus stellt sich heraus: Gerhard hat Krebs. Die Ärzte geben ihm kaum noch Überlebenschancen.
Während des Krankenhausaufenthaltes muß ROCKY ernüchtert feststellen, dass fast alle seiner Freunde aus erfolgreicheren Tagen auf Distanz zu ihm gehen. Rocky wird zwar aus dem Krankenhaus entlassen, ist aber vom Krebs gezeichnet.
Im Sommer 1985 begegnet er am Altonaer Bahnhof einer christlichen Pantomimegruppe. Gerhard will das Weite suchen, „mit solchen Leuten will er nichts zu tun haben.“ Da wird er von einem jungen Mann aufgehalten und in ein Gespräch verwickelt. In diesem Gespräch macht Gerhard eine ungeahnte Erfahrung: Es geht nicht um ROCKY, den Exoten, sein Aussehen, seine Tätowierungen, seine Bühnenshows mit Udo Lindenberg, seine Platten- und Fernsehaufnahmen. Der junge Unbekannte meint ihn als Person, mit all seinen Wunden und Verletzungen. Im Laufe des Gespräches lädt Hans, so heißt der junge Mann, ROCKY ins Kaffee ein. Rocky kommt tatsächlich dort hin.
Sechs Stunden spricht ROCKY dort mit Hans, schüttet sein Herz aus wie noch niemandem zuvor. Er findet den Mut, sich seinen Verletzungen zu stellen, denen, die er erlitten hat genauso wie denen, die er anderen zugefügt hat und erlebt, dass es auch für ihn einen neuen Anfang gibt. Er spürt, was es heißt sein Leben loszulassen und Gott anzuvertrauen.
„Ich spürte ganz mächtig auf einem Mal eine ganz andere Kraft. Ein Mensch hätte mich niemals dazu gebracht, meinen Schmuck und mein Leder abzulegen. Das wäre so nicht gegangen.
In der Christlichen Gemeinde Hamburg-Ottensen, die er durch seinen neuen Freund kennen lernt, wird er so vorbehaltlos angenommen, dass er sich dort spontan zu Hause fühlt. Die Gemeinde ist ihm Stütze und Begleitung auf seinem neuen Weg“ und auch sie verändert sich durch Rocky, der durch sein Aussehen und Auftreten den bürgerlichen Rahmen sprengt. Nun hat er die Annahme und Geborgenheit gefunden, nach der er ein Leben lang gesucht hat: Wonach er sich gesehnt hat, sagt er selber in einem Lied, dass Jahre zuvor entstand.
Am 1. September 1985 wird Gerhard Bauer in seiner Gemeinde getauft. Gerhard Bauer macht aus seinem neuen Leben keinen Hehl. Seine Veränderung spricht sich schnell herum. Der hat sich bekehrt, heißt es in der Szene.
Doch viel Zeit ist ihm nicht mehr vergönnt: Im Sommer 1986 muß er wieder ins Krankenhaus seine Leber ist völlig zerfressen, die andere arbeitet nur noch zu 20%. Doch gerade vom Krankenbett, vom Sterbebett aus wird er vielen zum Seelsorger. Auf die Frage, warum er, der doch so viel Schlimmes erleben musste, noch an einen liebenden Gott glauben könne, antwortete er:
„Er ist schon lieb zu mir gewesen, denn man kennt ja das (Bibel-)Wort ‘Klopft an so wird euch aufgetan’. Ich habe nicht angeklopft. Ich bin aber den HERRN nicht suchen gegangen, absolut nicht. Aber der HERR hat mich damals schon geliebt und hat mich jetzt aus dem ganzen Sumpf herausgezogen. Er ist mich nachgelaufen an den verschiedensten Orten, wenn ich heute überlege.“
Autor: Peter Athmann