Sind Glaube und Wissenschaft Gegensätze?

Sind Glaube und Wissenschaft Gegensätze? Wenn man sich den Bibeltext, 1. Kor. 1, 18-31 anschaut, könnte man das fast so sagen.

Da heißt es im Vers 27, dass nicht viele Weise, Mächtige oder Angesehene berufen sind. Paulus zitiert hier auch aus Jesaja 29: „Ich werde die Weisheit der Weisen zunichte machen und die Erkenntnis derer, die sich auf ihren Verstand verlassen, werde ich ins Nichts laufen lassen.“ Das klingt nicht gut für Weisheit und für Wissenschaft, für Glaube und Wissenschaft. Wenn man sich die Statistiken ansieht, dann hat Paulus wohl mit diesem Votum recht. Wo sind denn die Weisen dieser Welt, wie viele gibt es denn, die wirklich an Gott glauben? Und diese Statistiken kennt natürlich auch Richard Dawkins, der führende Vertreter des Neuen Atheismus. Man hat in den USA die Topwissenschaftler der National Academy gefragt, ob sie an Gott glauben – es waren weniger als zehn Prozent. Das bedeutet also, je intelligenter, um so weniger glaubt jemand an Gott. Das ist jedenfalls die Schlussfolgerung von Richard Dawkins. Wir hatten hier in Marburg mit den „Fropos“, den frommen Professoren, auch einen Diskussionsabend zu Richard Dawkins. Einer der Studenten hat in der Diskussion den Professoren tatsächlich vorgeworfen, dass intelligente Professoren nicht an Gott glauben. Das kann man statistisch belegen. Glaube und Wissenschaft schließen sich also laut Dawkins aus. Doch, was wollen wir mit einer solchen Umfrage, mit einer solchen Statistik anfangen? Ist sie ein Beweis gegen die Existenz Gottes? Wohl kaum! Denn seit wann hängt die Gottesfrage von der Mehrheitsmeinung einer sozialen Gruppe ab? Man könnte ja ebenso gut auch Millionäre befragen – möglicherweise wäre da der Anteil von Gottesgläubigen auch nicht so hoch. Topwissenschaftler, ohne jemanden zu nahe zu treten, haben meistens ein sehr spezielles Spezialgebiet. Sie sind deshalb so gut, weil sie sich auf eine Sache beschränken können. Da gibt es Leute, die forschen hauptsächlich über Fruchtfliegen oder Ameisen. Die Frage ist, warum sollten sie kompetent sein, etwas über die Existenz Gottes aussagen zu können? Oder warum sollten sie kompetenter sein als andere Menschen? Vor Kurzem hörte ich ein Interview mit einem in seinem Fachgebiet weltweit bekannten Wissenschaftler. Er gestand, seit seinem Studium habe er nur Bücher gelesen, die sich mit seinem Studienfach beschäftigen. Wieso sollte dieser Mann kompetent sein, über sein Fach hinaus sinnvolle Äußerungen zu machen? Zurück zum Korintherbrief. In der Geschichte gab es immer wieder Leute, die diese Stelle so aufgefasst haben, als würde Paulus sich gegen Verstand und Denken äußern. Das ist aber nicht der Fall. Das kann man schon im Korintherbrief selbst sehen. Wenig später in Kapitel 14 sagt er: Seid keine Kinder im Denken. Oder Jesus sagt, dass wir Gott lieben sollen mit allem, unserem Herzen, Sinn und Verstand (Matthäus 22). Oder ein Vers, den ich ganz besonders geeignet finde für Wissenschaftler, Psalm 111, 2: „Groß sind die Werke des Herrn; wer sie erforscht, der hat Freude daran“. Das ist doch ein Aufruf zur Wissenschaft: die Werke erforschen! Der erste Vers in diesem Psalm ist besonders interessant. Der Psalm beginnt nämlich mit den folgenden Worten: „Ich danke dem Herrn von ganzem Herzen.“ Das heißt, am Anfang der Forschung steht die Dankbarkeit über die Größe der Welt Gottes, zu der wir auch gehören. Ich danke dir, dass du mich wunderbar geschaffen hast. Und zu der Größe der Welt, die wir erforschen können. Vielleicht liegt hier gerade das Problem im Verhältnis zur Weisheit dieser Welt. Denn wer dankt, gibt zu, dass er abhängig ist. Wer Gott dankt, weiß, dass er sein Leben eben nicht sich selbst verdankt. Es könnte sein, dass das doch vielen Menschen schwer fällt, zuzugestehen, dass wir nur geschaffene Wesen sind. Wir verdanken unser Leben nicht uns selbst. Aber Dankbarkeit ist etwas ganz Wichtiges. Chesterton hat einmal geschrieben: Für einen Atheisten beginnt das Hauptproblem damit, dass er, wenn er in den Wald geht und begeistert über die Natur ist, niemanden hat, dem er danken kann. Da geht sozusagen das Problem los. Zum Danken gehört immer auch jemand, dem man dankt. Im Neuen Testament gibt es zwei Stellen, wo es heißt, dass die Verfinsterung unseres Denkens mit der Undankbarkeit beginnt. Vielleicht ist das ein Problem der Weisen dieser Welt. Dass sie meinen, oder in der Gefahr stehen, ihr Leben, ihre Leistungen, ihre Möglichkeiten sich selbst zu verdanken. Es ist sicher ein Problem der Weisen, Mächtigen und Angesehenen in dieser Welt, die überall auch hofiert werden, dass sie denken, sie haben das alles sich selber zu verdanken. Und dass sie deshalb nicht offen dafür sind, dass einem anderen, nämlich dem, der sie geschaffen hat, diese Dankbarkeit gehört. In unserem Text heißt es ja, der „Verstand der Verständigen“, oder, wie es in einer neuen Übersetzung heißt, „die sich auf ihren Verstand verlassen“. Vielleicht ist das die Gefahr der Weisen, Mächtigen und Angesehenen in dieser Welt, dass sie sich hauptsächlich auf ihren eigenen Verstand verlassen und sich selber rühmen wollen. Im Text heißt es im Gegenteil: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.“
Den Verstand gebrauchen, auf Gott vertrauen
Nach der Bibel sollen wir unseren Verstand gebrauchen, wir sollen ihn einsetzen. Aber wir sollen nicht auf ihn vertrauen, sondern wir sollen auf Gott vertrauen. Es ist sogar so: Wenn wir auf Gott vertrauen, sollen wir den Verstand gebrauchen. Gerade auch dann, wenn es darum geht, die Offenbarung Gottes über sein Kreuz und seine Auferstehung zu erfassen, müssen wir auch unseren Verstand einsetzen. Und auch wenn wir Vorträge oder Bibelarbeiten hören. Wir brauchen unseren Verstand, wenn wir die Offenbarung Gottes in unserem Leben und in dieser Welt erfassen wollen. Die entscheidende Frage scheint mir also zu sein: Wem vertrauen wir: Gott oder unserem Verstand? Dawkins sagt: Glaube ist Wunschdenken. Aber ist es nicht eher umgekehrt? Muss man nicht sagen, dass Atheismus Wunschdenken ist? Der Psychotherapeut Manfred Lütz hat in seinem Buch „Gott. Eine kleine Geschichte des Größten“ geschrieben: Es ist der Wunsch nach der sturmfreien Bude. Atheismus – der Wunsch nach der sturmfreien Bude. Dass uns niemand hereinredet, gerade in unserer wissenschaftlichen Forschung. Das kann man auch sehr schön in den Texten und Interviews von Dawkins sehen. Er regt sich vor allen Dingen darüber auf, wenn man etwa über Embryoforschung diskutiert, dass immer irgendwelche Komitees gebildet werden und dort immer auch Bischöfe drinsitzen. Was haben die da zu suchen?, fragt Dawkins. Das sollten die Wissenschaftler doch alleine machen. Die Aggressivität der Neuen Atheisten rührt vielleicht gerade daher, so der Philosoph Robert Spaemann, dass sie befürchten von religiösen Menschen in ihrer Forschung aufgehalten zu werden. Aufgehalten, ihrer Forschung ohne Rücksicht auf Verluste ganz frei zu folgen. Vielleicht ist es ja ganz gut, dass es noch Menschen gibt, die nicht nur die Forschung als das Oberste ansehen. Wunschdenken, der Wunsch nach der sturmfreien Bude, das könnte die Grundlage des Neuen Atheismus sein. Wenn wir jetzt sagen, wir sollen und wollen aber unserem Verstand vertrauen, was bei Dawkins ganz an oberster Stelle steht, dann ist ja die Frage: wem vertrauen wir da eigentlich? Seiner Meinung nach gibt es nur die physikalische Welt. Das bedeutet, auch unser Verstand ist nur ein Produkt der physikalischen Welt. Gestartet von geistloser Materie. Warum sollte das, was dieser Verstand herausbringt, wahr sein? Warum sollten wir dem, was dieser Verstand denkt, vertrauen? Robert Spaemann hat sich sehr intensiv mit Dawkins und seinen Thesen beschäftigt. Er hat schon vor einigen Jahren geschrieben: Wenn das stimmen würde, dass am Anfang irrationale Materie steht, dann wird das bedeuten, dass unser Verstand nur eine Variante von Unverstand ist. Warum sollte das wahr sein, was wir denken? Ist es nicht von daher viel sinnvoller und für die Wissenschaft auch viel bedeutender, davon auszugehen, dass hinter dieser Welt nicht die Absurdität, die geistlose Materie steht, sondern eine fundamentale Rationalität? Hinter dieser Welt steht ein Gott, der mit seiner schöpferischen Intelligenz diese Welt geschaffen hat. Und weil das so ist, hat es auch einen Sinn, zu forschen! Von daher ist es auch kein Zufall, dass die moderne Naturwissenschaft auf dem Boden des jüdisch-christlichen Denkens entstanden ist. In dem Vertrauen darauf, dass hinter dieser Welt nicht das Absurde liegt, sondern eine fundamentale Rationalität steht. Trennung von Glaube und Wissenschaft
Ratio im Lateinischen heißt sowohl Verstand als auch Grund. Nach dem Atheismus ist unser Verstand ohne Grund. Aber im Glauben an Gott hat unser Verstand einen Grund. Gott ist der Grund dieser Welt, und deshalb lohnt es sich auch, die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt zu erforschen. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass sehr viele der bedeutenden Wissenschaftler in der Geschichte überzeugte und gläubige Christen waren. Die Frage ist natürlich, wie kam es dann zur Trennung zwischen dem Glauben an Gott und Wissenschaft? Sicherlich sind hier einige Punkte zu nennen. Ich möchte zwei herausgreifen. Das erste war die im 17. Jahrhundert aufkommende Praxis, wissenschaftliche Erkenntnis unabhängig von einer Weltanschauung zu bewerten. Das heißt, ob man an Gott glaubt oder nicht, die Naturgesetze stimmen auf jeden Fall. Das ist ein ganz wichtiger Schritt gewesen: Naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind unabhängig von weltanschaulichen Voraussetzungen. Deshalb gibt es heute Wissenschaftler, die an Gott glauben und solche, die es nicht tun. Man kann offensichtlich die Welt, in der wir leben, sowohl aus einer theistischen Perspektive betrachten, als auch aus einer atheistischen Perspektive. Die Welt so zu betrachten, als gäbe es keinen Gott, nennt man den methodischen Atheismus. Problematisch ist das, wenn man von diesem methodischen in einen dogmatischen Atheismus übergeht (zu glauben, es gibt keinen Gott). Wenn ich zum Beispiel morgens meine Kaffeemaschine anmache, muss ich nicht daran glauben, dass Gott dahinter steht. Die Maschine funktioniert sowieso, normalerweise. Auch die Naturgesetze funktionieren ohne Gott (sozusagen der methodische Atheismus). Daraus, dass wir also leben können, als gäbe es keinen Gott, zu folgern, dass es wirklich keinen Gott gibt, ist aber eine Grenzüberschreitung! Das ist für viele Wissenschaftshistoriker der erste wesentliche Schritt gewesen, der dazu führte, dass sich die Wissenschaft vom Glauben und Vertrauen auf Gott getrennt hat.
Zweitens: In der Mitte des 18. Jahrhunderts sind einige Dinge geschehen, die das Lebensweltgefühl der Menschen fundamental verändert haben.
Der Gießener Philosoph Odo Marquard schreibt, dass in dieser Zeit die Begriffe alle neu definiert wurden. Er weiß einiges darüber, denn er war lange Jahre der Mitherausgeber des Historischen Wörterbuchs der Philosophie. Was ist da passiert? In diesen Jahren wurde sehr viel erfunden. Eine der wichtigsten und interessanten Erfindungen war im Jahre 1751 der Blitzableiter. Das mag lustig klingen, aber ein Blitzableiter bedeutet, dass das Handeln in der Natur nicht auf Gott zurückgeführt werden muss, sondern umgeleitet werden kann. Es ist kein Strafhandeln Gottes, was in der Natur passiert. Und das war durchaus richtig. Wenige Jahre später, 1755, kam etwas ganz Erschütterndes, das Erdbeben von Lissabon. Eine der verheerendsten Naturkatastrophen der europäischen Geschichte, bei dem die portugiesische Hauptstadt fast vollständig zerstört wurde. Vor einigen Jahren, angesichts des Tsunami, wurde dieses Erdbeben wieder groß in der Presse dargestellt. Es gab also einerseits die vielen Erfindungen jener Zeit, die zeigten, wie der Mensch nach und nach die Welt beherrschen und sich gefügig machen kann. Gleichzeitig ließ die Zerstörung Lissabons die Zeitgenossen zweifeln, dass hinter dem Handeln dieser Welt wirklich ein Gott stehen könnte. Dies alles führte zu einer Veränderung des Lebensweltgefühls der Menschen. Man kann das an einem ganz signifikanten Beispiel darstellen. Im Jahr 1756 tauchte erstmalig der Begriff der Geschichtsphilosophie auf. Vorher sprach man von Geschichtstheologie. Das heißt, Gott war der, der in der Geschichte handelt. Mit der Begriffsänderung ist nicht Gott der Handelnde in der Geschichte, sondern der Mensch. Philosoph Odo Marquard weist darauf im Zusammenhang mit Lissabon und der Gerechtigkeitsfrage hin. In einer etwas ironischen Art hat er es folgendermaßen formuliert: Man sprach Gott frei wegen der erwiesensten aller Unschuld, wegen Nichtexistenz. Sozusagen der Atheismus ad maiorem Dei gloriam (deutsch: zur größeren Ehre Gottes, Anm. d. Red.). Gott hat damit gar nichts zu tun, es gibt ihn überhaupt nicht. Was aber nichts daran ändert, dass es weiterhin Übeltaten und das Böse in der Welt gab, und der Mensch vor der Frage steht: Wer ist schuld an dem Bösen in dieser Welt? Festzuhalten ist, dass diese Ereignisse bei der Trennung von Wissenschaft und Gottesfrage einen enormen Schub ausgelöst haben. Und heute? Richard Dawkins sagt: Die Frage nach Gott kann man wissenschaftlich entscheiden. Aber das wäre nur der Fall, wenn Gott ein Teil der materiellen Welt wäre. Denn die Wissenschaft, die Naturwissenschaft, hat es nur mit der materiellen Welt zu tun. Aber Gott ist kein Teil der materiellen Welt. Er hat die Welt geschaffen. Er ist der Grund dieser Welt, aber er ist nicht Bestandteil davon. Deshalb ist es ein Irrtum zu glauben, wir könnten über Gott naturwissenschaftlich Aussagen machen. Naturwissenschaft beschreibt ja nur, wie etwas ist. Die Schlussfolgerungen müssen wir aus anderen, aus Plausibilitätsgründen ziehen. Mir scheint es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich glaube, dass mein Verstand von Gott kommt und ich von daher auch in der Lage bin, die Dinge zu erforschen – oder ob ich glaube, dass mein Verstand nur das Produkt blinder Materie ist. Wieso sollte das, was der Verstand herausfindet, wahr sein? Die Bibel sagt nun, dass Gott diese Welt geschaffen hat. Er ist der ungeschaffene Urgrund dieser Welt. Von daher hat es einen Sinn, sich mit Wissenschaft und Forschung zu beschäftigen. Wir brauchen unseren Verstand, weil eben Glaube und Wissenschaft keine Gegensätze sind. Wir sollen im Verstand keine Kinder sein, sondern wir sollen den Verstand einsetzen. Wir brauchen den Verstand sogar, um die Offenbarung Gottes in einer richtigen Weise zu erfassen. Und auch um sie in einer richtigen Weise weiterzugeben, das ist der Auftrag der SMD. Weil das so ist, schließe ich mit dem Wort des Psalms 111, eine Aufforderung zur wissenschaftlichen Arbeit: „Groß sind die Werke des Herrn, wer sie erforscht, hat Freude daran.“ Dr. Jürgen Spieß, Historiker und Leiter des Instituts für Glaube und Wissenschaft Dieser Text ist die gekürzte Nachschrift des Vortrags auf der SMD-Herbstkonferenz. Die Audiofassung finden Sie auf unserer Homepage zum Herunterladen: www.heko.smd.org. „Wir brauchen unseren Verstand, weil Glaube und Wissenschaft eben keine Gegensätze sind.“ SMD-Transparent_04_ November 2009_7

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