Ingrid

Als ich acht Jahre alt war, habe ich die Entscheidung getroffen, anders zu werden, als meine Eltern. Ich lag in meinem Bett und dachte, dass ich niemals jemanden so anschreien möchte. Und niemals so laut weinen. Ein Jahr später reichte meine Mutter die Scheidung ein, nahm meine kleine Schwester und ging fort. Mein Vater fing an viel zu arbeiten. Er war irgendwie nicht mehr derselbe, hat aufgehört zu reden und zu lachen. Ich blieb mir selbst überlassen, konnte schlafen, spielen, essen und anziehen was ich wollte. So dümpelten wir drei lange Jahre vor uns hin. Aber er hat mich lieb gehabt. Es hat viele gute Momente gegeben, Zeiten in denen er mit mir geredet, gelacht und gespielt hat – wie früher.


Als ich zwölf war, lernte er eine Frau kennen, mit der er zusammenzog. Sie hatte zwei Töchter und bekam bald ein weiteres Kind von ihm. Ich mochte sie nicht und wollte nur in Ruhe gelassen werden. Deshalb tobte in diesem Sechs-Personen-Haushalt der absolute Krieg. Mein Vater schrieb mich ab; sagte, ich wäre nichts wert. Auf der Straße habe ich Menschen lästern hören, in der Schule fiel mein Blick auf schwache Gestalten, die fertig gemacht wurden, einschließlich mir, in den Nachrichten Grausamkeiten, Krieg, Unfälle – Katastrophen aller Art. Ich fühlte mich wie Dreck und ich fühlte mich umgeben von Dreck. In der Zeit bin ich irgendwie traurig geworden und habe nur noch geredet, wenn es mit Schweigen nicht ging. Ich dachte, der Mensch ist von Natur aus schlecht und der blaue Planet ein grauenvoller Ort, der sinnlos durch das Dunkel geistert. „Gott?“, hab’ ich gedacht, „gibt es keinen.“


Mit 19 war ich am Ende. Wenn ich es nicht bis zum Psychiater geschafft habe, lag ich betrunken oder zugekifft auf dem Boden meiner jeweiligen Bruchbude und hörte Musik, bei abgedunkelten Fenstern, zehn, fünfzehn Stunden lang, Tag für Tag. Ich wollte sterben. Rita war einer meiner besten Freunde. Ich saß in ihrer Küche und rauchte mein Dope, als sie mir erzählte, Jesus gäbe es wirklich. Spinnerei, dachte ich. Wieder mal was neues im Fluss der Dinge. Sie war begeistert von ihrer neuen Erkenntnis, dass Jesus wirklich lebt, dass er irgendwie da ist und dass er Gottes Sohn ist. Meine schöne, intelligente Freundin Rita: stabile Psyche, messerscharfer Verstand, sachlich, logisch, unabhängig. Ich habe ihr drei Tage lang zugehört. Mit aller Nachsicht.


Dann bin ich nach Hause gegangen, um zu überprüfen, ob Jesus Gottes Sohn ist. Ich dachte, wenn ich höre, was er sagt, müsste ich ja wissen, ob er von Gott kommt. Meine Quelle war ein Film, in dem Bibelverse zitiert werden. Sonst hatte ich nichts. Naiv, ahnungslos habe ich vorgespult, auf Play gedrückt und meine Augen über den Bildschirm wandern lassen: Bärtige, alte Männer mit langen Haaren, in sackartigen Gewändern, an einem langen Tisch sitzend, irgendwo im alten Rom … eine Geschichte, oft gesehen und abserviert in die Schubladen meines ach so abgebrühten Verstandes und dann traf mich der Satz wie ein dicker, großer, schwerer Stein, mitten in mich hinein und zerschmetterte meine atheistische, kleine Welt in einer Sekunde: „Selig sind die Barmherzigen.“ (Matthäus 5,7)


Meine Gedanken schrieen. Das kann doch nicht wahr sein … kein Mensch kann so etwas sagen! Ich hab’ angefangen zu weinen. Er lehnt all das ab, was ich auch ablehne! All die Lügen, die ganze Boshaftigkeit, den Sadismus der Menschen, ihren Egoismus, ihre Selbstsucht, ihre Gier nach Besitz und Macht! Er liebt das Gute und er ist voller Mitgefühl. Welch ein Trost, welch eine Erleichterung – Gott ist gut. Was er sagt, ist voller Leben. Ich konnte seine Existenz nicht leugnen. Es hat ein paar Monate gedauert, bis ich das verdaut hatte. Dann habe ich Ihn gebeten, mein Leben in Seine Hand zu nehmen, weil ich es selbst nicht kann. Er hat es gemacht. Er hat mein Leben im wahrsten Sinne des Wortes gerettet.


Heute kann ich arbeiten, andere Menschen mögen und Beziehungen zu ihnen aufbauen. Ich hab’ meine Eltern lieb. Und ich freu’ mich so am Leben zu sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich so alt werde: 28 – ohne Alkohol, ohne Dope und ohne Depressionen. Gott ist gut!

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