Atheistischer Massenmord vergessen.

Moskau am 7. November 2007: Zum 90. Jahrestag der Revolution am 25.
Oktober 1917 (nach neuem Kalender der 7. November) marschieren Tausende
Kommunisten durch Moskau. Wie seit Jahren werden riesige Porträts von
Marx, Lenin und Stalin hoch gehalten. In der „Prawda“ wird die
Oktoberrevolution mit martialischen Worten gerühmt.

Gleichzeitig die folgende Szene: Zwölf Stunden lang verlesen in
Moskau Männer und Frauen die Namen von Opfern des Terrorregimes. Sie
schaffen aus Zeitgründen, „nur“ 40.000 Namen für einen Augenblick in
Erinnerung zu rufen.
1917: Was wirklich geschah

Es ist fast vergessen, dass die Bolschewiki mit ihrer Revolution
1917 keine Diktatur stürzten, sondern eine zwar provisorische, aber
demokratische Mehr-Parteien-Regierung, die breite Unterstützung im Volk
genoss. Da die Kommunisten es nicht geschafft hätten, legal an die
Regierung zu kommen, half nur die Macht der Gewehre. Fast die gesamte
Bevölkerung empfand den Sturz ihres seit der bürgerlichen Revolution
(mit dem Ende der Monarchie) vom Februar 1917 freiesten Systems unter
allen kriegführenden Ländern als Konterrevolution. Mit dem November
1917 begann zunächst unter Lenin (1870-1924), dann unter Stalin
(1879-1953) eine beispiellose Terrorherrschaft.

Der „Große Terror“

Nach der ersten großen Welle von Ermordungen vor 90 Jahren
folgte zwei Jahrzehnte später – vor jetzt 70 Jahren also – eine zweite,
genannt der „Große Terror“. Allein in Moskau wurden 40.000 Menschen
erschossen, mindestens 700.000 weitere im Land. Manche Angehörige leben
noch. Schon vor der systematischen Judenvernichtung in Deutschland ab
1942 gab es in der Sowjet¬union eine systematische Vernichtung der
eigenen Bevölkerung, denn „getötet wurde nach Quoten für die einzelnen
Regionen, die in Moskau festgelegt wurden“ (so die Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 31. Oktober). Und: „Im Unterschied zu anderen
Terrorformen begnügte sich die stalinistische Säuberung nicht mit der
Liquidierung. Das war zu wenig“ (so die Tageszeitung „Die Welt“ vom 1.
November). Denn der unschuldig Verhaftete musste sogar noch um seine
Verurteilung und Hinrichtung bitten. So erklärte selbst Nikolai I.
Bucharin, ein Freund Lenins, der (nur weil er politisch etwas
abgewichen war) angeklagt war – wie gewünscht – vor seiner Erschießung,
er liebe Stalin „von ganzem Herzen“.

Über 1.000 Pastorren getötet

Opfer des Klassenhasses waren nicht nur Adelige, Bürgerliche und
Reiche, sondern vor allem auch Christen. Beispielsweise wurden an einem
der KGB-Hinrichtungsplätze – in Butovo bei Moskau – mehr als 1.000
Pfarrer hingerichtet. Zahllose Kirchen wurden vernichtet. In der
Sowjetunion ging ihre Zahl um 86% zurück – von 51.413 auf 7.000. Die
einst blühende deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Russland
wurde fast aller ihrer Geistlichen beraubt. 200 Pastoren brachte man
um. 1937 wurde der letzte Pastor verhaftet, 1938 die letzte lutherische
Kirche geschlossen. Über das Leiden der orthodoxen Kirche wurde erst
2003 eine Statistik veröffentlicht. Danach wurden 96.000 Geistliche,
Diakone und Mönche erschossen.

Wer nicht sofort tot war

Was mit der Oktoberrevolution begann, war die schlimmste
Christenverfolgung der Kirchengeschichte. Laut offiziellen Angaben
wurden in der Sowjetunion 20 Millionen Bürger in Arbeitslagern
umgebracht; weitere 15 Millionen kamen bei Verschleppungen ums Leben.
Der einzige kommunistische Staatschef, der sich aus dem Ostblock lösen
konnte, Jugoslawiens Präsident Tito, sagte 1962: „Bei Stalin war jedes
Verbrechen möglich, denn es gibt kein einziges, das er nicht begangen
hätte … ihm wird jedenfalls … der Ruhm zufallen, der größte
Verbrecher der Geschichte zu sein.“ Während seiner Herrschaft kamen
mehr als viermal so viele Sowjetbürger ums Leben (darunter auch
zahllose Juden) wie durch den II. Weltkrieg, der laut Stalin sieben
Millionen Menschen im Land das Leben kostete.

Noch keine Aufarbeitung

Trotz der unvorstellbaren Verbrechen gibt es auch 16 Jahre nach
dem Ende des Kommunismus in Russland noch immer keine wirkliche
Aufarbeitung der Vergangenheit. Zaghafte Ansätze werden sabotiert. So
ist von der russischen Regierung ein Lehrbuch verboten worden, in dem
erstmals auch die Schattenseiten der Sowjetunion dargestellt worden
sind. Bis heute gibt es kein Erinnerungszentrum für die Opfer des
Terrors. Präsident Putin besuchte zwar jetzt eine der vielen
Hinrichtungsstätten in der Sowjetunion – in Butovo nahe der Hauptstadt
– und sagte dort auch, die 20.000 Erschossenen seien „sinnlosen Ideen“
geopfert worden, betonte aber, dass sich derartige Tragödien in der
Weltgeschichte immer wiederholten. Menschenrechtsorganisationen
kritisierten seine Rede als „PR-Übung“, sieht er doch nicht die
Terrorherrschaft Lenins und Stalins als größte politische Katastrophe
seines Landes an, sondern den Untergang der Sowjetunion 1991.

Vor Auschwitz war der Gulag

Es ist keine Schmälerung deutscher Schuld, wenn Historiker darauf
hinweisen, dass auch die Revolution von 1917 den Boden für den II.
Weltkrieg bereitete. So konnte Hitler über Deutschland hinaus mit
seiner Behauptung Glauben finden, dass nur seine Machtübernahme den
Sieg des Kommunismus in Deutschland verhindert habe. Vor dem
schrecklichen Auschwitz gab es den ebenso schrecklichen russischen
Gulag.

Die Rolle der Juden

Immer wieder ist von der hohen Beteiligung von Juden an der
Durchsetzung des Kommunismus die Rede. Dazu hat der evangelische
Kirchenhistoriker Gerhard Stricker (Zürich) festgestellt: „Dass Russen
mit jüdischen Wurzeln in der Frühphase am Aufbau des Bolschewismus
maßgeblich mitgewirkt haben, ist unbestritten – ebenso, dass sie sowohl
in leitender als auch in ausführender Funktion im Vergleich zu anderen
Sowjetvölkern zeitweise klar überrepräsentiert waren. Ihr Anteil war so
groß, dass sich heute viele Russen – Nationalisten und Antisemiten –
aus der Verantwortung für die Oktoberrevolution herauszustehlen
versuchen und die Schuld für den gesamten Sowjet-Kommunismus ‚den
Juden’ zuschieben.“ Auch werde darauf verwiesen, dass es eine „Jüdische
Sektion der Kommunistischen Partei“ gegeben habe. Ebenso sei von
jüdischen Aufsehern in Gefängnissen „oft Schauerliches zu lesen“. Doch,
so Stricker, das Aufzählen auch von hundert „bolschewistischen
Übeltätern mit jüdischen Namen“ führe nicht weiter, denn von den
Abertausenden kommunistischen Henkern anderer Herkunft sei selten die
Rede. Auch müsse erwähnt werden, dass z.B. 1925 in der Ukraine 45 %
aller Juden von den Kommunisten zu Staatsfeinden erklärt worden seien
und Stalin 1936 bis 1939 „praktisch alle Genossen jüdischer Herkunft“
aus dem Weg geräumt habe.

Was ist mit dem Westen?

Bis heute haben sich dieser Vergangenheit nicht nur Russland
nicht gestellt, sondern ebenso beispielsweise nicht die westlichen
Kirchen, von denen führende Persönlichkeiten jahrelang die
Christenverfolgung leugneten und jeden, der sich antikommunistisch
äußerte, als friedensgefährdend bezeichneten. So hatte der große
reformierte Theologe Karl Barth selbst 1949 noch den Menschenschlächter
Josef Stalin als „Mann von Format“ herausgestellt. Der große Streiter
gegen das Dritte Reich – Martin Niemöller – nahm von der anderen großen
Diktatur des 20. Jahrhunderts – der UdSSR – den Lenin-Preis entgegen.
Auf die Frage nach der Situation der Christen in der Sowjetunion
antwortete er 1969, er habe deren Führer gefragt, ob in ihrem Land
Christen diskriminiert wurden. Sie hätten mit „Nein“ geantwortet, und
er glaube ihnen. Und erst 2006 verhinderte die PDS zusammen mit anderen
im Europarat, dass eine Resolution über die „Notwendigkeit einer
Verurteilung der Verbrechen kommunistischer totalitärer Regime“
verabschiedet wurde. Dazu schrieb der deutsch-französische Publizist
Alfred Grosser im Magazin „Cicero“: Bis heute werden „die Millionen
Toten, die die Verbrechen Stalins und Maos hervorgebracht haben,
verniedlicht“.

idea.de

Lesetipp:

Schwarzbuch Gulag, Die sowjetischen Konzentrationslager.
Herausgegeben von I. W. Dobrowolski, Autoren: Iwanowa, G. I. / Slawko, I. / Esnowskaja, G. F. I. W.
Einband gebunden
Seiten/Umfang 360 Seiten
50 schwarz-weiß Abbildungen, erschienen 2002
20,50 EURO

www.soulbooks.de

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