Ein Neonazi kehrt um zu Jesus

 Philipp Frei, ehemaliger Neonazi:
„Schlag ihn! Schlag ihn kaputt! Mach diese Scheisskanake fertig!“ Auf dem Boden liegt ein Jugendlicher aus dem Kosovo: zusammengekrümmt, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Zwei Jugendliche mit Springerstiefeln und Glatze prügeln auf ihn ein.
Ich stehe vor ihm, keine zwei Meter entfernt und kann ihm nicht helfen. Bin mir auch gar nicht sicher, ob ich es überhaupt will. Obwohl ich ihn kenne. Wir waren einmal die besten Freunde, doch unsere Wege haben sich bereits vor Jahren getrennt.
Ich wende mich ab, rufe den zwei Skinheads zu, dass wir gehen. Für heute haben wir genug getan.
Noch heute, mehrere Jahre später, kann ich mich an den ungläubigen Blick dieses jungen Albaners erinnern. Er lag auf der Strasse und konnte nicht verstehen, warum er von seinem ehemals besten Freund angegriffen wird. Dabei waren die Fronten ja klar. Er war Ausländer, ich Skinhead. Er war der Feind.
Wie konnte es soweit kommen? Diese Frage stelle ich mir heute, nach meinem Ausstieg aus der rechtsextremen Szene, wieder und wieder. Ich bin in einem behüteten, politisch eher links orientierten Elternhaus aufgewachsen, hatte viele ausländische Freunde, war sozial engagiert. Dann kam der Bruch. Immer häufiger hatte ich Probleme mit Ausländern. Als ich von der Primarschule ans Untergymnasium wechselte, verlor ich den Kontakt zu meinen ehemaligen Freunden völlig.
An der neuen Schule hatte ich Mühe, mir einen anderen Freundeskreis aufzubauen. Ich fühlte mich meist als Aussenseiter, schwach und angreifbar. Ich suchte nach neuen Freunden und fand diese schliesslich auch. Von einem älteren Jugendlichen aus meiner Nachbarschaft wurde ich eingeladen, um mit ihm und seinen Freunden an ein Hockeyspiel zu gehen. Ich war gerade mal 13 und fühlte mich natürlich geehrt, von Sechszehnjährigen eingeladen zu werden. Zum ersten Mal seit langem hatte ich die Chance, wieder dazuzugehören. Diese Chance wollte ich um keinen Preis verpassen. Wie hoch der Preis werden sollte, wusste ich damals noch nicht.
Um in der Gruppe akzeptiert zu werden, passte ich mich sehr schnell an: Betrank mich mit ihnen, pöbelte rum, begann rassistische Parolen zu grölen. Ich ging nicht zu einer rechtsorientierten Gruppe, weil ich etwas gegen Ausländer hatte, sondern ich wurde rechtsextrem, weil ich unbedingt zu dieser Gruppe gehören wollte. Bald war ich einer von ihnen, trug Springerstiefel und Bomberjacke und hatte mir die Haare kurz geschoren.
Aber diese Zugehörigkeit war sehr zerbrechlich. Um akzeptiert zu sein, musste ich immer wieder etwas leisten. Wenn ich auf der Strasse einen Ausländer anpöbelte, war ich der Held des Abends und wurde von allen geachtet. Wenn ich aber bei einer Schlägerei einmal nicht vorne dabei war, war ich als Verräter und Feigling abgestempelt.
Während vier Jahren war das mein Alltag. Dann brach die Gruppe auseinander. Einige stiegen aus, weil sie Probleme mit der Polizei bekamen. Sie wollten ihren Job nicht verlieren. Ich selber hatte Ärger an der Kantonsschule. Einer meiner Lehrer wollte mich von der Schule schmeissen und in ein Jugendheim einweisen lassen. Als auch noch von einigen „Kameraden“ bestohlen wurde, beschloss ich, Anschluss an eine andere Gruppe zu suchen. Auch sie waren Skinheads und Hooligans. In meiner alten Gruppe hatten wir davon geredet, wie es wäre, ein Asylheim anzuzünden. Einige dieser Typen hatten es getan. Ich wollt bei einigen Schlägereien mitmachen, ein paar Ausländer aufmischen, um Eindruck zu schinden, aber es lief nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Bei einer Schlägerei wurde mein bester Jugendfreund zusammengeschlagen. Ich stand neben ihm und konnte nichts machen. Als ich ihm in die Augen sehen musste, erkannte ich darin seine Enttäuschung. Ich hatte ihn verraten. Hatte in Kauf genommen, dass Menschen leiden, nur damit mir jemand auf die Schultern klopft und mir ein bisschen Anerkennung zollt. Es war Zufall, dass ausgerechnet er unter den Ausländern war, die sich an diesem Ort trafen, aber diese Nacht hat mein Leben verändert.      
Ich muss nichts leisten
„Ich muss nichts leisten, um akzeptiert zu sein.“
Langsam begann ich zu begreifen, wohin es führen würde, wenn ich in der rechten Szene bliebe. Einige Monate später stieg ich aus. Meine Skinhead-Freunde wollten plötzlich nichts mehr mit mir zu tun haben, meine ganzen Weltanschauungen und Ideale waren zerstört. Der Ausstieg brachte viele Schwierigkeiten mit sich, aber es war die einzig richtige Entscheidung.

Lange Zeit hatte ich Mühe, mich wieder in die Gesellschaft einzufügen. Ein Leben ohne Ziele war für mich nicht mehr lebenswert und ich war nahe dran, mich umzubringen. Meine Gefühle und die Erinnerungen ertränkte ich in Alkohol.

Schliesslich fand ich im christlichen Glauben eine neue Grundlage für mein Leben. Der Glaube an einen mich liebenden Gott hat mir gezeigt, dass ich nichts leisten muss, um akzeptiert zu sein. Doch auch wenn ich heute nichts mehr mit meinem alten Leben zu tun habe, werde ich dennoch immer mit den Folgen meiner damaligen Taten leben müssen.

Philipp Frei arbeitet heute als Jugendarbeiter bei „campus generation“ und hält Vorträge an Schulen und in Jugendgruppen zu diesem Thema.
jesus.ch

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