Interview mit Jonathan Edwards – Jenseits der Träume

Was ist das für ein Mann, der schon 1988 Teilnehmer im Dreisprung bei Olympia war, in Sydney 2000 Olympia-Gold holte und wiederum bei den Weltmeisterschaften in Edmonton 2001 ganz oben auf dem „vergoldeten“ Treppchen stand? Auf jeden Fall einer, der nicht nur das Maß der Dinge in seiner Sportart ist, vielmehr auch Einblick gewährt, wie er denkt und lebt.


Persönliche Daten


Jahrgang: 1967
Familienstand: verheiratet, zwei Kinder
Beruf: Leichtathletikprofi
Hobbies: Autos, Zeit mit der Familie verbringen


Karrieredaten
















Teilnahme bei den Olympischen Spielen: 1988, 1992, 1996, 2000
Die bedeutendsten Medaillen: 1990 Commonwealth Spiele – Silber, 1993 WM – Bronze, 1994 Commonwealth Spiele – Silber, 1995 WM – Gold, 1996 Olympische Spiele – Silber, 1997 WM – Silber, 1998 Goodwill Games – Gold, 1999 WM – Bronze, 2000 Olympische Spiele – Gold, WM – Gold
Weitere besondere Leistungen: 1992 Erster im Weltcup, 1995, 1996, 1997, 1998 und 2001 Erster im Europacup
Weltrekorde: 18. Juli 1995 – Salamanca 17,98 Meter, 07. August 1995 – Göteborg (WM) 18,16 und 18,29 Meter


Prio: „Jonathan, zu Beginn des Jahres 1995 waren Sie ein guter Dreispringer. Im selben Jahr haben Sie dann jeden Wettbewerb gewonnen und sogar dreimal den Weltrekord gebrochen. Können Sie erklären, wie das passiert ist?“


Jonathan Edwards: „Nun, ich glaube nicht wirklich. Ich lief einfach schneller, ich hatte mehr Kraft, ich verbesserte meine Technik, aber selbst all das zusammen konnte eigentlich nicht zu dieser Leistung führen. Offensichtlich wusste ich selber nicht, welches Potential in mir steckte, denn es war für mich selbst eine Überraschung. Wenn ich zurückblicke, kann ich nur den Kopf schütteln. Die andere Sache, die man erst einmal begreifen muss, ist der Durchbruch der 18m-Marke. 35 Jahre lang hieß es immer »17 Komma etwas« Da läuft ein ganzer Film in deinem Kopf ab. Dreispringer springen 17 Meter und etwas. Dann nähert man sich plötzlich den 18 Metern. Es ist unglaublich. Und dann auch all die verschiedenen Auszeichnungen, die ich dadurch bekommen habe. Das war jenseits von allem, was ich mir bis dahin erträumt habe.“


Prio: „Was bedeutet es für Sie, Weltrekordhalter zu sein?“


Jonathan Edwards: „Es ist eine recht ungewöhnliche Lage, in der man sich da befindet. Nur ganz wenige Leute können von sich behaupten, dass sie in irgendeinem Lebensbereich die Besten sind, und zwar klar und deutlich und unbestreitbar die Besten – und jeder kann es sehen. Ja, auf eine Art sind 18,29m schon eine gewaltige Distanz, eine erstaunliche Leistung. Dass Gott einen Menschen so geschaffen hat, dass man das kann, ist schon unglaublich. Auf der anderen Seite aber ist es eigentlich unbedeutend. Wow! Ich kann von einer weiten Entfernung in einen Sandkasten springen!“


Prio: „Wie wichtig war es für Sie, in Sydney zu gewinnen?“


Jonathan Edwards: „Es war besonders wichtig zu gewinnen, wenn ich dabei an meine Frau Alison denke. Es wäre für sie sehr schlimm gewesen, wenn ich verloren hätte. Es hätte vielleicht das noch übertroffen, was sie beim Tod ihrer Mutter gefühlt hat, während ich in Sydney war. Mein Motto für Sydney war »alles und nichts«. Ich habe alles gegeben, aber im Grunde war es nichts. Wenn ich verloren hätte, wäre das wohl schon hart gewesen in dem Sinn, dass ich nicht alles erreicht hätte, was ich hätte erreichen können. Es ist schon erstaunlich, dass dieser eine Wettkampf alles so verändert hat. Meine gesamte Karriere wird nun in einem ganz anderen Licht gesehen, nur auf Grund dieses einen Wettbewerbes.“


Prio: „Sie sagten, dass es sportlich sehr wichtig gewesen ist, aber als Person hätten Sie es nicht gebraucht?“


Jonathan Edwards: „Ich glaube nicht, dass ich es unbedingt gebraucht habe. Aber das ist wahrscheinlich leicht gesagt, wenn man gewonnen hat. Wenn ich nicht gewonnen hätte, hätte ich wahrscheinlich immer zurückgeblickt und gedacht, es wäre schön gewesen, wenn ich bei den Olympischen Spielen gewonnen hätte. Ich muss immer lächeln, wenn ich darüber nachdenke, wie die Leute mich jetzt beobachten, nur weil ich eine Goldmedaille gewonnen habe. Mal ehrlich, was macht es denn nun wirklich für einen Unterschied? Ich bin genau der gleiche Mensch, als wenn ich die Goldmedaille nicht gewonnen hätte. Die Olympischen Spiele waren wohl eher eine Art menschliche Bestätigung, aber in Wirklichkeit haben sie nichts verändert. Ich bin der Weltrekordhalter, der beste Dreispringer, den es je gegeben hat, aber das ist unabhängig von Sydney. Ich denke, es war wohl eine Art »menschliche Versiegelung« meiner sportlichen Laufbahn. Ich habe Göteborg erlebt und die Kehrseite der Medaille in Atlanta gesehen. Bis zu einem gewissen Grad habe ich mit einem Maß an Erwartungen, die ich bis 1995 nicht erfüllen konnte und unausgesprochenen Enttäuschungen gelebt. Sie haben mich realistischer werden lassen und mir eine klarere Sicht dafür gegeben, wer meine wahren Freunde sind und wer sich nur im Erfolg an mich hängt. Erfolg ist eine trügerische und oberflächliche Sache.“


Prio: „Bezeichnen Sie den Sport manchmal als unwichtig?“


Jonathan Edwards: „Ich glaube, manchmal nimmt man den Sport erschreckend ernst. Er kann dein Ein und Alles werden. Aber wenn du ihn dann mal auf seine Grundbegriffe zurückführst und rationalisierst, dann ist Fußball nicht mehr, als ein Stück Plastik mit Luft drin herumzutreten mit dem Versuch, es zwischen zwei Pfosten mit einem Netz zu postieren. Im Golfsport kann man es ähnlich beschreiben. In der Leichtathletik springst du mit drei Sprüngen in einen Sandkasten, misst die Entfernung und plötzlich bist du berühmt. Manchmal versuche ich, mir vor Augen zu halten, dass ich in einen Sandkasten springe, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen!“


Prio: „Welche Rolle spielt die Bibel in Ihrem Leben?“


Jonathan Edwards: „Durch sie spricht Gott zu mir. Viele Christen diskutieren darüber, wie Gott zu ihnen spricht, wie man Gottes Stimme vernehmen kann. Für mich geschieht das im wesentlichen durch die Bibel. Ich will damit keinesfalls ausschließen, dass Gott nicht auch anders reden kann, aber ich denke, ein Christ sollte sein Augenmerk darauf richten, Gottes Wort zu kennen und es anzuwenden. Es gibt mir genaue Wegweisung. Ich bete, aber ich muss auch Gottes Wort kennen. Das ist grundlegend.“


Prio: „Wie wurden Sie Christ?“


Jonathan Edwards: „Ich wuchs in einem christlichen Elternhaus auf. Meine Eltern sind Christen. Mein Vater ist ein anglikanischer Prediger. Ich kann keinen genauen Tag oder ein bestimmtes Datum nennen, an dem ich Christ wurde. Es war eher ein natürlicher Verlauf dadurch, dass Gott im Leben meiner Eltern Realität war. Ich wurde reifer und wuchs im Glauben, aber ich muss sagen, dass ich das größte Wachstum im Glauben erst erlebte, als ich von zu Hause weg ging und sozusagen auf meinen eigenen »geistlichen Füßen« stand. Es gab nie eine Zeit, in der ich nicht an Gott glaubte, obwohl ich weiß, dass ich nicht immer Christ war. Aber Gott war für mich immer da.“


Prio: „Kurz zusammengefasst, was glauben Sie?“


Jonathan Edwards: „Der Mensch ist ein Sünder und von Gott getrennt. Dagegen kann er aus eigener Kraft nichts tun. Gott sandte aus Liebe zu den Menschen seinen Sohn, damit er für unsere Sünden am Kreuz sterben sollte. Er ist vom Tod auferstanden und durch den Glauben an ihn können wir versöhnt werden mit Gott, das ist ein Geschenk. Es ist nichts, was wir uns verdienen können und aus Dankbarkeit für dieses Geschenk stellen Christen ihr Leben in den Dienst für Gott.“


Prio: „Wie blicken Sie auf die Höhen und Tiefen Ihrer Karriere zurück?“


Jonathan Edwards: „Ich bin im Moment der Meinung, dass ich den Höhen und Tiefen des Lebens ausgeliefert bin. Der Sport betont die Höhen und Tiefen. In einem Moment ist alles bestens, im nächsten fällt schon alles zusammen. Ich zweifle nicht daran, dass Gott etwas damit zu tun hat.
Wenn ich versuche, einen großen Plan daraus zu erkennen – z.B. hat mich die Enttäuschung in Barcelona auf den Sieg in Göteborg vorbereitet? – dann weiß ich das nicht so genau. Ich weiß auch nicht, ob es Gott so wichtig ist, wer gewinnt oder verliert. Vielleicht ist das Ergebnis eines Wettkampfes nicht so bedeutend für Gottes Absichten.“


Prio: „Bei den Olympischen Spielen 1992 hatten Sie eine realistische Chance auf eine Medaille, aber haben nicht einmal das Finale erreichen können.“


Jonathan Edwards: „Mir wurde bewusst, dass ich die Chance habe, eine Medaille zu gewinnen, aber in der Qualifikation ging dann alles furchtbar schief. Ich habe nicht einmal 16 Meter geschafft, obwohl ich die ganze Saison hindurch konstant 17 Meter gesprungen bin. Dies war wahrscheinlich die schlimmste Zeit meiner sportlichen Laufbahn. Ich war völlig am Boden zerstört. Alle meine Träume und Hoffnungen haben sich in Luft aufgelöst. Ich erinnere mich daran, dass ich abends zu Bett ging mit dem Gedanken, morgens aufzuwachen und festzustellen, dass alles nur ein böser Traum war. Das konnte einfach nicht wahr sein! So sollte es nicht kommen! Es war einfach schrecklich, ich kann es nicht anders beschreiben. Ich habe Tiefen kennen gelernt, die ich vorher nicht kannte. Ich glaube, dass ich damals meine erste wirkliche Krise als Christ hatte. Damals dachte ich: »Glaube ich das alles wirklich? Werde ich wirklich 100 Prozent bei der Sache bleiben, egal ob ich gewinne oder verliere? Steht Gott an erster Stelle? Werde ich ihm die Ehre geben und mein Bestes geben, unabhängig vom Ergebnis?« Diese Gedanken waren entscheidend und haben die Grundlage gelegt für die kommenden Jahre, sportlich und besonders auch geistlich.“


Prio: „Hat der Erfolg auch Probleme mit sich gebracht?“


Jonathan Edwards: „Geld spielt beim Erfolg eine große Rolle. Ich habe jetzt eine Menge mehr Geld als vorher. Das ist schwierig. Die Bibel spricht davon, dass die Liebe zum Geld die Wurzel allen Übels ist. Ich mache mir da keine Illusionen. Ich habe in mir dieselben bösen Gedanken wie jeder andere auch. Mit dem Unterschied, dass auch Gottes Heiliger Geist in mir wohnt, der mir hilft, das Böse zu besiegen. Aber nichtsdestotrotz ist es in mir – und der Teufel wird sicherlich versuchen, mich in die Irre zu führen und mich von den Dingen, die mir wichtig sind, abzubringen. Er will mich von meiner Familie entfernen, mich davon abbringen, Gott die Ehre zu geben und statt dessen soll ich darauf schauen, dass ich ein Star und berühmt bin. Ich glaube ganz sicher, nachdem ich sowohl Katastrophen wie auch unbeschreiblichen Erfolg erlebt habe, dass der Erfolg die größere Bedrohung für mein Leben als Christ darstellt.“


Prio: „Sie haben gesagt: »Wenn ich die Olympischen Spiele nicht gewinnen kann, ohne egoistisch zu sein, dann will ich nicht gewinnen«. Wie können Sie die Balance halten zwischen einer gewissen Skrupellosigkeit, die man braucht, um »ganz oben« zu sein und dieser Einstellung?“


Jonathan Edwards: „Die Antwort lautet – es ist sehr schwierig. Wenn ich auf meine sportliche Laufbahn zurückblicke, muss ich sagen, dass es sehr selbstbezogen ist. Ich glaube aber, dass es das ist, wozu mich Gott berufen hat. Ich muss darauf achten, dass ich genug schlafe und die richtigen Nahrungsmittel esse. Das Leben dreht sich zum größten Teil um mich. Ich gestalte mein Leben so, dass während eines Wettkampfes so wenig wie möglich Anforderungen an mich gestellt werden. Aber in vielerlei Hinsicht entspricht das nicht einem Leben als Christ, in dem eher davon die Rede sein soll, sich selbst zu verleugnen und für andere Menschen da zu sein.“


Prio: „Welche Pläne für die Zukunft haben Sie?“


Jonathan Edwards: „Dass ich in Sydney gewonnen habe, öffnet mir viele Türen. Ich muss nichts mehr beweisen. Ich genieße den Sport und den Wettkampf. Er macht jetzt, nachdem ich die Olympischen Spiele gewonnen habe und der Druck weg ist, viel mehr Spaß. Egoistisch gedacht ist es ein tolles Leben. Mal sehen, in vier Jahren in Athen dabei zu sein, das wäre klasse. Ich weiß aber auch, dass ich wohl bald etwas Anspruchsvolleres in meinem Leben machen möchte.“


Prio: „Ganz herzlichen Dank für das Interview.“


Quelle: Prio-Magazin, www.srsonline.de





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