Jahrelang wurde international nach ihm gefahndet. Nun starb er einsam in einer Einzimmerwohnung in Uppsala (Schweden). (Bild.de) Wie sagt es die Bibel: Was der Mensch sät, das wird er ernten! Dazu passt dieser Artikel:
Der Verlust der Scham ist das erste Anzeichen von Schwachsinn! (Freud?)
Über die zunehmende Schamlosigkeit in der deutschen Öffentlichkeit
Wer sich in vergangenen Tagen einer deutschen Großstadt nähert, wird am Bahnhof von einem moralischen Imperativ empfangen: Machs mit!. Die Aufforderung ergeht von Plakatwänden herab an alle Kinder und Greise, Frauen und Männer. Mitmachen soll die Welt beim gummibewehrten Geschlechtsverkehr. Möglichst oft, gerne mit wechselnden Partnern gleichen oder anderen Geschlechts, immer aber mit Präservativ. So will es die Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Köln). Die Plakatgesichter strahlen und fordern den horizontalen Nachvollzug.
Heute wirst Du flachbelegt
Auf dem Weg aus dem Bahnhof kommt der Reisende an Tafeln eines Lieferservices vorbei. Pizza wird angepriesen mit den Worten “Heute wirst Du flachbelegt!”, ein Nudelgericht mit “Isch will mit dir Penne!” Im Hotelzimmer läuft vielleicht nichtsahnend die FKK-Show von RTL, Adam sucht Eva, in der nackte Kandidaten sich über das Gewicht der männlichen primären und der weiblichen sekundären Geschlechtsorgane austauschen. Sollte es sich bei der deutschen Großstadt um Berlin handeln, kann der Blick aus dem Zimmer auf eine besondere Scheußlichkeit fallen. Am Bahnhof Zoo hat die Hauptstadt ein offen einsehbares Urinal aufgestellt. Dort erleichtern Männer sich vor aller Augen, rund um die Uhr.
Schamlosigkeit ist heute Normalverhalten
Schamlosigkeit ist das von Politik wie Medien verordnete Normalverhalten. Natürlich, es gab Zeiten, in denen Schindluder getrieben wurde mit der Tugend der Scham, Zeiten, in denen ein Moralregime Schamhaftigkeit einklagte und Unterordnung meinte. Und es gibt heute Kulturen, die zwischen Mann und Frau eine so scharfe Grenze ziehen, dass die eine sich verhüllen und der andere befehlen muss. In den westlichen Gesellschaften aber regiert die Schamlosigkeit ohne Rücksicht auf Verluste und die Verluste können enorm sein.
Der Schamlose kennt nur sich
Was geht verloren, wenn das Nackte und das Obszöne in der Öffentlichkeit sich von selbst verstehen und Takt, Dezenz, Stil und Anmut zu Privatvergnügungen für Nostalgiker herabsinken? Scham ist Frucht des Sündenfalls und insofern eine anthropologische Konstante. Scham resultiert aber auch aus der menschenfreundlichen Einsicht, dass wir nicht allein sind. Dass da immer jemand ist, in dessen Augen wir uns spiegeln. Wer sich schämt, dem ist es nicht egal, welches Bild er durch sein Tun und Reden erzeugt. In der Scham erscheint uns blitzhaft, wer wir sind und wer wir zu sein hoffen so der Philosoph Bernard Williams (1929-2003). Der Schamlose kennt nur sich.
Keine Scham, keine Kultur
Das Regiment der Schamlosen ist eine Diktatur des Narzissmus. Die Fernsehfratzen und Plakatgrimassen sind Vorboten einer kulturlosen Welt, denn die öffentliche Besessenheit von der Intimität ist das Kennzeichen einer unzivilisierten Gesellschaft (der US-Soziologe Richard Sennett). Wer ihr wehren will, muss die Kunst der Scham wieder erlernen. Sie beginnt dort, wo wir von uns absehen und den anderen Menschen in den Blick nehmen. Keine Kultur kann sein, wo die Scham verschwand.
Alexander Kissler/idea.de