Philosoph Robert Spaemann und sein Gottesbild

Das populärwissenschaftliche Magazin "P.M." hat für seine
April-Ausgabe den bekannten Philosophen Robert Spaemann nach seinem
Gottesbild befragt. Der erläutert in dem Interview nicht nur seinen
persönlichen Gottesbeweis und die "Ungeheuerlichkeit" der christlichen
Vergebungslehre, sondern mahnt zugleich vor einer Abstumpfung in einer
zunehmenden Medialisierung unserer Welt.

Die Vorstellung von Gott sei ein starkes Argument für die Existenz
Gottes, so lautet der Grundsatz des Gottesbeweises von Spaemann. Diesen
erläuterte der 1927 geborene Emeritus für Philosophie an der
Universität München zuletzt in seinem Buch "Der letzte Gottesbeweis",
das im Sommer vergangenen Jahres erschienen ist. "Man könnte ja auch
sagen, das Vorkommen von Durst ist ein Argument für die Existenz von
Wasser", so Spaemann gegenüber "P.M.".

Auf die Frage "Wie können wir gewiss sein, dass Gott nicht doch ein
bloßes Wunschbild ist?" antwortet der gläubige Philosoph: "Es gibt
überwältigende Erfahrungen, die überhaupt nicht funktional sind: die
Erfahrung des Schönen, die uns hinreißt und überwältigt." Bei einem
Sonnenaufgang oder einem schönen Menschen "entsteht ein Jubel im
Herzen, der eben nicht funktional ist und mit den Sinneseindrücken
nichts zu tun hat".

Argument gegen Evolution

Die Tatsache, dass Menschen gern und selbstaufopfernd einander Gutes
tun, sei "evolutionstheoretisch ganz unerklärbar". "Warum gibt es so
etwas? Das passt nicht in die Welt des Fressens und Gefressenwerdens."

Auch der immer wieder angebrachten Argumentation, dass die Aufklärung
der Religion widerspreche, und "aufgeklärte" Menschen zugleich
"ungläubige" Menschen sein müssten, tritt Spaemann entgegen. Er ist
überzeugt: "Ein Gegensatz zwischen Glauben und Vernunft existiert
nicht, weil die Vernunft selbst auf einem Glauben beruht." Deswegen
komme auch die Aufklärung nicht ohne Gott aus. "Denn Aufklärung beruht
auf dem Vertrauen in die Vernunft. Andersherum gesagt: Wenn Gott
existiert, begründet das ein Vertrauen in die Vernunft."

Für jede Wahrheit müsse es einen Träger geben, der diese Wahrheit
denkt, so Spaemann. Das "Trägermedium" der Wahrheit nennt Spaemann
Gott. "Gott ist das Bewusstsein, in dem alle Wahrheit aufgehoben ist."
Der P.M.-Autor fragt nach: "Wenn die Existenz Gottes logisch ableitbar
ist – warum müssen wir dann an ihn glauben, anstatt von ihm zu wissen?"
Spaemann antwortet: "Wir müssen, um zu wissen, unserem Wissen
vertrauen." Auch das Wissen von Gott sei – wie jedes andere Wissen –
untrennbar von einem Akt des Vertrauens.

Atheisten stumpfen ab

Auch Menschen, die nicht an Gott glauben, könnten ein ethisch
akzeptables Leben führen, meint der Philosoph. "Aber meiner Meinung
nach können Atheisten letztlich nicht begründen, warum sie diese
ethischen Maßstäbe haben", fügt er hinzu. "Das Problem des Atheismus
ist, dass er nicht wahr ist." Gläubige Menschen seien der Wahrheit
näher als Atheisten, ist Spaemann überzeugt. "Das, was ich den Jubel im
Herzen nenne, hängt meiner Meinung nach damit zusammen."

Weil "die stärkste Emotion, die sich aus dem Glauben an Gott ergibt",
die Freude sei, bleibe für einen Atheisten letztendlich "alles banal".
An der Lehre Jesu bewundere er, dass darin die durchschnittliche
Lebensweise als falsch dargestellt werde. "Weil es ein Leben in
Selbstbezogenheit ist. Es fehlt, was im Neuen Testament Lieben heißt",
so Spaemann.

"In virtuellen Welten wird Gott entbehrlich"

Damit verbindet Spaemann seine Kritik an der zunehmenden Medialisierung
der Welt: aus der Selbstbezogenheit erwachse eine "allgegenwärtige
Tendenz der Menschen, sich in virtuelle Welten zurückzuziehen".
Spaemann: "Virtuelle Welten sind Nichtwirklichkeiten. Und wenn wir in
virtuellen Welten leben, wird Gott entbehrlich."

Der Wunsch des Menschen, aus dem Hier und Jetzt zu fliehen, sei daher
im Grunde "ein Aussteigen aus der Dimension des Göttlichen", so
Spaemann. "Virtuelle Welten sind auch eine Konkurrenz für die
Frömmigkeit." Unter Frömmigkeit versteht er dabei eine "Aufmerksamkeit
der Gegenwart". Wer den Fernseher einschalte, sei woanders, "nicht mehr
in meiner eigenen Gegenwart. Und ich muss mir anschauen, was andere
sich ausdenken."

Fernsehen und Internet lassen Wahrnehmung für unsichtbare Welt verkümmern

Dass dies schlimme Auswirkungen habe, könne man etwa bei Kindern sehen.
Kinder, die regelmäßig fernsehen, malten Bilder, "die klein und
kümmerlich sind, weil sie nur ein Viertel des Raumes auf dem
Zeichenblatt ausnutzen. Kinder hingegen, die wenig oder gar nicht
fernsehen, malen kraftvolle, großflächige Bilder. Im Grunde haben uns
das Fernsehen und andere virtuelle Medien in eine atheistische
Atmosphäre geführt, die tendenziell die menschlichen Organe für die
unsichtbare Welt zum Absterben bringt."

Spaemann warnt: "Wenn wir keine Heiligkeit mehr kennen, sind wir den
Gegebenheiten, dem Grau-in-Grau des Alltäglichen, ausgeliefert." Als
"himmlische Rechenkunst", die den Menschen mehr und mehr verloren gehe,
bezeichnet Spaemann die Fähigkeit, "unsere gewohnten Sichtweisen zu
verrücken" und "Nachteile als Vorteile zu sehen: "Demütigung als Ehre,
Verlust als Gewinn, (…) den eigenen Komfort als einen Überfluss, der
in Wirklichkeit den Armen gehört". Er selbst bringe "den Alltag ins
Gebet" und mache ihn "durchsichtig für das Einmalige unseres Daseins".

Das Wichtigste am Christentum, fasst er zusammen, sei die Lehre von der
Vergebung, so Spaemann: "Dass ein Mensch tatsächlich immer wieder neu
beginnen kann im Zustand der Unschuld – das ist eine ungeheuerliche
Sache: ein Einbruch der Ewigkeit in diese Welt des Verfalls."
Quelle: Medienmagazin pro

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