Die Medien produzieren ständig neue Stars, die wir anzuhimmeln haben. Was dabei oft übersehen wird: Die Medien produzieren auch Opfer. So wie der 17-Jährige, der bei „Deutschland sucht den Superstar“ vor laufender Kamera einen Nervenzusammenbruch bekam, oder Frau Lisa Loch, die von Stefan Raab wegen ihres Namens fertig gemacht wurde, ebenso Regina Zindler, die berühmte „Maschendrahtzaun“-Frau. Die Medien wollen die Leute leiden sehen und Witze auf deren Kosten hören. Was dabei heraus kommt sind Psycho-Wracks um die sich spezielle Psychotherapeuten kümmern. Die Symptome ihrer Patienten sind Schlaflosigkeit, Depressionen, Existenzangst und Misstrauen gegenüber allem und jedem.
Die These des Schweizer Psychotherapeuten Mario Gmür lautet, dass es in Zukunft in unserer Gesellschaft nicht mehr darauf ankommen wird, ob jemand irgendwelche Werte verkörpert, sondern wie groß das öffentliche Interesse der Medien an diesem Menschen ist.
Die Tendenz der Fernsehshows geht immer mehr hin zu Spaß der Zuschauer auf Kosten anderer. Mario Gmür meint, das öffentliche Reden über die Probleme eines „Opfers“ führe zu einer „Enteignung der Psyche“. Sie haben das Gefühl, dass sie nicht mehr fähig sind ihr eigenes Leben zu führen.
Gmürs Patienten sind Leute, die von Paparazzi verfolgt werden, Opfer von Lügen-Kampagnen, vorverurteilte Verdächtige und Leute die zum Star gemacht wurden und sich dadurch verpflichtet haben eine Rolle zu spielen, die sie irgendwann nicht mehr sein wollen, aber auch nicht mehr aufgeben können.
Gerade in Casting-Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“ müssen die Stars eine menschenverachtende Beurteilung durchmachen. Das ist eine Praxis, die dem Anprangern im Mittelalter gleichkommt. Das Publikum freut sich über Qualen und Begnadigungen der Opfer.
Unsere hochfortschrittliche Mediengesellschaft bewegt sich moralisch gesehen also rückwärts. Menschenwürde scheint im Fernsehen nicht mehr viel zu zählen. Deshalb bin ich persönlich froh, dass ich an die Bibel glauben darf, die jeden einzelnen Menschen als total wertvoll vor Gott sieht und ich nicht daran gebunden bin was die Masse tut oder was die Medien einem vorschreiben was man für richtig oder falsch zu halten hat. Denn das ist heute vielleicht so und morgen schon ganz anders. Gottes Wort ist fest und unveränderlich, denn es kommt vom Schöpfergott höchstpersönlich.
Liebe Steffi,
Du hast Recht. Was letztlich zählt, ist wie Gott über uns denkt!
Gottes Segen Dir.
fabi
verspottet wird jeder
Ich finde, wenn man nur von allen Menschen anerkannt werden will, kann man nur depressiv werden, denn eigentlich wird über jeden Menschen hergezogen. Bei den Superstars ist es ganz Deutschland, bei ner Normalperson Kollegen, Bekannte oder jemand oder ne Gruppe Lästermäuler, die einen grad in der Cafeteria sitzen sieht. Aber wenn man von dem allmächtigen Gott geliebt und respektiert wird, dann ist es doch egal was irgendn Blödmann fürn Mist verzapft oder jemand einen für verrückt erklärt. Fänds schrecklich, wenn ich nicht mit der gewissheit leben könnte und mein Lebenssinn darin bestehen würde, was andere von mir halten. (Auch wenn ich gestehen muss, dass es mir echt nicht egal ist)
Liebe Grüße und Gottes Segen
Steffi
Der Mensch ist mit sich selbst nicht mehr im Reinen. Wichtige Charaktereigenschaften sind ihm abhanden gekommen. Von allen Seiten hört man heute die Klage über fehlende Charakterstärke in unserem Land. Offensichtlich gibt es wenige Menschen mit Rückgrat und mit einem klaren Persönlichkeitsprofil. Feste Überzeugungen und Gesinnungen haben sich verflüchtigt. Mit Sehnsucht blickt man auf bekannte Personen des öffentlichen Lebens zurück, die längst den Zenit des Lebens überschritten haben, aber für unverwechselbare Originalität und klare Überzeugungen stehen. Heutige Politiker sind dagegen unberechenbar und oftmals profillos geworden. Klare politische Grundsätze verschwimmen. Man weiss nicht mehr, woran man ist. Gut ist, was der Mehrheit dient, böse ist, was ihr schadet – so scheint es. Vor allen Dingen legt man sich nicht mehr fest. Man steht in der dauernden Gefahr, sich den unterschiedlichen Erwartungen der Welt anzupassen. Der Konformitätsdruck nimmt zu. Je nach Situation drehen wir unser Fähnchen nach dem Wind. Was kümmert uns unser Geschwätz von gestern! Heute ist heute, ein neuer Tag mit neuen Entscheidungen, die nichts mit den vergangenen Positionen zu tun haben müssen. Je nach Situation passen wir uns an. In der Gemeinde sind wir so, am Arbeitsplatz anders. Wir wechseln unser Profil von Situation zu Situation. Der Pluralismus der Moderne macht uns zu modernen Chamäleons. Am Ende wissen wir selbst nicht mehr, wofür wir eigentlich stehen und was wir glauben sollen. Wir haben gelernt, uns anzupassen, und dabei sind uns die Prinzipien abhanden gekommen.
In meinem Buch Trends 2000 habe ich ausführlicher die Entwicklungen zum Pluralismus und Individualismus dargelegt, die für die derzeitige Situation erhebliche Verantwortung tragen. Der postmoderne Mensch ist in sich selbst verliebt und sieht sich als den Mittelpunkt des Universums an. Seine individuelle Freiheit und Autonomie geht ihm über alles. Der Autismus der modernen Selbstverliebtheit feiert fröhliche Urständ. «Mir geht nichts über mich» – dieser Kernsatz wird heute systematisch ausgelebt. Die Werte des Ichs stehen über den Werten der Gemeinschaft. Wir kreisen ständig um uns selbst, horchen dauernd in uns hinein, tasten täglich unsere Empfindungen ab.
Und doch ist der moderne Mensch zutiefst verunsichert. Das Selbstbewusstsein ist nur ein äusserer Schein. Die Selbstbespiegelung führt nämlich keineswegs zu einer festeren Identität. Im Gegenteil: Tief im Inneren nagen die Selbstzweifel. Werde ich den Aufstieg schaffen? Habe ich genug Kraft im Konkurrenzkampf? Wird meine Andacht im Kinderkreis ankommen? Liebt mich meine Ehefrau? Werden unsere Kinder ihren Weg einmal machen? Kann ich ihnen ein guter Vater sein?
Bei der Suche nach Sicherheit orientiert sich der moderne Mensch gerne an den «Stars». Stars sind eine typische Erscheinung unserer Zeit. Durch die Eigenwerbung wird der Starkult systematisch gefördert. Stars sind die Ersatzgötter der Moderne, durch das Scheinwerferlicht der Medien zu unnahbaren Helden erhoben, mit Glorienschein und Sternschnuppenstaub aufgepeppte Objekte der Anbetung. Stars sind nicht nur die Helden der Musikindustrie. Längst gibt es auf allen Gebieten des Lebens die Heroen: Star-Anwälte, Star-Architekten, Star-Köche, Star-Prediger usw. Da die Medien ständig Neues fordern, kommen und gehen die Helden im Minutentakt. Da sich auch die Begriffe abnutzen, erfand man neue Superlative: Genie, Diva, Primadonna, Medien-Mogul, Pop-Ikone, Legende. Dahinter stehen oft einfache Menschen, die ihre Fehler überdecken lassen und von anderen inszeniert und ins rechte Licht gerückt werden. Die Inflation der Stars offenbart jedoch nur die Problemlage, dass wir mit dem eigenen Alltag und der Durchschnittlichkeit unseres Lebens nicht mehr fertig werden.
Zusätzlich stellt man heute einen häufigen Wechsel von Meinungen fest. Ewige Überzeugungen sind heute eher selten anzutreffen. Meinungen kann man schnell ändern, Überzeugungen dagegen nur unter heftigen Schmerzen. In der Orientierungslosigkeit der pluralistischen Moderne ist dagegen nichts mehr sicher. Was heute als gesicherte Erkenntnis erscheint, kann morgen schon ins Reich der Mythen gehören. Deshalb ist es «en vogue», sich lieber nicht festzulegen. Man dreht das Fähnchen nach dem Wind, es fehlt die Kraft, aus Überzeugung einmal gegen den Strom zu schwimmen. In der Harmoniesehnsucht unserer Zeit gelten Überzeugungstäter schnell als Querulanten und Prinzipienreiter.
War die SPD früher für soziale Gerechtigkeit und für die Rechte der Arbeitnehmer, kommen einem heute manche Zweifel. Galt die CDU früher als Garantin für konservative Familienpolitik, sind an diesem Punkt heute neue Fragen entstanden. Fühlten sich die Grünen früher als pazifistische Speerspitze der Politik, reibt man sich heute angesichts der angepassten Realpolitik verwundert die Augen. Natürlich ist es nicht falsch, dank besserer Einsichten Meinungen zu ändern. Die Frage stellt sich jedoch: Für was steht man eigentlich noch? Was sind die Werte und unaufgebbaren Prinzipien einer Gruppe?
Diese allgemeine gesellschaftliche Prinzipienlosigkeit ist längst zu uns Christen übergeschwappt. Auch wir haben Mühe, unsere Prinzipien zu formulieren und zu leben. Was ist uns unaufgebbar wichtig? Auch uns fehlen die Persönlichkeiten in Kirchen und Gemeinden. Auch bei Christen weiss man manchmal nicht, woran man ist. Heute reden wir so, morgen jedoch ganz anders. Die Grundüberzeugungen mancher Kirchen und Freikirchen haben sich verflüchtigt. Elementare Überzeugungen sind für jede Gruppe jedoch absolut notwendig, um eine Identität zu entwickeln. Wenn diese Säulen umgeworfen werden, gerät alles ins Wanken.
So gilt es, in der heutigen Zeit über persönliche Werte und Überzeugungen nachzudenken. An diesem Punkt geht es in erster Linie um das Ethos des Menschen. Jede Verhaltensweise entspringt einem ethischen Prinzip. Deshalb müssen Lösungen zur Veränderung des inneren Menschen tiefer ansetzen als mit dem blossen Appell, netter zueinander zu sein.
Impulse und Auswege
Wir benötigen heute zunächst klare Prinzipien statt schneller Lösungen. Man könnte hier auch den Begriff «Werte» verwenden. Werte sind fundamentale Überzeugungen, die hinter jedem Tun des Menschen stehen. Werte sind die Säulen der menschlichen Existenz, nichthinterfragbare Axiome des menschlichen Handelns. Von den Werten her bestimmen wir unsere Handlungsweisen. Menschen mit Prinzipien und Werten sind berechenbar. Man weiss, woran man bei ihnen ist. Sie stehen auf einem festen Fundament, haben klare ethische Überzeugungen. Auf sie kann man sich verlassen.
Natürlich müssen die Prinzipien die richtigen sein! Auch Adolf Hitler hatte feste Überzeugungen – fatalerweise die falschen. Schon daran merken wir: Hinter den letzten Überzeugungen des Menschen stehen letzte fundamentale Fragen des Lebens. Deshalb müssen wir verstehen: Es gibt keine letzten Prinzipien ohne Religion. Kein Mensch kann ohne ein transzendentes, nichthinterfragbares Grundgerüst für seine Ethik leben. Selbst der Atheist hält an Axiomen fest, die durch nichts bewiesen werden können. Wenn wir unserem Verhalten eine feste Regel geben wollen, ohne ständig nach anderen Kriterien entscheiden zu müssen, brauchen wir ein festes Geländer, eine Leitplanke des Lebens.
An diesem Punkt bietet uns der christliche Glaube etwas ungemein Wichtiges an: klare Werte für das Leben. Das Christentum ist keine theoretische Grösse, keine blosse philosophische Spekulation, sondern umfassende Lebenshilfe für die Grundfragen der menschlichen Existenz. Der Glaube an Christus gibt mir klare Leitlinien, damit ich erkenne, wie ich leben soll. «Jesus schafft Persönlichkeiten, die das Salz der Erde sind» – dieser Liedvers stimmt! Solche Persönlichkeiten haben feste Werte im christlichen Glauben gefunden und können danach ihr Leben offensiv und transparent gestalten.
Darum geht es! Christsein im neuen Millennium muss sich wieder an den Geboten und Ordnungen Gottes orientieren, um seinem Auftrag gerecht zu werden. Was wir heute wieder brauchen, ist eine Rückbesinnung auf die biblischen Tugenden. Tugenden sind konkrete, von Gott gebotene Verhaltensweisen, die ein geordnetes Zusammenleben der Menschen ermöglichen. Jede menschliche Gemeinschaft lebt von solchen Übereinkünften. Tugenden sind der konkrete Ausdruck einer sittlichen Norm. Deshalb geht es nicht um Tugend an sich, sondern um den richtigen Massstab für die Tugend.
Nun müssen wir gleich einige Missverständnisse ausräumen. Der Begriff «Tugend» ist heute negativ besetzt. Die meisten Zeitgenossen denken dabei an preussischen Drill oder puritanische Gesetzlichkeit. Andere verbinden ihn mit der griechischen Philosophie und denken an Platos vier Kardinaltugenden (Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit). Das alles ist hier nicht gemeint. Es geht vielmehr um die biblische Tugendlehre. Die Bibel kennt viele Aufzählungen von Verhaltensweisen, die Gott von dem Menschen fordert (Gal. 5,22f; Kol. 3,12–17; Eph. 4,1–3; Eph. 4,32–5,2; Tit. 1,8–9; 2. Petr. 1,5–7; 1. Tim 3,2–6). Sie verurteilt zudem an vielen Stellen die Untugenden des Menschen (Gal. 5,19–21; Eph. 5,3–5; Tit. 1,7f; 2. Tim. 3,1–5). Zur antiken Tugendlehre gibt es aber einen wesentlichen Unterschied in der biblischen Ethik. Menschliche Wesens- und Charaktereigenschaften, und seien sie noch so wertvoll, schaffen nicht die Veränderung des Menschen. Tugenden werden durch den Glauben an Christus gelebt und durch diesen Glauben geformt, nicht durch den guten Willen des Menschen. Der Heilige Geist wirkt die Frucht des Geistes, die Tugenden. Diese Tugenden orientieren sich wiederum nicht an menschlichen Meinungen, sondern an den Geboten der Bibel. Gott schenkt dem Menschen in seiner Gnade nicht nur die Massstäbe zum Leben, sondern gibt uns auch durch den Glauben die Kraft, tugendhaft leben zu können. Wir müssen es nicht aus unserem eigenen Vermögen versuchen. Wir können uns nicht wie Baron von Münchhausen eigenhändig aus dem Sumpf ziehen. Gott hat alles zu unserer Heiligung getan. Christen lassen ihn in ihr Leben hineinwirken.
Ein tugendhaftes Leben nach den festen Massstäben Gottes ist eine der Hauptforderungen des Neuen Testaments: «Übrigens, Brüder, alles, was wahr, alles, was ehrbar, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was liebenswert, alles, was wohllautend ist, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob gibt, das erwägt» (Phil. 4,8). «Eben deshalb wendet aber auch allen Fleiss auf und reicht in eurem Glauben die Tugend dar, in der Tugend aber die Erkenntnis …» (2. Petr. 1,5). Die ganze Existenz des Christen besteht darin, Gott durch ein gerechtes Leben zu verherrlichen. Christen haben übrigens auch den Auftrag, die Tugenden Gottes anderen Menschen zu verkünden, sei es durch das Wort oder durch die Tat (1. Petr. 2,9). Die Tugenden des christlichen Glaubens gelten für alle Menschen! Sie sind nicht nur für die Ultra-Frommen gültig. Gottes gute Gebote sind nicht nur für die Christen gut, sondern für alle seine Geschöpfe.
Nur einige wenige biblische Tugenden seien an dieser Stelle herausgegriffen. Sie sollen uns exemplarisch deutlich machen, wie ein gottgefälliger Lebensstil der Christen aussehen könnte. Vielleicht kann diese (unvollständige) Liste als Anregung dienen, um in einer Predigtreihe, in der Bibelstunde, im Hauskreis oder in anderen Gruppen je eine biblische Tugend näher zu beleuchten.
Die Liebe gilt als die Kardinaltugend der Christen (Eph. 5,2). Bitte lesen Sie dazu den ganzen Abschnitt von 1. Kor. 13,4–8. Dieses halbe Kapitel ist eine Perle der ganzen Bibel. Es gibt kaum einen Text der Weltliteratur, der die gesamte westliche Gesellschaft so in Frage stellt, wie dieses «Hohelied der Liebe». Diese Art von Liebe scheint tatsächlich das genaue Gegenteil unserer heutigen Lebenshaltung zu sein. Hinter der hier beschriebenen selbstlosen Liebe steht die Selbstverleugnung des Menschen, nicht die Selbstverwirklichung. Sie wurde in Christus verwirklicht, als er stellvertretend für die Sünden aller Menschen am Kreuz starb. Gottes Wesen ist Liebe (1. Joh. 4,8). Diese Liebe soll sich nicht nur in Worten, sondern in konkreten Taten zeigen (1. Joh. 4,7–21). Sie macht nicht Halt bei den Feinden und ist deshalb das Band der Vollkommenheit (Kol. 3,14). Wir brauchen heute in Gesellschaft und Gemeinde eine Revolution der Liebe!
Gott fordert von uns ferner die Tugend der Demut (Kol. 3,12; Eph. 4,2), heute ein wahrlich seltenes Gut. In der Demut steckt die Gesinnung des Dienens, die Entschlossenheit, sich dem anderen unterzuordnen und auf sein Wohl bedacht zu sein, selbst wenn ich ihm menschlich überlegen bin. Demut ist nicht schwächliche Nachgiebigkeit, sondern die Bereitschaft, um des Zieles willen den untersten Weg zu gehen. Der Demütige achtet den anderen höher als sich selbst (Phil. 2,3). Das beste Vorbild für Demut gab uns Jesus Christus selbst, der als Gott Mensch wurde, um uns zu erlösen (Phil. 2,6ff; Matth. 11,29).
Man muss sich einmal vorstellen, was dies bedeutete: Gott, der Allmächtige, Heilige, Sündlose, der König aller Könige, der Schöpfer des Universums, der Erhabene, Allwissende, die Verkörperung der Schönheit, die reine Güte und Liebe – dieser Gott steigt herab in eine armselige Krippe, lässt sich von Menschen anspucken und endet verblutend am Kreuz. Er wird sogar zur Sünde! Das ist die personifizierte Demut. In unserem Zeitalter des Egoismus und des Karrierestrebens brauchen wir dringend wieder eine Revolution der Demut, sowohl in der Gesellschaft wie auch in der Gemeinde. Was würde sich dadurch nicht alles ändern!
Gleich nach der Demut folgt als biblische Kardinaltugend die Sanftmut (Eph. 4,2; Gal. 5,23). Hinter dem biblischen Begriff der Sanftmut steht das Bild eines gezähmten Tieres, das gelernt hat, sich zu beherrschen und dessen Kraft gebändigt ist. Sanftmütige Menschen sind Personen, die ihre Kräfte bündeln und beherrschen können, die nicht wild und unbeherrscht um sich schlagen, sondern sich selbst zurücknehmen, um das Ziel zu erreichen. Diese Sanftmütigen werden das Himmelreich ererben (Matth. 5,5). Sanftmut hat auch nichts mit profilloser Schwächlichkeit zu tun, denn Paulus fordert uns auf, sanftmütig zurechtzuweisen (Gal. 6,1). Sanftmut ist hier das Gegenteil von Streitsucht. Christus ist wie bei der Demut das absolute Vorbild aller Sanftmut (Matth. 11,29). Er, der Heiland dieser Welt, hätte mit Macht und Autorität dazwischenschlagen können. Ihm wäre es ein Leichtes gewesen, sich Legionen von Engeln zu Hilfe kommen zu lassen. Aber um des Zieles willen hielt er seine Macht zurück, um uns zu erlösen.
Was uns heute ebenfalls fehlt, sind Geduld und Langmut (Eph. 4,2; Gal. 5,22). Geduld ist das Aushalten einer Spannung, die durch das Böse geschieht. Sie ist also nicht passives Erdulden, sondern aktives Aushalten einer Spannung. Das fällt uns schwer, weil wir alles lieber selbst in die Hand nehmen wollen. Die Zeit läuft uns scheinbar davon. Wir haben so viel zu tun, dass wir nicht warten können. Die Beschleunigungsgesellschaft fordert ihren Tribut. Alles muss sofort und auf Knopfdruck geschehen. Wir haben keine Nerven für langes Warten. Geduld heisst jedoch: Ich haue nicht gleich dazwischen. Ich vertraue darauf, dass Gott am Ende ein gerechtes Urteil fällen wird (Röm. 2,3). Der Geduldige nimmt sich selbst nicht so wichtig. Er hat Glauben an den allmächtigen Gott. Der wird es am Ende richten. Gerade für das Zusammenleben in Kirche und Gemeinde ist Geduld eine wichtige Charaktereigenschaft (Jak. 5,7–11). Übrigens: Gott hat auch Geduld mit uns. Wie viel mehr sollten wir sie miteinander haben.
Noch etwas fehlt uns heute: die Güte. Der Begriff wird in der Bibel auch mit «Freundlichkeit» übersetzt. Gütige Menschen sind solche, die das Gute tun. Das Gute ist aber im christlichen Glauben nur das, was Gott selber für gut befindet! Gut ist folglich das, was Gottes Geboten entspricht. Nicht der Mensch setzt hier den Massstab, sondern sein göttlicher Schöpfer. Übrigens: Gott selbst ist gut (Ps. 86,5; Mark. 10,18; Ps. 145,9). Sein Wesen stimmt also auch mit seinen Massstäben überein – ein Megawert, der auch uns Menschen gut zu Gesicht stehen würde. Weil Gott selbst gut ist und das Gute tut, soll auch unser Handeln vom Tun des Guten gekennzeichnet sein (3. Joh. 1,11). Die Frage lautet deshalb ganz praktisch: Wem kann ich heute etwas Gutes tun?
Der Kontrast der biblischen Tugenden zur heutigen Zeit wird am deutlichsten beim nächsten Thema, der Treue. Nichts fehlt in unserer Gesellschaft und in unseren Gemeinden so sehr wie die Treue. Treue ist die zuverlässige Festigkeit im Handeln, die unbedingte Verlässlichkeit, die auch dann nicht aufhört, wenn keine Gegenleistung mehr zu erwarten ist. Sie ist eine nicht nachlassende Durchhaltekraft. Sie gibt nicht auf, wenn Gegenwind kommt. Sie bleibt beständig, auch wenn die eigene Lust nachlässt. Treue ist auf Langfristigkeit ausgelegt, nicht auf Kurzatmigkeit. Auch beim Thema Treue ist die Grundlage: Gott ist treu (5. Mose 7,7–9; Ps. 89,34). Er steht zu seinem Wort. Auf ihn kann man sich verlassen. Auch Christus war treu (Hebr. 2,17). Und deshalb soll auch das Leben der Christen durch Treue gekennzeichnet sein (Off. 2,10).
Das gilt auch für die ganz praktische Gemeindearbeit. Wie oft habe ich es selbst erlebt: Bei der Gründung einer neuen Gruppe stehen die Mitarbeiter Schlange. Jeder will dabei sein. Jeder setzt sich ein, damit der Start gelingt. Aber nach zwei oder drei Jahren nagen die ersten Zweifel. Der anfängliche Elan verflacht. Vielleicht nimmt auch der Erfolg ab. Und ehe man sich’s versieht, werden Argumente zusammengebastelt, um sich klammheimlich aus der Mitarbeiterschaft zu verabschieden. Zurück bleiben die Treuen, oder sollte man besser sagen: die Treu-Doofen? Gemeindearbeit, wie jedes gesellschaftliche Engagement, lebt von der Verbindlichkeit und vom langen Atem der Mitarbeiter. Wer nicht bereit ist, auch die zweite und dritte Meile zu gehen, wird keinen guten Dienst tun können. Wer nicht bereit ist, auch Durststrecken in der Gemeinde durchzuhalten, ist nicht geschickt zum Bau des Reiches Gottes. Die Länge trägt die Last! Wo sind Menschen, die verbindlich und treu und selbstlos ihren Dienst versehen, nicht nur über sechs Monate, sondern über sechs Jahre?
Die Tugendlisten der Bibel sind lang. Barmherzigkeit, herzliches Erbarmen und Mitleid gelten als Eigenschaften Jesu (Matth. 9,36; Mark. 1,41) und als Kennzeichen der Christen (Eph. 4,32; Kol. 3,12). Vergebungsbereitschaft (Eph. 4,32; Kol. 3,13) spiegelt Gottes Gnade an uns wider und sollte deshalb auch in unserem Alltag an der Tagesordnung sein. Wahrhaftigkeit – in einer Zeit der Lügen – ist heute ein weiterer «Megawert». Viele Politiker, Schauspieler, Sportler und Strafverteidiger leisten sich so genannte «Spin-Doctors», Schönredner, die durch die Medien ihre Arbeitgeber trotz Krisen in ein gutes Licht rücken. Diese gut bezahlten Meinungsmacher (oder besser: Meinungsmanipulatoren) drehen (engl. «spin») Sachverhalte so hin, dass sie im Scheinwerferlicht glanzvoll erscheinen. Hier werden das Image aufpoliert, der Schaden begrenzt und die Skandale schön gefärbt. Die Wahrheit wird auf kreative Weise verdreht, die Täuschung geschieht unterschwellig und unbemerkt. Der Täter wird als Opfer einer geschickten Intrige hingestellt.
Gottes Massstäbe sind dagegen klar: «Legt die Lüge ab und redet Wahrheit» (Eph. 4,25). Christus selbst war die Wahrheit (und Wahrhaftigkeit) in Person (Joh. 14,6). Üble Nachrede wird in der Bibel scharf gebrandmarkt (Jak. 4,11). In einer Welt der Intrigen und Verleumdungen – auch in christlichen Kreisen – ist die Verpflichtung auf absolute Wahrhaftigkeit eine Kampfansage und ein Meilenstein.
Die Dankbarkeit ist uns ebenfalls abhanden gekommen. «Die glücklichsten Menschen sind nicht die, die am meisten haben, sondern die, die am meisten danken.» Dieser Satz fiel mir neulich in die Hände. Er stellt unsere gesamte materialistische Zeit in Frage. Dankbarkeit ist der Schlüssel zum wahren Glück des Menschen. Aber wo finden wir heute Dankbarkeit? Eine alte Weisheit berichtet davon, dass sich im Himmel zwei menschliche Tugenden zum ersten Mal begegnet sind: die eine heisst Grosszügigkeit, die andere Dankbarkeit. Stimmt nicht das Sprichwort: «Undank ist der Welt Lohn»?
Wir sind undankbar geworden. Es gibt viele Gründe dafür: Manches ist uns so selbstverständlich geworden, dass wir dafür nicht mehr dankbar sind. Wer dankt schon dem Postboten, der Müllabfuhr, der Frau am Bankschalter, dem Lehrer in der Schule, dem Pastor in der Gemeinde? Die tun doch nur ihre Pflicht, so meint man. Muss man denen denn danken? Nachher werden die noch eingebildet.
Der Apostel Paulus nennt die Undankbarkeit Gott gegenüber die Ursünde aller Menschen: «Sie kannten Gott, haben ihn aber weder als Gott verherrlicht noch ihm Dank dargebracht», schreibt er über die Einstellung des von Gott getrennten Menschen (Röm. 1,21). In seinem zweiten Brief an seinen Schüler Timotheus nennt er die Undankbarkeit ein Zeichen der Endzeit (2. Tim. 3,1–2). Aber schon zur Zeit Jesu gab es undankbare Menschen. Einmal heilte Christus zehn Aussätzige, aber nur einer kam zurück, um sich bei ihm zu bedanken (Luk. 17,11–19). Das Problem der Undankbarkeit scheint also zeitlos zu sein.
Dabei ist Jesus Christus das beste Beispiel eines dankbaren Menschen. Obwohl er Gott in Menschengestalt war, lesen wir mehrfach von ihm, dass er dankte (Matth. 14,19; 26,26f; Joh. 11,41). Jesus war uns in seiner Dankbarkeit ein Vorbild. Sein ganzes Wesen spiegelte die Dankbarkeit gegen Gott wider. Wenn Jesus dankbar war, sollten wir es nicht auch sein? Die Bibel fordert uns zudem auf, jederzeit dankbar zu sein (Eph. 5,20; 1. Thess. 5,18). Ja, eigentlich soll die gesamte Existenz des Menschen den Dank gegenüber Gott und den Menschen ausdrücken. Der Mensch ist geschaffen, um Gott zu loben (Eph. 1,12), d. h. Gott zu erhöhen und ihm zu danken. Wir verfehlen unsere Bestimmung, wenn wir nicht dankbare Menschen sind.
Legen Sie jetzt bitte dieses Buch für einige Minuten aus der Hand (aber das Weiterlesen dann nicht vergessen!) und überlegen Sie konkret, wem sie heute einmal ihre Dankbarkeit ausdrücken sollten. Sie können sicher sein: Es tut dem anderen gut! Wann haben wir Männer uns bei unseren Frauen zum letzten Mal für ihre Liebe und Unterstützung bedankt? Wann haben Kinder das letzte Mal bei den Eltern einen Herzensdank vom Stapel gelassen? Keine Angst: Die Bedankten werden nicht gleich eingebildet. Dafür kam unser Dank bisher zu spärlich. Aber Beziehungen werden wieder heil, wenn ich meine Wertschätzung ausdrücke. Auch in der Gemeinde haben wir eine Dankoffensive nötig. Viele setzen sich für das Wohl der Gemeinde ein – danken wir es ihnen? Oder haben wir uns auch daran schon gewöhnt? Bei allem darf der Dank an Gott nicht fehlen. Ja, er soll sogar an erster Stelle stehen. Die meisten Briefe des Neuen Testaments fangen deshalb damit an: mit dem Dank für die Gnade und den Segen Gottes. Vergessen wir auch hier nicht, was Gott alles Gutes an uns getan hat.
Unsere Liste christlicher Tugenden ist noch nicht zu Ende. Dazu gehört auch unbedingt die Freude (Phil. 4,4). Überall, wo Jesus auftauchte, kam Freude in das Leben der Menschen (Luk. 2,10; Joh. 15,11; 16,24; Matth. 28,8). Selbst in leidvollen Situationen des Lebens empfingen Christen die Freude des Herrn (Jak. 1,2). Die Freudlosigkeit vieler christlicher Kreise heute ist dagegen erschreckend.
Frieden ist eine weitere Eigenschaft, die auf Gott selbst zurückgeht und die uns Menschen sichtbar prägen sollte. Wie alle Tugenden ist auch sie eine «Frucht des Geistes» (Gal. 5,22), d. h. sie ist ein Geschenk Gottes. Frieden fällt uns nicht automatisch zu, er muss errungen werden (2. Tim. 2,22). Christen sollen als Friedensstifter in dieser Welt einen Unterschied machen (Jak. 3,18). Es fällt immer auf, wenn der Friede Christi in den Herzen von Menschen regiert (Kol. 3,15).
In einer Zeit moralischer Dekadenz, die erstaunliche Parallelen zur Ära des Unterganges von Rom zeitigt, dürfte auch die Tugend der Keuschheit als Antipode dienen (Gal. 5,23). Sie wird eng mit der Selbstbeherrschung verbunden. Der Begriff bezieht sich nicht nur auf den sexuellen Bereich, sondern auf alle Handlungen des Menschen.
Andere Tugenden seien nur angedeutet: Besonnenheit, Gerechtigkeit, Gastfreundschaft (Tit. 1,8). Aber auch Fleiss, Pünktlichkeit, Tapferkeit, Sparsamkeit, Mässigung, Anstand, Respekt, Pflichtgefühl, Verlässlichkeit und Achtung dürfen nicht unerwähnt bleiben.
Tugenden sollen wir nicht leben, damit andere uns grossartig finden, sondern damit wir damit Gott verherrlichen. Das ist der erste und wichtigste Grund unseres Handelns. Automatisch werden wir dann in zweiter Linie zu glaubwürdigen Menschen, denen man vertraut und die auch ein Zeugnis sind für ihren Heiland. Glaubwürdigkeit, dieser Megawert unserer Zeit, ist da vorhanden, wo man Menschen vertrauen kann, weil sie verlässlich und berechenbar sind. Genau solche Menschen müssen Christen sein.
Christsein im neuen Millennium ist eine grosse Herausforderung und wird dauernd angefochten bleiben. In der Hektik des Alltags werden wir jeden Tag darum kämpfen müssen. Ein Leben, das Gott gefällt und sich nicht nach den Massstäben der Zeit richtet, fällt keinem in den Schoss. Es muss errungen werden. Niemand wird ohne Fehler und Versagen dieses alternative Leben führen können. Deshalb sind Busse und Bekenntnis fundamentale Bestandteile eines glaubwürdigen Christenlebens. Das tägliche Sündenbekenntnis vor Gott sollte zu unserem Christsein gehören. Dabei geht es nicht um den «Bussgang nach Canossa» oder um eine ständige Selbstkasteiung des armen Sünders, sondern um das schlichte Gebet des Gläubigen um Vergebung der Schuld. Nur die selbstgerechten Pharisäer haben die Beichte nicht nötig. Wer sich aber selbst im Lichte Gottes sieht, der erkennt sich als Sünder. Dies gilt auch für Christen, nicht zuletzt für diejenigen, die im so genannten vollzeitlichen Dienst stehen!
Um das Christsein in Treue und Verbindlichkeit zu leben, helfen uns feste Tagesabläufe. Die geistliche Übung verlangt geradezu nach einem gewohnten Schema, nach festen Regeln. Ich empfehle jedem Christen feste Gebetszeiten am Tag. Der Morgen eignet sich je nach häuslicher Situation besonders gut für eine Zeit der Besinnung, des Gebetes und der Bibellese. Ich empfehle aber auch kleine, über den Tag verteilte Besinnungspausen – und wenn sie nur Sekunden dauern –, in denen wir uns neu auf Gott ausrichten und still zu ihm beten. Auch als Abschluss des Tages sollte das Gebet nicht fehlen, ebenso wenig die Andacht mit der Familie. Hilfreich können auch gewisse Traditionen sein. Mich haben Familien sehr beeindruckt, bei denen es feste «Rituale» gibt. Sei es die Tradition, dass sich alle Familienmitglieder an bestimmten Festtagen treffen (die Top-Priorität im Jahr), sei es, dass man Weihnachten, Ostern oder den Geburtstag nach bestimmten Regeln feiert.
Unsere Welt und unsere Gemeinden brauchen von Gott geformte Persönlichkeiten, die nach den biblischen Prinzipien und Werten konsequent leben. Fangen wir doch heute an, Gott um eine Erneuerung unseres persönlichen Lebens zu bitten und auf seine Resultate zu warten.
Wahre Identität
Das ist wahr, Conrad. Bei Gott gibt es Identität. Er hat uns geschaffen. Unserer Gesellschaft fehlt es an Identität. Deshalb müssen auch immer neue Stars her, mit denen wir uns identifizieren wollen. Dies werden tendenziell immer mehr Leute wie du und ich. Shows, bei denen Normalos auftreten, von denen dann “der Beste” ausgesiebt wird. Wahre Identität gibt es nur bei Gott (s. Ps. 39). Wenn man den liest, sieht man, dass Gott uns total kennt. Er hat uns geschaffen. Er hat jedes Haar auf unserem Kopf gezählt. Bei ihm finden wir Ruhe.
Liebe Grüße
Regina