2013: Viele Touristen sterben in den Alpen. Ein Bergretter berichtet aus seinem Leben.

Dreiundzwanzig Uhr dreißig. Startbereit stehe ich vor meinem Paragleiter auf der Weitscharte am Gosaukamm. Ich muss mich beeilen, denn im Raum Salzburg steht eine pechschwarze Wolkenwand und Blitze zucken. Noch herrscht Windstille und ich habe keine Bedenken. Dutzende Male bin ich schon bei Vollmond geflogen, habe dieses Gefühl der absoluten Freiheit ausgekostet. Ich komme gut weg. Eine einzigartige Stimmung dringt auf mich ein: Über der Bischofsmütze steht die Kugel des Vollmondes, draußen am Untersberg zucken Blitze und auch der Donner ist schon zu hören. Lautlos schwebe ich in der ruhigen Atmosphäre dahin. Wie wunderbar hat Gott das Universum geschaffen, wie schön ist dieses Fleckchen Erde, über das ich im Mondschein fliege! Staunend denke ich über diesen Schöpfer nach. Nun fliege ich über meinen Heimatort Annaberg.
In einer halben Minute werde ich direkt vor der Haustür landen! Plötzlich klappt eine Hälfte meines Schirms herunter – es wird doch nicht …? Tatsächlich, der erste Windschwall ist da! Obwohl ich den Paragleiter gegen den Wind stelle, fliege ich rückwärts. Jetzt ist auch die Sicht weg! Die ersten Wolken haben den Mond »gefressen«! Orientierung gibt es nur noch, wenn es blitzt. Gut, dass es oft blitzt. Nervös drehe ich in Windrichtung. Blankes Entsetzen packt mich, als ich ein unverkennbares Rauschen höre: Der Sturm ist da! Der Wind packt mich. Ich schreie Stoßgebete in die Nacht. Es ist entsetzlich. Ich werde mit enormer Geschwindigkeit derartig in die Höhe gezogen, dass es mir vorkommt, als würde das Gurtzeug reißen.
Gleich darauf klappt der Schirm. Im nächsten Augenblick werde ich Richtung Wald hinunter geschleudert und im letzten Moment wieder gehoben.
Ständig schreie ich verzweifelt meine Gebete. Während des Blitzens sind die ersten Felder im Nachbartal erkennbar. »Bitte, bitte, lass mich runter! «, flehe ich. Tatsächlich lande ich unverletzt in einer Sumpfwiese. Ich knie im Dreck nieder und danke meinem Gott für die unfassbare Rettung. Daheim im Bett liege ich noch lange wach. Radikal bin ich heute vom hohen Roß katapultiert worden. Gott hat mir unmissverständlich gezeigt, wer der Chef ist. Nicht ich, mit meiner Alpinerfahrung,
sondern er. Wie ist es so weit gekommen? Meine Gedanken gleiten zurück in die Kindheit.
Meine gute Mutter hat meine drei Geschwister und mich nach bestem Wissen und Gewissen erzogen.
Als religiöse Frau war sie bemüht, aus uns wertvolle Christen zu formen. Morgen-, Abend- und Tischgebete sowie regelmäßiger Kirchgang gehörten zur Selbstverständlichkeit.
Während der Volksschulzeit diente ich als Ministrant. Unser Pfarrer riet uns Buben zu einem vollständigen Ablass. Ich machte gerne davon Gebrauch, denn so konnte ich nach dem Tod ohne Fegefeuer direkt in den Himmel kommen. Ich musste eine Zeit lang jeden Sonntag in die Kirche und zur Beichte gehen, die Kommunion empfangen und viele ausgewählte Gebete sprechen. Mein Bubenherz war glücklich, als ich es geschafft hatte. Dass es Gott geben muss, war für mich klar. Aber wer war er wirklich? Ich konnte ihn nicht sehen, der Pfarrer und meine Mutter auch nicht. Ob es jemanden gab, der ihn mir zeigen konnte? Fast jeden Sonntagnachmittag durchstreifte Mutter mit uns Kindern Wälder und Almgebiete.
Vater ging selten mit. Er musste sich von der anstrengenden Arbeit in der Holzindustrie erholen. Während der Woche zog ich mit einigen Buben auf der Suche nach Abenteuern durch die Wälder.
Wir bauten Indianerhütten, Baumhäuser und Brücken,stauten Bäche auf und praktizierten damals schon das Lawinensurfen auf Steilhängen. Am Beginn der Hauptschulzeit stieß ich auf die Zeitschrift »Jugend im Alpenverein«. Ich beschloss, Bergsteiger zu werden. Meine Begeisterung war ansteckend. Bald war eine Clique von Buben beisammen.

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