Den wahren Unterschied zwischen dem Wachstum von Islam und Christentum hat der SPIEGEL nicht erfasst.

Damit sind wir schon bei meiner religionssoziologischen Grundsatzkritik am "Spiegel":
1. Auch wenn der Spiegel den Eindruck erweckt, darzustellen, was die Hälfte der Menschheit bewegt, ist er von einem Gesamtbild der weltweiten Lage weit entfernt. Ein Beispiel unter vielen: Die katholische Kirche erscheint praktisch nur als Zuschauer, die auf die Erfolge der Evangelikalen neidisch ist. In Wirklichkeit ist die katholische Kirche etwa in Afrika stark am Wachsen und gerade in dem dargestellten Weltlauf zwischen Islam und Christentum ein zentraler Faktor.
2. Religionssoziologisch ist die Frage von zentraler Bedeutung, wodurch die Religionen denn vor allem wachsen. Der Spiegel übergeht hier völlig, dass sich gerade hier ein tief greifender Unterschied zwischen Islam und Christentum auftut: Der Islam wächst fast ausschließlich durch sein enormes Bevölkerungswachstum (und in einigen Ländern durch die starke Auswanderung von Muslimen aus ihren Kernländern). Dazu kommt der Anpassungsdruck in islamischen Ländern. Die ‚Erfolge‘ durch klassische Überzeugungsarbeit und Einzelübertritte sind vergleichsweise gering. Das Christentum wächst praktisch nirgends durch Anpassungsdruck. Das Bevölkerungswachstum ist in vielen ehemals christlichen Ländern zum Stillstand gekommen, und selbst in Asien und Afrika, wo Christen mehr Kinder haben, trägt das Bevölkerungswachstum weniger zum Wachstum bei, weil die nächste Generation – anders als im Islam – vergleichsweise einfach den christlichen Glauben wieder aufgeben kann und das auch in Teilen tut. Das Wachstum des Christentums geht deswegen zu weit mehr als 90% auf inhaltliche Werbung und Einzelbekehrungen aus Überzeugungen zurück. Das war längst nicht immer so, gilt heute aber fast überall. Man mag das beurteilen, wie man will, in das Gesamtbild eines Wettlaufes zwischen Christentum und Islam hätte das unbedingt hineingehört. Erst diese Gegenüberstellung zeigt, wie ungleich der Wettbewerb zwischen den beiden Religionen ist, den der Spiegel erfreulicherweise zum Thema gemacht hat.
3. Ein Grundirrtum ist die Aussage: „Es sind nicht die Mütter Teresa dieser Welt, die das Missionsgeschäft mit größter Leidenschaft betreiben“. Doch, es sind sie. Denn Mutter Teresa war nun einmal hochgradig religiös motiviert (‚Fundamentalistin‘ würde das der Spiegel nennen). Denn einerseits wird die weltweite christliche Sozialarbeit unter den Ärmsten der Armen von sehr überzeugten Christen betrieben. World Vision und die Heilsarmee seien hier stellvertretend genannt. Und andererseits ist der Einsatz für die Schwachen integraler Bestandteil gerade des Eifers überzeugter Christen. Die Evangelikalen investieren Milliarden für die sozial Schwachen weltweit. Das mag man schätzen oder schlimm finden. Aber eine simple Unterscheidung in gute christliche Entwicklungshelfer und schlechte Missionsprediger wird der Realität fast nirgends gerecht. Übrigens gilt das auch für die islamische Seite. Viele Erfolge der islamischen Fundamentalisten sind dem Umstand zu verdanken, dass sie ein eigenes, funktionierendes Sozialsystem aufbauen, wo der Staat versagt – auch wenn es nur für Muslime gilt. Die Palästinensischen Autonomiegebiete sind dafür das bekannteste Beispiel.(.thomasschirrmacher.info)

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