Eine sonderbare und bemerkenswerte Storchengeschichte.

In einem norwegischen Dorf lebte eine Witwe mit ihrem einzigen Sohn. Ganz in der Nähe ihrer kleinen Hütte schlug alljährlich ein Storch seine Wohnung auf und war bald Freund des kleinen Konrad, der sein Kommen im Frühling herbeisehnte und ihm während der Sommermonate manchen Leckerbissen zutrug. Sobald der Knabe pfiff, kam Freund «Langbein» eilig herbei und frass Raupen und anderes Getier aus seiner Hand. Klapperte er hernach befriedigt, so nahm Konrad das als Ausdruck des Dankes freudig entgegen. Jahr für Jahr ging dahin, aus dem Knaben wurde ein Jüngling, und da er den Seemannsberuf erwählte, musste er von seiner Mutter scheiden.

Das Schiff auf dem er Dienst tat, segelte nach der ostafrikanischen Küste, wurde hier aber von Seeräubern angefallen. Die ganze Mannschaft wurde als Sklaven verkauft. Die arme, einsame Mutter blieb ohne Nachricht, und schließlich gab sie jede Hoffnung auf ein Wiedersehen auf und dachte, ihr Sohn habe den Tod in den Meereswogen gefunden. Der Storch hingegen kam alljährlich wieder, wurde mit wehmütiger Freude begrüßt und im Gedenken an den Verlorenen freundlich behandelt und gefüttert. Auch Konrad gedachte der guten alten Zeit, wenn er bei seiner schweren, trostlosen Arbeit mal einen Storch sah.

Und siehe, eines Tages kam ein Storch ganz zutraulich in seine Nähe. Unwillkürlich pfiff Konrad sowie er einst als Kind dem heimatlichen Storch zugepfiffen hatte. Wer beschreibt sein Entzücken, als der Storch sofort dicht an ihn herankam und offenbar Futter zu erhalten hoffte! Tag für Tag Parte nun Konrad von seiner kümmerlichen Nahrung und ließ täglich den Storch aus seiner Handfressen. Doch auch hier kam die Zeit des Abschieds, und Konrads Herz war tief bekümmert. Da kam ihm auf einmal der Gedanke: Sollte der Storch wie vor Zeiten in das norwegische Dörflein fliegen und der Bote sein, der seiner Mutter daheim Kunde von ihm bringen könnte? Also schrieb Konrad seiner Mutter auf einen kleinen Zettel, wie es ihm ergangen sei, wo er sich jetzt befinde und dass man ihn als Sklave festhalte. Den Zettel band er dem Storch fest an ein Bein und schied bewegten Herzens von dem dahineilenden Freund .

Die Mutter hatte schon lange nach den heimkehrenden Störchen ausgeschaut. Endlich waren sie da, und alsbald stellte sich auch ihr Liebling wieder ein, um aus ihrer Hand Futter zu empfangen. Und siehe — was hängt da Seltsames an einem seiner Beine? Neugierig löst die Mutter es los, und erkennt voller Staunen die Handschrift- ihres geliebten Sohnes und erfährt sein Geschick! Sie eilt zu ihrem Pastor. Die ganze Gemeinde nimmt Anteil: Reiche Gaben fliessen zusammen, um den Unglücklichen Loszukaufen. Sogar der König setzt sich für die Sache ein, und so kommt es, dass — noch ehe der Storch wieder gegen Süden zieht — der verlorene Sohn unter festlichem Glockengeläute in sein Dörflein zu seiner unbeschreiblich glücklichen Mutter heimkehrt! Sollte nun jemand einwenden, diese Geschichte sei erfunden, so sei noch mitgeteilt, dass zur bleibenden Erinnerung für spätere Geschlechter an der Kirche sowie an vielen Häusern jenes norwegischen Dorfes ein Storch abgebildet ist.

Und jedem Reisenden, der nach einer Erklärung forscht, wird diese wunderbare Geschichte der Wahrheit gemäß berichtet. „Solches geschieht auch vom Herrn Zebaoth; denn sein Rat ist wunderbar, und erführt es herrlich hinaus” (Jesaja 28,29).

Aus: Shiao Hua — das Chinesenmädchen, TVF Frutigen

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