Es ist Kraft im Namen des Herrn. Wilhelm Busch erzählt aus seinem Leben.

Wilhelm Busch berichtet in seiner so typischen Art:
»Der Fernsprecher schrillt. ›Herr Pfarrer, in Ihrem Bezirk steht zur Zeit der Zirkus Sarrasani. Da ist vorgestern eine Amerikanerin gestorben. Sie müssen die Beerdigung übernehmen!‹
Zeit und Stunde werden ausgemacht.
Am nächsten Tag stehe ich bei der Friedhofskapelle. Da ist der Sarg. Eine große amerikanische Flagge bedeckt ihn. Ein Wärter tritt zu mir: »Wissen Sie, dass es sich um eine Indianerin handelt? Ihr Zelt, in dem sie in dem großen Zirkuslager wohnte, hat Feuer gefangen, und an den Brandwunden ist sie gestorben.«
Eine Indianerin? War sie wohl Christin? Und welche verschlungenen Wege führten sie wohl von den Steppen Nordamerikas zu uns? Ehe ich noch alle auf mich einstürmenden Gedanken ordnen kann, höre ich draußen Musik. Ich eile hinaus.
Ein buntes Bild. Da kommt der ganze Zirkus anmarschiert.
Voran drei farbige Musikkapellen. Dahinter der Zirkusdirektor. Dann kommen die Indianer. An der Spitze der hoch gewachsene Häuptling, hinter ihm die anderen Männer und Frauen seines Stammes, große, hagere Gestalten im Schmuck der Adlerfedern. Dahinter ein endloser Zug: Kosaken und Tataren, Chinesen und Japaner, Rifkabylen aus Nordafrika und Cowboys aus den Vereinigten Staaten, Farbige, Tänzerinnen. Besonders fällt mir eine Reihe junger Mädchen in Reithosen und Sporenstiefeln auf, deren Gesichter über und über geschminkt und gepudert sind. Sie alle füllen schwatzend und lärmend die enge Friedhofskapelle. Das Gedränge ist groß.
Die jungen Reitmädchen setzen sich auf die Fensterbank, um von da oben alles sehen zu können. Und dann stellt mich der Zirkusdirektor dem Indianerhäuptling vor. Ein seltsames Bild: der evangelische Pfarrer in seiner Amtstracht, dem der Indianerhäuptling in voller Bemalung die Hand drückt. Aber dann fällt mir meine Leichenrede schwer aufs Herz.
Eine solche Beerdigung habe ich noch nie erlebt. Es wird gut sein, wenn ich dem fahrenden Volk ein Wort von der Wanderschaft des Erdenlebens sage und von der großen Ewigkeit.
Wird das aber möglich sein? Zaghaft wende ich mich an den Zirkusdirektor: »Sagen Sie doch bitte, verstehen die Leute denn Deutsch?«
»I bewahre –«, lacht er, »– und auch Englisch verstehen nur ein paar von ihnen. Da sind viele Ausländer drunter, die nur ihre Muttersprache verstehen. Die verständigen sich mit mir durch ihren Englisch sprechenden Dolmetscher. Reden Sie nur irgendetwas, es versteht doch niemand.«
Da kommt eine große Verzagtheit über mich. Das wäre ja sinnlos, wenn ich reden sollte, was kein Mensch versteht.
Nun, dann will ich wenigstens zu denen reden, die mich doch verstehen müssen. Der Zirkusdirektor und dieser und jener unter den Deutschen, sie werden lange nicht in der Kirche gewesen sein. Denen will ich ein Ewigkeitswort sagen!
So lese ich ein Bibelwort und sage ein paar Sätze. Die Versammlung ist schrecklich unruhig. Die Mädchen dort oben auf der Fensterbank beschäftigen sich mit Taschenspiegeln, Lippenstift und Puderquaste. Nun, es muss auch langweilig sein, wenn man eine Rede nicht versteht.
Ich spreche von dem traurigen Schicksal dieser Indianerin, die nun in einem fremden Land ihr Grab findet. »Ihr, die ihr immer umherzieht durch alle Länder, ihr alle seid heimatlose Leute. Aber euch möchte ich sagen, dass dafür die ewige Heimat zu euch gekommen ist. Unsere Seele ist zu Hause, wenn sie bei Jesus ist.«
Da geschieht etwas ganz Seltsames.
Als ich den Namen Jesus ausspreche, geht’s wie eine Bewegung durch die Versammlung. Das ist ein Wort, das sie alle verstehen. Und beim Klang des Wortes Jesus horchen sie auf.
Aber ich merke sofort: Es ist nicht nur deshalb, weil der Name allen bekannt ist; er hat eine ganz eigentümliche Gewalt. Die Indianer neigen sich. Die unruhigen Asiaten werden ganz still. Die Russen schauen mich mit großen Augen an. – Da habe ich nun auf einmal meine Leichenrede gefunden. Sie kann von nun an nur noch ein Wort sein: dieser große Name
Jesus!
So sage ich einen Satz nach dem anderen. Es kommt mir nurmehr auf den Namen Jesus an. Immer wieder verneigen sich die Indianer. Ganz still ist’s mit einem Mal in der Versammlung. Meine Augen gehen zu den leichtfertigen Mädchen: Verschwunden sind Lippenstift und Spiegel. Der einen laufen die hellen Tränen übers Gesicht. Eine andere stützt den Kopf in die Hände; ob ihre Gedanken wohl zurückgehen in eine reinere Jugendzeit, wo sie zum ersten Mal den Namen Jesus hörte?
Und während ich weiter den Namen Jesus verkündige und all diese Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt vor ihm still werden, ist mir’s, als erlebte ich schon ein Stücklein von dem, was am Ende einmal sein wird: dass in diesem Namen sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind!«

Wilhelm Busch, »Zirkus Sarrasani«, in: Kleine Erzählungen, 4. Auflage, Bielefeld: CLV 2018,
S. 117-120.

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