Frau Professor Drossel, gibt es Gott?

Prof. Dr. Barbara Drossel: Ja. Denn was ist die letzte Realität? Was ist das, was absolut, ewig, aus sich heraus existiert, was ist der Urgrund von allem anderen? Dass die letzte Realität eine geistige ist und dass Materie vergänglich ist und von dieser geistigen Realität erschaffen wurde, finde ich jedenfalls plausibler als die gegenteilige Annahme. Viele Wissenschaftler vertreten die Auffassung, die Materie und die Naturgesetze seien die letzte Realität, und es gebe keine Absicht, keine Pläne, keinen Sinn dahinter. Für mich ist Gott mit Konzepten wie Absicht, Sinn oder Plan verbunden. Gott ist also eine Person, hat Bewusstsein, ist jedoch mitnichten an die materielle Welt gebunden. Die Tatsache, dass wir Pläne, Bewusstsein und Werte haben, weist für mich auf eine größere geistige Realität hin, ebenso wie unsere Sehnsucht nach Ewigkeit. Es gibt Fragen, für die die Naturwissenschaft zuständig ist, zum Beispiel: Wie funktioniert die Welt, welchen mathematischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt sie, was sind die Regelmäßigkeiten, was sind die Ketten von Ursache und Wirkung? Und es gibt Metafragen, für die die Wissenschaft grundsätzlich nicht zuständig ist. Das sind etwa solche: Wollte jemand diese Welt, hat jemand sie sich ausgedacht? Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es einen Plan, gibt es eine Antwort auf das Leid in der Welt?

Diese legitimen Fragen können weder die Physik noch die Biologie beantworten. Die Menschheit ist ja nicht weniger religiös geworden durch den Fortgang der Wissenschaft, eher im Gegenteil. Der Grund dafür ist meines Erachtens, dass die wichtigen Lebensfragen von der Wissenschaft nicht beantwortet werden. Die Wissenschaftsphilosophen sagen, dass wir immer Vorannahmen machen müssen. Zudem legen Daten nicht eine Theorie eindeutig nahe, sondern lassen Raum für Interpretationen. Naturwissenschaftler formen aus empirischen Daten Theorien, die sie plausibel finden, aber letztlich ist das immer eine Induktion, die über das hinausgeht, was man streng logisch aus den Daten folgern muss.

Nur in der Mathematik arbeitet man strikt deduktiv. Aber wenn Materie nicht ewig ist, muss sie von etwas anderem in Existenz gerufen worden sein. Und was tun Sie, wenn Ihnen genommen wird, was Ihnen Lebenserfüllung gibt? Das Großartige am Glauben ist für mich, dass der Lebenssinn tiefer geht als die Dinge, die ich selbst in das Leben hineinlege. Die Tatsache, dass wir moralisch sind, weist auf eine Instanz hin. Wir alle haben moralische Maßstäbe, ob wir es wollen oder nicht, und bei bestimmten Dingen sind wir uns einig, dass sie objektiv böse sind. Offenbar gibt es eine uns prägende Instanz, die moralisch ist. In gewissem Sinn ja. Die Physik wirft Fragen auf, die über sie selbst hinausweisen. Allein dass die Welt rational verstehbar ist, in einer mathematischen Sprache beschrieben werden kann und es Naturgesetze gibt, deutet auf einen rationalen Gesetzgeber hin.

Weshalb es Naturgesetze gibt, kann innerhalb einer naturgesetzlich bestimmten Welt nicht beantwortet werden – genauso wenig wie die Frage, warum wir diese Gesetze verstehen können. Für Einstein war die Verständlichkeit des Universums ein großes Rätsel. Ich halte die Antwort für plausibel: Das ist so, weil es einen Gott gibt, der uns erlaubt, seine Gedanken ein Stück weit nachzuvollziehen. Oder nehmen Sie die Feinabstimmung der Naturkonstanten, also das anthropische Prinzip, wonach das Universum offenbar mit der Absicht gemacht wurde, dass Leben darin entsteht. Die Frage nach Gott ist freilich eine Metafrage, keine physikalische.

Barbara Drossel ist Professorin für Theoretische Physik an der Technischen Universität Darmstadt. Sie forscht auf dem Gebiet der Theorie komplexer Systeme.  (Zitate einer kleinen Diskussion) https://www.spektrum.de/news/was-haben-glaube-und-vernunft-gemein/1587770?fbclid=IwAR28U6VVXVhCA3K8fMnalUoAdy1ebVJkD4S7rVd2o9G5VL6OzavuAbIj_ME

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