Göttliche Veränderung. Von einer Partymaus zu einer Dienerin Gottes.

„Eben erst war sie aus Südafrika heimgekehrt, wo sie als Stylistin während sechs Wochen an einem Fotoshooting beteiligt war. In den Townships hatte sie Kinder getroffen, deren Kraft und Freude sie emotional bewegten. Sie musste weinen, als sie sich von ihnen verabschiedet hatte. Zurück in Zürich beschlich sie dieses Gefühl der Leere und der Rastlosigkeit. Die Telefone klingelten zwar wie immer, der Arbeitsalltag hatte sie bereits wieder. Doch Weiss wollte nicht mehr so richtig.

Der Moment auf der Bank an der Bahnhofstrasse war der Beginn einer grossen Wandlung, von der Weiss erzählt, als sie mir im Restaurant Volkshaus gegenübersitzt. Eine Wandlung vom Szenegirl zur gläubigen Christin, von der Partyveranstalterin zur Suppenschöpferin in Pfarrer Siebers Sunestube.

Beginnen wir vorn, in einer Zeit, mit der Weiss heute hart ins Gericht geht. Von der sie sagt, dass sie zwar von Jesus vergeben, aber von ihr nicht vergessen sei. Beginnen wir in der Stadt Bern, wo Weiss zuerst acht Jahre im Buchhandel arbeitete, bis es ihr langweilig wurde. «Ich wollte vor allem berühmt werden», sagt sie. Was ihr gelang. Sie veranstaltete Szenepartys in Swingerclubs mit dem Namen World of Venus und moderierte eine Erotiksendung bei TeleBärn. Weiss machte beim «Playboy» in Deutschland als Redaktorin Karriere, danach als Stylistin in Zürich. An der Langstrasse bezog sie bald eine Wohnung. Weiss amtierte als Modeexpertin und Fotografin beim «Blick» und baute nebenher ihre eigene Promotionsagentur auf, womit sie, wie sie sagt, so viel Geld verdiente wie nie zuvor in ihrem Leben.

Dank ihres Rufs als Produzentin und Stylistin war sie ein gern gesehener Gast bei Fashionshows rund um den Globus und auf den Partys der Schweizer Promiszene. Sie lebte, bis auf eine Ausnahme, vorwiegend in kurzfristigen Beziehungen. 15 Jahre lang kiffte sie täglich. «Das normale Leben in der Kreativwirtschaft halt.» Als sie mit 37 Jahren auf dem ­Höhepunkt ihrer Berufskarriere stand, musste sie die «Notbremse» ziehen. Es war jener Moment auf der Bank an der Bahnhofstrasse, es war Mitte Februar 2011.

Heute bilanziert die 41-Jährige: «Eigentlich suchte ich Zuneigung und Liebe, verwechselte das jedoch mit Erfolg und Bewunderung.» Die Selbstzweifel und die Zweifel an ihrem Lebensstil entfremdeten sie immer mehr von der Umgebung, in der sie sich bisher so gekonnt bewegte. Wenige Monate nach ihrer Rückkehr aus Südafrika kündigte Weiss ihre Wohnung an der Langstrasse und zog in ein Zelt an der Aare. «Ich wollte meine eigene Armut finden.» Sie verkaufte ihre Garderobe und fuhr täglich barfuss nach Zürich zur Arbeit. In ihrer Freizeit verbrachte sie viel Zeit mit schamanistischen Trommlern und tanzte Bäume an, wie sie erzählt. «Ich wurde meinen Stolz allerdings nie los, dieses Gefühl, mich permanent über andere Leute zu erheben.» Ihren Facebook-Account mit den 2500 Freunden löschte sie, experimentierte mit Buddhismus und Yoga. Doch auch das fruchtete nicht. Nach ein paar Monaten schmiss sie die Modelordner und die Buchhaltung ihrer Promotionsagentur in den Abfalleimer. Noch einmal hörte sie ihre alten Schallplatten, die sie aus ihrer Zeit als DJ besass, und archivierte die Fotos ihrer Partyreihe World of Venus. Dann reiste sie nach Indien.

Sechs Monate wollte sie in einem protestantisch geführten Waisenhaus im Norden des Subkontinents verbringen. «Ich fühlte mich selbst wie eine Waise, als ich in Indien ankam.» Sie las dort zum ersten Mal in der Bibel, was sie erfüllte, wie sie sagt. Der Heilige Geist habe sich ihr gezeigt. Sie wollte von nun an dem Weg Jesu folgen. Bei einem Wasserfall in der Nähe von Varanasi liess sie sich taufen. Tina Weiss war jetzt gläubige Christin. Und als solche, dachte sie, hätte sie einiges wiedergutzumachen: ihre sexuellen Eskapaden, ihren Drogenkonsum, ihre oberflächlichen Beziehungen. Ihr vorheriges Leben. Weiss war jetzt auf dem Weg der Sühne. Und der führte sie zurück nach Zürich.

Nach drei Jahren in der Studien­gemeinschaft L’Abri und zurück bei den Eltern begann sie ein Studium am International Seminary of Theology and Leadership in Zürich. Daneben nahm sie eine Stelle im sozialen Bereich an: bei der Nemo, der Notschlafstelle für Jugendliche, und in der Sunestube im Langstrassenquartier, beides Einrichtungen von Pfarrer Sieber. Weiss, die ­ihren Namen vor ihrer Wandlung englisch Vice, also Laster, buchstabierte, kehrte quasi an ihre alte Wirkungsstätte zurück, in die Gegend, in der sie damals arbeitete und lebte. Nur die Vorzeichen hatten sich geändert.

«Ich hätte in der Psychiatrie, in der Pornografie, in den harten Drogen oder auch tot enden können», sagt sie. Stattdessen helfe sie nun Leuten, denen es weniger gut ergangen sei als ihr. Sie könne das nur mit der Hilfe Gottes bewältigen, bekräftigt sie.

In der Sunestube gibt es an diesem Nachmittag im Januar Thai-Curry und zum Dessert einen Weihnachtsmann aus Schokolade, ein Restposten. Kurz vor dem Abendessen heisst Weiss die rund 20 Gäste willkommen, erklärt das Programm und schliesst mit einem Segensspruch. Die Gäste begrüssen sich, reden generell wenig, geniessen aber die Mahlzeit. Einige verlassen die Sunestube nach 15 Minuten wieder. Andere bleiben sitzen, lesen Zeitung. Weiss macht die Runde, setzt sich zu den Gästen. Die Atmosphäre ist gleichgültig bis freundlich.

Auch andere Stationen ihres früheren Lebens kehren zurück. Im Sommer wird Weiss nach Ibiza fliegen. Nicht, um Party zu machen. Sondern um als Mitglied des 24/7 Prayer Teams nachts «Einsame, Halluzinierende, Betrunkene oder Verletzte ins Spital oder ins Hotel zu begleiten». ..Denn, so Weiss zum Abschluss: «Als Christen sind wir gebrochene Menschen, aber echt und schwach, von Gott abhängig. Seine Kraft wird in den Schwachen mächtig . . .» Eine erste Ahnung von diesem radikalen Gesinnungswandel hat sich bereits auf der Bank an der Bahnhofstrasse abgezeichnet, als ­alles Alte begonnen hatte, zusammenzubrechen.“   tagesanzeiger.ch

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