Jesus lehrte seine Jünger, Gott als Vater anzusprechen.

Manche Theologen halten diese Anrede für den Ausdruck eines überholten patriarchalischen Weltbildes und ergänzen die männliche Anrede Gottes durch weibliche Anreden z.B. in Bibelübersetzungen, in Liturgien oder Predigten: „Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel.“ Doch ist es gerechtfertigt, Gott als Vater und Mutter anzusprechen?
Die Vater-Anrede des Vaterunsers geht zurück auf die Selbstoffenbarung Gottes als Vater an sein Volk: Israel ist Sohn Gottes (2. Mose 4,22; 5. Mose 14,1; 32,6; Hos 11,1), die sich in der Vater-Anrede der Propheten und der Psalmen an Gott fortsetzt (Jes 63,16; 64,8; Jer 3,19; 31,9; Mal 1,6; 2,10; Ps 68,6; 103,13).[1] Und sie wird weitergeführt und entfaltet in der Anrufung des Vaters durch seinen Sohn Jesus Christus (etwa Joh 20,17) und im Gebet der Kinder Gottes. Fast alle Briefe des Neuen Testaments beginnen damit, etwa in Röm 1,7: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus“. Allein im Neuen Testament wird „Vater“ ca. 250mal auf Gott bezogen (besonders häufig bei Joh).
Wenn Jes 66,13 das göttliche Erbarmen mit dem Erbarmen einer Mutter vergleicht, dann ist das ein Vergleich, aber keine Seinsaussage: Er kann sich wie eine Mutter erbarmen, aber er ist von Ewigkeit her Vater, zunächst zu seinem einen Sohn, dann zu den vielen Söhnen und Töchtern in seinem Volk. Er zeugt durch das Wort (der „Same“ des Glaubens, 1. Petr 1,23). Und was Jes 66,13 betrifft: Der Herr tröstet, wie einen seine Mutter tröstet, sein Mittel dazu aber ist Jerusalem: „an Jerusalem werdet ihr getröstet“ schließt der Vers. So dürfen auch wir glauben: Was Gott an Israel tat und tut, und was er an seiner Gemeinde tat und tut – daß sie etwa nicht einmal von den Pforten der Hölle überwunden werden kann –, das ist der große Trost für seine Gläubigen.
Die biblische VATER-Offenbarung steht in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu den antiken Schöpfungsmythen. Diese leiten die Existenz der Erde häufig von weiblichen Gottheiten ab. Meist waren es Naturgottheiten, symbolische Repräsentationen der geheimnisvollen Kräfte von Leben und Fruchtbarkeit der Erde. Der natürliche Zyklus der Jahreszeiten wurde als göttlich gesehen und im Ritus abgebildet. In solcher von Wiederholung geprägter Theologie entsteht keine Heilsgeschichte, kein Konzept von Zukunft und göttlichem Geschichtsziel.
Das Konzept einer göttlichen Mutter (die die Erde gebiert) ist verbunden mit dem einer göttlichen (oder ehrfürchtig verehrten, gottähnlichen) Erde. Hier wird die biblisch notwendige Trennung von Schöpfer und Geschöpf, Gott und Welt aufgehoben, der Begriff von Gottes Jenseitigkeit und seinem freien Erbarmen wird verloren. Die Vorstellung von Gottes freier Gnade, auf der unsere Hoffnung gründet, wird so letztlich verunmöglicht. Hier wird deutlich: Wenn wir Gott „Vater“ nennen und verehren, beten wir nicht einen männlichen Gott an (Hos 11,9), sondern den, der der Schöpfung gegenübertritt und sich frei ihrer erbarmt.
Jede semitische Religion im Nahen Osten hatte Göttinnen, nur Israel nicht (auch gab es überall ein weibliches Priestertum, nur in Israel nicht!). Das zeigen auch die Personennamen, die sich aus dem theophoren (auf den göttlichen Namen weisenden) Element und einem Wort für Vater, Mutter, Bruder oder Schwester zusammensetzen. Im Hebräischen gibt es viele Namen, die „Vater“ enthalten, aber keine mit „Mutter“: Abijah („mein Vater ist Jahwe“), Joab („Jahwe ist Vater“), Eliab („El ist Vater“), Abiel („Vater ist El“). Personennamen mit der Aussage „Meine Mutter/Schwester/Königin ist Jahwe“ kommen nicht vor! Von den 55 hebräischen Namen, die sich aus Jahwe und einem Verb zusammensetzen, zeigen alle die maskuline Form des Verbs.
Daß Gott biblisch Vater und nicht Mutter ist, sichert so seine wahre Transzendenz (Jenseitigkeit) und die wahre Gnade. Die irdischen Verhältnisse veranschaulichen es: Die Beziehung zum Vater ist geistiger, indirekter, sie muß gewonnen werden; die Beziehung zur Mutter ist zunächst leiblich vorgegeben, direkter.
Das Ergebnis ist klar: Gott können und dürfen wir nicht im Ernst als Mutter anrufen. Die ganze Offenbarung steht dagegen. Wer Gott trotzdem als Mutter anruft, schafft sich seinen eigenen Götzen. Wenn die „Bibel in gerechter Sprache“ für Gott lauter weibliche Namen oder Titel einführt („die Ewige“, „die Weingärtnerin“ etc.), verliert sie gerade das Besondere der biblischen Offenbarung, und sie verliert die besondere Mischung aus liebevoller und freier Zuwendung des Vaters samt dem Respekt vor seiner Autorität, wie sie Paulus so perfekt in Eph 3,14–21 zusammengeschaut hat. Die Freude am „Abba, lieber Vater“ (Röm 8,15; Gal 4,6) bleibt uns nur erhalten, wenn wir den Text unverändert lassen.
Pastor Dr. Stefan Felber

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