Krawalle in Frankreich- warum?

Frankreich: Gewalt aus Frust und Hoffnungslosigkeit

 
Randalierer
Randalierer in Toulouse.

Die französische Regierung versucht der Gewalt Herr zu werden, indem sie Präfekten ermächtigt, lokale Ausgangssperren zu verhängen. Premierminister de Villepin wählte bei seiner Fernsehansprache am Montagabend seine Worte sorgfältig, um die Gemüter zu beruhigen.

Die letzten Tage zeigen die beklemmende Schattenseite der Grande Nation. Erlebnisse und Hintergrundinfos einer Vorstadt-Bewohnerin:

Zu Fuss begleiten mein Mann und ich eine Frau nach Hause, die ungefähr dort wohnt, wo die Rauchwolken aufgestiegen sind. Zuerst versuchen wir, den direkten Weg einzuschlagen. Doch da die Jugendlichen die Strassenbeleuchtung unterbrochen haben und wir etwas weiter vorne ein glimmendes Auto quer in der Strasse liegen sehen, machen wir einen kleinen Umweg. In der Parallelstrasse funktioniert die Beleuchtung noch. Wir sind jedoch erstaunt, dass gegen zehn Polizeiwagen die Strasse blockieren. Zu Fuss kommen wir gut durch, wir werden auch nicht angesprochen.

 
Knabe France
Die meisten Kinder der Einwanderer brauchen Unterstützung, um im kopflastigen Unterricht mitzukommen.

So gelangen wir ohne Probleme zur Wohnung unserer Freundin, die sehr erleichtert ist, zu Hause zu sein. Auf dem Rückweg kommen wir wieder an all den Streifenwagen vorbei, wir spüren, dass alle beteiligten Polizisten sehr angespannt sind. Von der Bevölkerung wagt sich praktisch niemand auf die Strasse. Plötzlich erkennen wir den Grund: Der Bürgermeister, der Préfet (Vorsteher des Departements) und andere Politiker tauchen auf der Strasse auf. Ihr Besuch soll die im Einsatz stehenden Polizisten ermutigen.

„Ich will nach Hause!“Wir setzen unseren Weg ohne Probleme fort. Doch einige Meter weiter kommt uns eine 17-jährige algerischstämmige Französin entgegen. Sie ist im Lycée, wird in eineinhalb Jahren die Matura machen und will nachher studieren, also eine gut integrierte junge Frau. Sie zittert und fragt ganz verwirrt: „Was ist los?? Ich will nach Hause!“ Sie ist durch das grosse Polizeiaufgebot total eingeschüchtert.

Wir bieten an, sie nach Hause zu begleiten, was sie dankbar annimmt. Im Moment, als wir losmarschieren wollen, kommen zwei Jugendliche auf einem Roller angefahren. Ein Polizist hält dem Fahrer eine Waffe, mit der Gummigeschosse abgefeuert werden, vors Gesicht (ob er etwas sagt, wissen wir nicht). Der Jugendliche dreht ohne ein Wort zu sagen um. Die Frau neben uns sagt:“Oh, das war mein Bruder, er wollte sicher auch nach Hause fahren.“

Atmosphäre der AngstDieses Erlebnis zeigt die Angst und Anspannung von unbescholtenen Personen: Die junge Frau ist durch die massive Polizeipräsenz total eingeschüchtert. Der Polizist (wohl besonders nervös wegen der Politiker) erklärt dem Jugendlichen nicht, dass er hier jetzt nicht durchfahren kann, sondern kommuniziert mit der Waffe. Der Jugendliche ist eingeschüchtert; er wagt es nicht, dem Polizisten zu sagen, dass er einige Meter weiter wohnt.

 
Nachtszene

WohnmisèreEine achtköpfige Familie wohnt im 15. Stockwerk. Der Lift läuft nur sporadisch. Die Einkäufe hochzutragen und die Kinder in die Schule zu begleiten, fällt der Mutter schwer. Der Lift lärmt derart, dass man nicht weiss, wann er stecken bleibt. Die Kinder jedenfalls fürchten sich, ihn zu benutzen. Die Wohnverhältnisse vieler Menschen aus dem Maghreb sind erbärmlich, demütigend. Der Strom fällt aus, zwischendurch funktioniert die Kanalisation nicht.

Gravierende SchulproblemeViele dieser Einwanderer haben das Gefühl, dass sie sich nicht um die Schulbildung ihrer Kinder kümmern können, weil ihr Französisch nicht gut genug sei. Viele sind auch noch sehr stark von ihren Heimatländern geprägt, wo Staat und Gesellschaft viel mehr Verantwortung für die Kinder übernehmen, gerade in Bezug auf Zurechtweisung und Bestrafung bei Respektlosigkeit und Ungehorsam.

 
Paris
Viel Arbeit für die Sicherheitskräfte.

So kommt es, dass viele Kinder schon in der Primarschule abhängen. Im Collège kommen sie schon nicht mehr mit und sind Unruhestifter in der Klasse. Das französische Schulwesen ist sehr kopflastig, praktische Fächer existieren nicht, musische haben eine sehr untergeordnete Rolle. Anschliessend ans Collège gibt es nur wenige Berufsausbildungen. Jeder Schüler sollte die Matura machen, sonst hat er praktisch keine Chance, etwas Besseres als Hilfsarbeiter zu werden.

Somit stehen die 15/16-Jährigen vor der Wahl: entweder als Hilfsarbeiter/Handlanger wie ihre Väter zu schuften oder dem Vorbild ihrer grossen Brüder oder anderer Jugendlicher zu folgen. Viele gleiten in kriminelle Machenschaften ab.

„Wir sind Bürger dritter oder vierter Klasse!“Hinzu kommt, dass der Rassismus in vielen verschiedenen Formen präsent ist. Auch Junge, die sich integrieren wollen, die die Matura machen und studieren, kriegen nur sehr schwer einen Arbeitsplatz. Eine junge Maghrebinerin hat es so ausgedrückt: „Wir sind nicht Bürger zweiter Klasse in Frankreich, sondern Bürger dritter oder vierter Klasse!“ Das motiviert natürlich keinen Jugendlichen, der mit Schulschwierigkeiten zu kämpfen hat.

 
Auto verbrannt
In manchen Vorstädten gehören ausgebrannte Autos seit längerm zum Strassenbild.

Über all diese Jugendlichen werden nie „positive Schlagzeilen“ geschrieben. Jetzt sind sie in aller Leute Mund, jede Fernsehstation sendet über sie, alle Zeitungen schreiben von ihnen… Das gibt ein enormes Gefühl der Selbstbestätigung: Unser Quartier kommt im Fernsehen!

jesus.ch

 


 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Ich stimme zu

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.