Lebensfreude und Zuversicht in Coronazeiten.

Dr. Joachim Cochlovius

Wenn in einer christlichen Familie die ungeimpften Schwiegereltern nicht mehr ihre Enkelkinder besuchen dürfen, wenn christliche Veranstalter jemand an der Tür abweisen, der nicht geimpft und nicht getestet ist, wenn Kirchengemeinden beschließen, dass nur noch Gemeindeglieder zum Gottesdienst zugelassen werden, die sich an die staatliche 3-G-Regel halten, dann geschehen unter uns Spaltungen, die das christliche Zeugnis beeinträchtigen und die überwunden werden müssen. Mit Schmerz müssen wir feststellen: Ein kleines Virus schafft es auch unter Christen, Familien zu entzweien, Hauskreise zu halbieren, Jugendkreise aufzulösen, alte Menschen vereinsamen zu lassen und das Interesse vieler Gemeinden vom Wort Gottes abzulenken.

Wir erleben viele kleine und große menschliche Tragödien, deren Folgen noch gar nicht absehbar sind. Es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man feststellt: Wir sind in der Christenheit in einen geistlichen Notstand hineingeraten, der an die Folgen von Kriegen, politischen Umwälzungen und großen Wirtschaftskrisen erinnert.

Obwohl wir als Christen von Gott nicht den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit bekommen haben (2 Tim 1,7), greift die Angst auch unter uns um sich. Man hört bange Fragen. Was wird Corona noch mit unserer Welt machen? Werde ich meine Gesundheit und meinen Arbeitsplatz behalten? Was wird aus unserer Gemeinde werden? Gelingt es uns in unseren Familien und Gemeinden, trotz unterschiedlicher Auffassungen etwa in der Impffrage zusammenzubleiben und Gräben wieder zuzuschütten? Manch einer stellt sich auch die Frage, was Gott der Menschheit mit dieser weltweiten Plage sagen will. Anderen drückt die Lage so schwer aufs Gemüt, dass sie ihre Lebensfreude und ihre Glaubenszuversicht verlieren.

Wie bekommen wir selber die Angst unter die Füße? Wie können wir die Spannungen und Spaltungen in unseren Familien und Gemeinden aufhalten und überwinden? Wie trösten wir angefochtene Christen? Was sagen wir resignierenden und verzweifelten Weltmenschen? Bloße gutgemeinte Appelle tun es nicht. Um in dieser Krise zu bestehen, brauchen wir ganz neu diese Kraft, diese Liebe und diese Besonnenheit, von der Paulus im 2. Timotheusbrief schreibt. Gottes Wort, der Glaube und das Gebet helfen, diese Schätze neu zu heben. Betrachten wir im Einzelnen diese drei Gaben des Heiligen Geistes Kraft, Liebe, Besonnenheit. Inwiefern helfen sie uns, die Coronalage zu meistern?

1.) Die Kraft

Natürlich ist in 2 Tim 1,7 nicht die Muskelkraft gemeint, sondern die Glaubenskraft und die Widerstandskraft gegen die Sünde. Wenn diese Kräfte bei Christen erlahmen, brauchen sie vor allem neue Freude am Herrn, denn „die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ Das hat Nehemia zu den Rückkehrern aus der babylonischen Gefangenschaft gesagt (Neh 8,10), und das ist auch heute noch der Schlüssel zu neuer Glaubenskraft. Martin Luther hat 1533 eine Predigt über die Bedrohung durch die Pest gehalten, die eine große Freude an Christus widerspiegelt. Zwar war die Pest damals gefährlicher als das Coronavirus, aber die Freude und Glaubenskraft dieser Predigt brauchen wir auch heute.

„Wenn ich die Pest gleich tausend Mal an meinem Leibe hätte, will ich mich deswegen nicht zu Tode fürchten; denn ich habe Christus. Ist es sein Wille, so soll mir die Pest weniger schaden als ein Floh unter meinem Arm; der frisst und sticht wohl ein wenig, er kann mir aber das Leben nicht nehmen. Aber weil wir nicht glauben und solche geistliche Augen nicht haben, kommt es, dass wir uns so fürchten und verzagen, und in so närrische Gedanken geraten. Alles Unglück, wie groß es vor deinen Augen ist, ist vor unserem Herrn Christus weniger denn nichts. Darum, so du Sünde, Krankheit, Armut oder anderes an dir siehst, sollst du nicht erschrecken; tue die fleischlichen Augen zu und die geistlichen auf, und sprich: Ich bin ein Christ und habe einen Herrn, der mit einem Wort diesem ganzen Unrat wehren kann. Was will ich mich darum so sehr bekümmern? Darum sollen wir doch glauben, vor Gott habe es ein ganz anderes Ansehen, und fröhlich sagen: obgleich Armut, Pest und Tod da sind, so weiß ich doch, als ein Christ, von keiner Armut, Tod noch Pest; denn vor meinem Herrn Christus ist es lauter Reichtum, Gesundheit, Heiligkeit und Leben. Gott gebe uns solche geistlichen Augen um Christi willen, dass wir durch den Heiligen Geist das Unglück anders denn die Welt ansehen, und solchen Trost behalten, und endlich mögen selig werden. Amen.“

Im Gebet und aus Gottes Wort können wir neue Christusfreude und damit neue Kräfte bekommen. Dann freuen wir uns, dass Christus die Weltregie in der Hand hält und auch über das Coronavirus regiert. Dann stimmen wir von Herzen das wunderbare Freudenspender-Lied „In dir ist Freude“ an, das der thüringische Pfarrer Cyriakus Schneegass 1598 gedichtet hat. Dann wird klar, dass Christus inmitten von Ängsten, trüben Zukunftsaussichten, Spaltungen und Zwistigkeiten, ja selbst bei Erkrankungen und beim Sterben geistliche Freude schenken kann. „In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ! Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist.“

Wenn wir selber neue Freude und neue Glaubenskraft bekommen haben, dann können wir auch angefochtene Christen in unserem Umfeld trösten. Wie machen wir das? Indem wir zum Vertrauen zu Jesus Christus auffordern. Echter Trost, das kann man bei Jesus lernen, ermuntert immer zum Glauben. Und wenn dann der andere aus seiner Angst und Depression heraus einen neuen Glaubensschritt geht, dann kann es geschehen, dass er wirklich loskommt von seinen Ängsten und Sorgen.

2.) Die Liebe

Wir müssen nicht um Liebe bitten. Wir haben sie längst bekommen, als wir an Jesus Christus gläubig wurden (Röm 5,5). Wir müssen sie nur üben. Notzeiten bringen immer die Gefahr mit sich, dass jeder nur an sich denkt. Da ist es doppelt nötig, dass wir in der Liebe bleiben. Mitten in einer Pestzeit in Wittenberg schrieb Luther in einem Brief 1527: „Wenn mein Nächster mich braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und ihm helfen.“ Sehen wir uns einmal an, was die Liebe in Coronazeiten bedeutet.

Das Erste ist, dass wir uns der dauerhaften starken Liebe Gottes zu dieser Welt und zu uns vergewissern. Auf keinen Fall dürfen wir in lästerliche Gedanken fallen, dass Gott seine Liebe von der Welt oder von uns abgezogen haben könnte. Vielleicht geht es jemand so, dass er hinter seinen persönlichen Problemen oder angesichts des Durcheinanders der coronapolitischen Maßnahmen Gottes Liebe nicht mehr erkennt. Wenn man an die familiären Belastungen, an die psychologischen Coronafolgen gerade für Alte und Kinder und an die weltweiten wirtschaftlichen Rückschläge denkt, kann man verstehen, dass auch unter Christen resignative Stimmungen aufkommen bis hin zu einer Anklagehaltung gegen Gott. Aber diese Gefühle dürfen wir nicht füttern. Gottes Liebe zu dieser Welt steht unwandelbar fest, denn er hat sie auf ewig dadurch besiegelt, dass er seinen Sohn geschickt hat. Auch wenn Gott Menschen schlägt, sind es immer Liebesschläge, die ein gutes Ziel verfolgen, nämlich ihre Errettung.

Das Zweite ist unsere Liebe zu Gott. Wer sich von Gott geliebt weiß, kann gar nicht anders, als auch ihn zu lieben. Daniel war von Gott geliebt (Dan 9,23). Seine Liebe zu Gott drückte er darin aus, dass er angesichts der Not seines Volkes stellvertretend um Gottes Barmherzigkeit bat (Dan 9,18). Das ist auch unsere Aufgabe. Wir sollten nicht warten, bis sich unser Volk von der Gottlosigkeit abwendet, sondern stellvertretend um Vergebung bitten. Gott wartet sehnsüchtig darauf, dort, wo er geschlagen hat, zu verbinden (Hosea 6,1) und statt zornig nun wieder gnädig zu sein (Jesaja 30,18).

Das Dritte ist die Liebe zu unserem Guten Hirten Jesus Christus, der die Seinen mit seinem Wort und Sakrament stärken will. In Ps 84,12 heißt es „Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.“ Die Beter dieses Psalms wussten, dass sie das Gute im Tempel empfangen konnten. „Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend“ (Ps 84,11). Nichts brauchen wir als Christen jetzt dringender als gute, glaubensstärkende Predigten und das Mahl des Herrn. Unser Guter Hirte steht bereit und ruft: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid“ (Mt 11,28). Aus Liebe zu ihm sollten wir uns unbedingt regelmäßig in den Gottesdiensten versammeln. Eventuellen staatlichen Einschränkungen (2-G-Regel oder 3-G-Regel) oder Verboten dürfen wir unter Berufung auf Apg 5,29 widerstehen: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

Das Vierte ist die praktische Nächstenliebe. Viele alte und sterbende Menschen haben wegen der staatlichen Coronamaßnahmen unter Vereinsamung gelitten und leiden immer noch. Wen können und sollten wir besuchen? Kinder mussten große Einschränkungen ihrer Kontakte hinnehmen. Mit wem können wir als kleinen Ersatz ein Wochenende verbringen? Viele Jugendliche sind wegen Corona internetabhängig geworden und kaum noch zu bewegen, in einen Jugendkreis zu kommen. Sie brauchen kreative Angebote, um sie aus ihrer Isolation herauszuführen. Die Liebe ist dazu in der Lage. Es gibt ängstliche Christen, die sich nicht mehr in den Hauskreis oder zum Gottesdienst getrauen. Die Liebe vermag, auch zu ihnen Wege zu finden, damit sie wieder eine christliche Gemeinschaft bekommen.

3.) Die Besonnenheit

Unsere Zeit ist von manchen Alarmrufen durchzogen. Da werden weltweite klimatisch bedingte Katastrophen beschworen. Es werden Crashs der Finanzmärkte und eine Hyperinflation an die Wand gemalt. Vor einer weltweiten Expansion Chinas wird ebenso gewarnt wie vor einem Neuerstarken des militanten Islam. Seit Februar 2020 sind die Nachrichten voll von Corona-Schreckensmeldungen und -visionen. Es fällt schwer, sich von diesen Meldungen nicht anstecken zu lassen.

Wie wertvoll ist angesichts dieser Katastrophenszenarien die Gabe der Besonnenheit! Die Besonnenheit gehörte schon zu den vier Kardinaltugenden Platos. Im Zusammenhang des Neuen Testaments meint der Begriff die geistliche Nüchternheit, die dazu befähigt, sich nicht „von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben“ zu lassen (Eph 4,14). Besonnenheit haben wir gerade im Blick auf die Coronameldungen nötig. Besonnene Urteile und Haltungen sind gefragt.

Die drei eingangs genannten Konfliktherde lassen sich durch Besonnenheit entschärfen. Wenn es innerhalb der Familie zu Zwistigkeiten in der Impffrage kommt, nützen Argumente wenig. Für beide Ansichten gibt es respektable Gründe. Da hilft nur eine übergeordnete Instanz, und das kann nur das an Gott gebundene Gewissen sein. Der eine ist gewissensmäßig skeptisch gegenüber eventuellen Nebenwirkungen und Langzeitfolgen und vertraut mehr auf die Fähigkeiten des Immunsystems oder auf therapeutische Mittel im Fall einer Erkrankung, der andere vertraut gewissensmäßig mehr den staatlichen Informationen und Anordnungen. Mit Besonnenheit kann Streit überwunden werden. Ähnliches gilt für christliche Veranstalter und Gemeinden. Die Anwendung der staatlichen 2-G oder 3-G-Regel hat eine spalterische Gefahr. Jesus hat niemals Menschen den Zutritt zu sich verweigert. Wer sind wir, dass wir den Mühseligen und Beladenen den Zugang zu Wort und Sakrament verweigern dürften? Besonnene Lösungen sind nötig, die das Gewissen aller Beteiligten achten.

Als Christen sind wir zur Freiheit befreit (Gal 5,1). Der Heilige Geist schenkt uns Glaubenskraft, Liebe und Besonnenheit. Damit haben wir die Voraussetzungen für Lebensfreude und Zuversicht auch in dieser Zeit. Wir sollten uns diese Freiheit von nichts und niemand nehmen lassen.

Vorabdruck mit Genehmigung des Schwengeler Verlags aus factum Heft 6/21 (Nov/Dez); www.factum-magazin.ch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Ich stimme zu

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.