50 Jahre “Prager Frühling”: Gottes Revolution in meinem Leben ( Lebenszeugnis unseres Bruders Zdenek Karásek)

In der Nacht auf den 21. August 1968 waren rund 500 000 Soldaten aus den „sozialistischen Bruderländern“ in die Tschechoslowakei einmarschiert, um dem Traum von einem freiheitlichen, demokratischen Sozialismus mit Gewalt ein Ende zu machen. Zdenek ist von dort entkommen:

“Eine graugelbe Wolke verdunkelte den Prager Himmel. Ich schlug das Fenster im Studentenwohnheim zu und seufzte. Der Versuch, das Zimmer zu lüften, war vergeblich. Drinnen war’s stickig; draußen lag der ätzende Smog einer kommunistischen Gesellschaft, die mit Stolz einen Wald qualmender Schornsteine aufgestellt hatte. Es war eine stickige Atmosphäre, die damals in meiner Heimat, der Tschechoslowakei, herrschte. Zwischen diesem grauen Herbst 1974, in dem ich, Zdenek Karásek, mein Studium an der Technischen Universität Prag begann und dem bunten Frühjahr 1968, dem so genannten „Prager Frühling“, schienen Lichtjahre zu liegen. Die tiefe Sehnsucht nach einer freieren Gesellschaft, dem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, die 1968 aufblühte, wurde brutal zunichte gemacht. In jener Nacht vom 21. August 19681 fielen blitzschnell Scharen russischer Panzer in meine Heimat ein. Der Überfall war unerwartet, übermächtig und erbarmungslos. Der „große Bruder“ stellte die „Ordnung“ schnell wieder her und setzte die Diktatur des Kommunismus fort. Worte wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Fortschritt hatten ihren Sinn wieder völlig verloren. Vergeblich hatte der tschechische Radiosender den Hilfeschrei in die ganze Welt hinaus gestoßen. Aber es kam keine Hilfe, und keine Rettung war in Sicht. Dass ich im Herbst 1974 überhaupt in Prag studieren durfte, war alles andere als selbstverständlich. Zugegeben, man hielt mich für einen begabten – wenn auch schweigsamen – Schüler, der von seinen Eltern zu Gehorsam und Fleiß erzogen worden war. Selbst Musterzeugnisse zählten nur wenig. Die Hauptbedingung für einen Studienplatz an der Universität war die unbeirrbare politische Treue der Eltern. Und genau das war der Knackpunkt. Genau vor sechs Jahren hatte sich mein Vater kritisch über den Einzug der Russen geäußert. Und dies tat er unvorsichtigerweise auch noch in einer Gruppe so genannter „Freunde“. Ein Genosse nutzte sogleich die Gelegenheit zu seinem Vorteil und wurde zum Informanten der Staatssicherheitsorgane. Die Bemerkung meines freiheitlich gesinnten Vaters hatte Konsequenzen für den Sohn. Meine Bewerbung für das Studium an der Technischen Universität wurde prompt abgelehnt. Es war nicht die Art meines Vaters zu resignieren. Aufgewachsen als selbstbewusster, redegewandter Sohn einer nun verloren gegangenen Klasse – der der Landbesitzer – hat er miterlebt, wie die Extrem-Rechten, die deutschen Nationalsozialisten, den Hof seiner Eltern 1939 konfiszierten. Etwa zehn Jahre später sah er mit an, wie die ExtremLinken, die tschechischen Kommunisten, den blühenden Hof an sich rissen. Vom Pragmatismus geprägt, der auf einem tückisch wechselnden politischen Boden gedeiht, ist aus meinem Vater ein gekonnter Meister im Fädenziehen geworden. Hier wechselte er ein paar Worte mit verschiedenen Schlüsselpersonen und da führte er konsequent seine kaum merkliche diplomatische Arbeit aus, bis sich der schwere Riegel zum Tor der Prager Universität für mich öffnete. In der marxistischen Ideologie gab es zwar politische Prinzipien, aber auch den Zweck, der die Mittel heiligt. Nur mit dem nötigen Vorrat an „Vitamin B3 “ konnte man unter dem Kommunismus überleben. Wahre Freunde unter Erwachsenen gab es so gut wie gar nicht, man lebte nur von „nützlichen Kontakten“. Und die eine Hand wusch die andere. Mein Vater war davon überzeugt, der auf diese Weise für mich gewonnene Studienplatz eröffne mir nun eine bessere Zukunft als er sie selbst gehabt hat. Er durfte nach der Machtübernahme der Kommunisten wegen seiner „erz-kapitalistischen“ Eltern nie studieren. Für mich hegte er umso größere Hoffnungen. Es vergingen sechs Jahre intensiven Studiums – ich war an der Technischen Universität Prag im Fach Statik fürs Bauwesen eingeschrieben. Mit dem Hochschulabschluss im Jahre 1980 blickte ich jedoch keineswegs auf sich weit öffnende Horizonte. Ganz im Gegenteil: Ich starrte immer noch auf denselben betonfarbenen Alltag. Nur fiel mir jetzt das gnadenlose Grau in Grau noch deutlicher ins Auge als zuvor. Der ganze Ostblock glich einem verpesteten Gefängnis, das war die erdrückende Realität. Ein Slogan, der uns stets eingeimpft wurde, hieß: „Auf ewige Zeiten mit der Sowjetunion!“ Das übersetzte ich für mich: Weiterhin so trostlos mit den Kommunisten leben, und das in alle Ewigkeit. Ich empfand es so, als würde ich in dieser Aussichtslosigkeit und Leere schließlich vollends ersticken. Dichtung und Wahrheit Nicht frei atmen zu können, habe ich schon als Kind am eigenen Leib erfahren. Ich wurde am 22. Oktober 1954 in der nordböhmischen Industriestadt Liberec geboren. Die Luft war von den umliegenden Braunkohle-Kraftwerken schwer belastet. Als dreijähriger Junge kam ich schwerkrank ins Krankenhaus, und man hatte keine Hoffnung, dass ich den vierten Geburtstag noch erleben würde. Wie so viele Kinder im damaligen Ostblock, litt ich unter Atembeschwerden, die durch die starke Belastung der Luft durch Schwefeldioxid und Stickoxide verursacht wurden. Dies war ein übel riechendes für Menschen nicht ungefährliches Gas, das durch die minderwertige Braunkohle entstand, mit der damals landesweit geheizt wurde. Grenzen sah man auf jeder Schullandkarte; in unserer Fantasie aber gab es sie nicht. Der fiktive Westen hatte für uns Ostblockkinder einen tiefen Reiz. Ich spielte den Winnetou. Mein bester Freund Olda war Old Shatterhand; sein Bruder Milan das Pferd. (Jungen, die bereit waren, als Reittier zu fungieren, waren Mangelware. An Entbehrungen waren wir jedoch gewöhnt, so teilten wir uns einfach den zweibeinigen Gaul). In jeder Hinsicht lebten wir in einer erdichteten Welt, die weit entfernt von der tagtäglichen Realität eines kommunistischen Staates war. Der Gegensatz zwischen Fantasie und Wirklichkeit hätte kaum größer sein können. Wir Karl-May-Fans befanden uns in einem anderen Land eines vergangenen Jahrhunderts. Es war eine Kinderwelt, in der die Helden und Schurken sich stark voneinander unterschieden und somit auch jeder deutlich zu erkennen war. Erst als Prager Student wurde mir die Verlogenheit des wahren Kommunismus mehr und mehr bewusst. Während des Studiums hatte ich Zugriff auf Literatur, die sich kritisch mit dem Regime auseinandersetzte. Durch Kontakte zur Untergrundbewegung Charta 77 lernte ich die Wahrheit über die grausamen Schauprozesse der fünfziger Jahre kennen. Um „Bedrohung“ zu simulieren, war das Regime ständig auf der Lauer nach Feinden. Der westliche Kapitalismus war zum Feind Nummer eins erklärt worden. Dies reichte aber nicht. So suchte man nach russischem Vorbild auch noch nach den so genannten inneren Feinden. Fand man keine, wurden sie einfach erfunden. Sogar die treuesten Kommunisten aus der Parteimitte wurden von anderen Parteigenossen zu Unrecht angeklagt und in Schauprozessen zum Tode verurteilt. Die Denkweise der kommunistischen Partei führte zum politischen Kannibalismus. Alle Illusionen von Gerechtigkeit wurden mir durch das System schlagartig geraubt. Man schürte sogar diese Art von Paranoia. Jeder wurde sowohl zum Beobachteten als auch zum Beobachter. Die ideologische Verschmutzung des Lebens unter dem Kommunismus war ebenso ätzend wie das allgegenwärtige Schwefeldioxid.  Als ich begriff, wie die ganze Gesellschaft zwar unter den Missständen litt, aber doch mitmachte, wählte ich – wie viele andere – die Flucht vor der Wirklichkeit. Es war das Exil nach innen. Ich suchte einen Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit, indem ich mich ins Studium flüchtete, um damit jeden freien Gedanken über die Wirklichkeit zu verdrängen. Ich machte mein Examen als Diplomingenieur mit Auszeichnung und bekam daraufhin eine allseits sehr begehrte Stelle in einem Architekturbüro. Nach gut tschechischem Stil kippten wir uns nach Feierabend randvoll mit Bier, brüllten lustige Sauflieder und machten die Frauen an. Das alles aber war nur ein primitiver Versuch, dem Alltag zu entfliehen. Diese Art von Flucht gelang aber nicht wirklich. In mir wurde der Gedanke immer stärker, dass ich nicht länger unter dem Kommunismus leben wollte. Ich musste ins wirkliche Exil. Ich wollte raus aus dem verlogenen System ohne Zukunft – weg von der bitteren Existenz in einer erbarmungslosen marxistisch-leninistischen Gesellschaft. Diese Sehnsucht erfüllte mich. Ich träumte davon, endlich einmal tief und frei aufatmen zu können. Mein einziges Ziel war: Entkommen aus dem realen Sozialismus. Wie eine solche Flucht allerdings zu realisieren sei, war mir noch völlig unklar. Ich lebte nun ein Doppelleben. Nach außen hin täuschte ich Gehorsam vor. Innerlich hingegen hatte ich mich für ein Leben im Westen entschieden. Mit niemandem konnte ich auch nur einen einzigen solcher Gedanken teilen, weder mit Freunden noch mit der eigenen Familie. Es könnte ja irgend jemand den Verdacht schöpfen, ich hege einen „verräterischen“ Plan und beabsichtige zu fliehen. Das „kommunistische Paradies“ auf diese Weise zu verlassen, galt als Hochverrat. Darum musste ich völlig im Geheimen – und zwar ohne jegliche Informationen und ohne Rat – einen eigenen Fluchtplan ausklügeln. Er musste natürlich auf Anhieb klappen, denn eine zweite Chance würde es nicht geben. Sollte die Umsetzung des Plans schief gehen, würde ich umgehend im Gefängnis landen. Die beinah unmögliche Aufgabe nahm Gestalt an, als ich von einer Reise nach Rom erfuhr, die das einzige Reisebüro im Lande angeboten hatte. Daran durfte sich allerdings nur eine kleine Auswahl von Reisenden beteiligen. Um dabei sein zu können, brauchte ich drei Bewilligungen. Zuerst wurde ich von der Polizei verhört. Danach musste ich vor einem Offizier der Armee erscheinen. Als letztes hatte dann noch ein Parteifunktionär meine politische Treue zur kommunistischen Ideologie zu überprüfen. Für den Auftritt bei der dritten Überprüfung habe ich mich gründlich vorbereitet. Vor allem die für mich widerliche kommunistische Anredeform konnte ich trotz aller Einübung schwer über die Zunge bringen. Als ich das Büro des Parteifunktionärs betrat, konnte ich vor Nervosität zunächst keinen Ton herausbringen. Gezwungen von der Peinlichkeit und der Not grinste ich dumm, dann bellte ich „Guten Tag Genosse Novotný!“. Erleichtert, dass ich jenes gehasste Wort „Genosse“ über die Lippen gebracht habe, atmete ich auf und fuhr darauf entspannt und entschieden fort: „Mein Name ist Herr Karásek“. Ertappt! – dachte ich, als der Funktionär mich mit seinem Röntgenblick durchbohrte. Wie ich nach einem solchen politischen Fauxpas8 seine Bewilligung doch bekommen habe, war mir ein Rätsel. Durch den andauernden psychischen Stress der strengen Geheimhaltung verlor ich in kurzer Zeit 12 Kilo an Gewicht von meinen üblichen 68 Kilogramm. Meiner Mutter erklärte ich dies mit Liebeskummer. Ich durfte sie leider nie aufklären. Mir war es bewusst, dass ich nach der Flucht keinen Kontakt mehr haben würde – weder mit meiner Familie, noch mit meinen Freunden, noch mit der Heimat. Es war eine Einbahnstraße ins Ungewisse. Ich musste diese Richtung allein einschlagen, ohne mich vorher verabschieden zu können. Das war eine Bürde, die ich ganz alleine zu tragen hatte. Die Flucht Im Juni 1982 befand ich mich dann endlich in einem Flugzeug von Prag nach Rom. Angekommen in der italienischen Hauptstadt, genoss ich jeden Augenblick der nächsten sieben Urlaubstage. Es war für mich eine sehr teure Reise, denn für jeden einzelnen Tag hatte ich ein ganzes Monatsgehalt zu begleichen. Eins aber war gewiss: Ich befand mich nun auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Was ich noch nicht wusste, waren drei nicht unwichtige Dinge. Wann soll ich mich von der Reisegruppe trennen? Wie sollte ich mich unbeobachtet abseilen? Und wohin sollte ich danach gehen? Unsere Reisepässe wurden bei der Ankunft in Italien sogleich vom Reiseleiter eingesammelt. Dies würde meine Flucht erheblich erschweren. Unsere Reisegruppe war in einem Kloster untergebracht, und ich blieb ständig auf der Ausschau nach Möglichkeiten, an meinen Pass heranzukommen. Eines Abends gelang es mir, an der Außenwand des Klosters über die Balkone, zwei Stockwerke höher hinaufzuklettern, um zu dem Zimmer des Reiseleiters zu gelangen. Ich hing am Geländer und lauschte, als ich drinnen gerade ein angeregtes Gespräch vernahm. Voller Entsetzen erfuhr ich dabei, dass von den zwanzig Reiseteilnehmern genau die Hälfte als Touristen getarnte Sicherheitsagenten des berüchtigten tschechoslowakischen Geheimdienstes waren. Die Spitzel waren gerade dabei, detaillierte Einzelheiten über uns Reiseteilnehmer auszutauschen. Keiner von uns echten Touristen ahnte, dass uns sogar auf einer Auslandsreise nachspioniert wurde. Ich merkte mir, wer zu den Agenten gehörte und wo sich die Pässe befanden und kraxelte dann wieder vorsichtig nach unten. Am letzten Abend vor der Heimreise wurde eine Riesenparty mit viel Alkohol veranstaltet. Mir ging es einzig darum, den Aufseher, der unsere Pässe in Gewahrsam hatte, mit so viel Alkohol zu versorgen, dass er sich überreden lässt, mir meinen Pass „vorzeitig“ auszuhändigen, was mir auch gelang. Dummerweise stand ich aber auch selber unter dem Einfluss des heimischen Weins, so dass ich nicht, wie ursprünglich geplant, sofort aus dem Kloster floh. Ich schlief tief und fest, bis mich der Aufseher selbst wachrüttelte. Schnell sollte ich mich nun anziehen und zum Bus eilen. Sonst würde die Gruppe den Rückflug verpassen! Als er mich ein paar Minuten später wiederholt zur Eile aufforderte, teilte ich ihm lapidar mit: „Ich bleibe hier.“ Wortlos verließ er mein Zimmer. Ein paar Minuten später kam er mit Verstärkung zurück. Ich war gespannt und bereit, meine Freiheit zu erkämpfen. Alle Beamten waren von meiner festen Entschlossenheit so überrascht, dass sie wie paralysiert vor mir standen. Ich starrte ihnen entgegen, ein Messer in der Hand und fest entschieden, im Westen zu bleiben. Die Zeit zum Abflug war nun so knapp geworden, dass sie alle eilig verschwanden. Aus dem Fenster beobachtete ich, wie der Bus losfuhr. Ich winkte. Einige von den „Echten“ winkten zurück. Von tausend Gefühlen und der plötzlichen Entspannung überwältigt, brach ich in Tränen aus. Go West! Da ich kein Italienisch, aber gut Deutsch konnte, reiste ich in Richtung Norden. Ein gut gelaunter italienischer Beamter erklärte mir, wie ich mich über die Grenze nach Österreich schmuggeln könne. Über die Europabrücke fuhr ich per Anhalter mit einem Fernfahrer. Auf mich wirkte die Landschaft so traumhaft herrlich und gepflegt, dass ich mir wie in einem Märchen vorkam. Der deutsche Fahrer kannte irgendwelche Tschechen und bot mir an, mich nach Deutschland mitzunehmen. An der Grenze angelangt, bat ich zitternd um Asyl. Ich wurde dann in ein Asylantenlager in Bayern gebracht. Die deutschen Behörden behandelten mich mit großer Freundlichkeit und mit Respekt; so etwas hatte ich bei den tschechischen Autoritäten noch nie erlebt. Wie auch allen anderen Asylanten wurde mir in jeder Hinsicht geholfen, mich in der deutschen Gesellschaft zu orientieren. Alles war perfekt organisiert – nur wurde ich wie die meisten Asylanten von Albträumen verfolgt. Ich träumte einmal, wieder in die kommunistische Tschechei zurück versetzt zu sein. Dieser Traum war so real, dass ich noch lange nach dem Erwachen vor Schreck zitterte. Mit dem Jahr 1982 begann für mich eine neue Zeit, und eine neue Welt tat sich mir auf. Nach einem Sprachkurs bekam ich in München sofort eine Stelle als Bauingenieur. Mein erstes Gehalt betrug 3000 Mark – das entsprach dem Vierzigfachen meines damaligen Gehaltes in der Tschechoslowakei. Ich war plötzlich reich – und: Ich war frei. Ich durfte reisen und musste dafür keine Erlaubnis von meinen Vorgesetzten einholen. Der Westen bot mir in jeder Hinsicht üppige Schätze an. Ich hatte alles, wonach ich mich jemals sehnte – und viel mehr dazu. Nicht länger würden andere mehr über mein Leben entscheiden! Ich bestimme nun alles alleine. Ich bin mein eigener Herr! Ich war überglücklich, denn ich hatte mein Lebensziel erreicht. Ich durfte in der Freiheit und Wahrheit leben! Damit aber verfiel ich allmählich dem westlichen Selbstverwirklichungsrausch. Unter dem Kommunismus war jeder verpflichtet, Russisch zu lernen. Es war eine von uns ungeliebte Sprache, da man sie stets mit der Besatzungsmacht verband. Nun wollte ich nie mehr in Richtung Osten blicken. Was ich mit der Vorstellung vom „grenzenlosen Westen“ verband, war die englische Sprache. Englisch war für mich die Sprache der Freiheit. Es war darum nur konsequent, einen Englischkurs an einer privaten Sprachschule in München zu belegen. Meine Lehrerin war eine sympathische junge Engländerin, die unter ihren Studenten sehr beliebt war. Auch ich zählte zu ihren (in meinem Fall heimlichen) Verehrern. Nach dem Unterricht stellte ich ihr häufig Fragen über die englische Sprache. Sie nahm sich immer die Zeit, jedem, wie auch mir, zu helfen. Im Laufe der Gespräche stellte es sich heraus, dass sie an Gott glaubte. Darüber war ich sehr verblüfft. Sie war doch eine intelligente Person! Sie hatte an den bekannten Universitäten in Oxford und Southampton studiert. Als Nächstes behauptete sie, dass die Bibel mit Abstand über alle anderen Bücher der Welt hinausragen würde. Meine Verwirrung war komplett. Unter dem Kommunismus hat doch jedes Schulkind gelernt, dass die Bibel den Wissensstand des Mittelalters verkörpere, und das sei doch heute längst überholt. Wie konnte jemand dieses Buch ernst nehmen, geschweige denn, noch davon reden, dass Gott zu uns durch dieses längst überholte Buch spreche? Es gibt doch keinen Gott, das weiß jeder denkende Mensch! Dies waren die ersten Reaktionen eines empörten Atheisten. „Am Anfang war die Materie“ lautet das Dogma einer vom Atheismus geprägten Weltanschauung. Das war auch mein Credo. Die kommunistische Erziehung hatte ihren Einfluss nicht verfehlt, und so befand ich mich in diesem starren humanistischen Denkschema. Aus Sympathie zu meiner Englischlehrerin schlug ich die erste Seite der Bibel auf. Ich fing an zu lesen: „Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern“. Ich las ein paar Kapitel, dann klappte ich die Bibel wieder zu. Ich konnte aus intellektuellen Gründen einfach nicht weiter lesen. Ich hatte kein Vertrauen zu einem Buch, das – so dachte ich damals fälschlicherweise – bereits auf der ersten Seite mit einer märchenhaften Aussage beginnt. Entweder ist die Bibel vom Anfang bis zum Ende völlig vertrauenswürdig, das heißt, sie ist wahr. Oder sie basiert auf Fiktion. Da sie für mich Aussagen enthielt, die den bewiesenen Tatsachen nicht zu entsprechen schienen, war sie für mich einfach unglaubwürdig. Bei meiner Lehrerin gründete sich ihr ganzes Leben auf die Bibel. Das brachte mich ins Nachdenken. Ein Bau duldet keine Fehler in der Konstruktion. Auch scheinbar geringfügige Mängel haben ernsthafte Konsequenzen. Ein rationaler Mensch kann sein Leben nicht auf einem Fundament bauen, das aus einem Gemisch aus Wahrheit und Lüge zusammengebastelt ist. Mir blieb die Frage: Wie können klar denkende, aufrichtige Leute überhaupt an Gott glauben? Es war nicht zu fassen. Da mein Weltbild ausschließlich von der materialistischen Philosophie des Humanismus geprägt war, dachte ich, dass die Evolution uns Menschen erklärt, wie und wann die Welt entstanden ist. Sie ist doch schließlich eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache, so behauptete ich. Meine Lehrerin entgegnete, dass die Evolutionslehre eine nicht nachprüfbare Theorie ist. Damit war ich ganz und gar nicht einverstanden. An der Prager Universität hatte ich unter anderem Geologie studiert. Ich vertraute und respektierte meinen Professoren, die uns über die Entstehung des Universums und über die Erdgeschichte lehrten. Nun, in München suchte ich weitere Argumente unter westlichen Wissenschaftlern, die meine Stellung bestätigen und untermauern würden. Ich wollte weitere Beweise sammeln, dass es Gott nicht geben konnte. Zu meiner Überraschung erfuhr ich, dass es gläubige Wissenschaftler gibt, die sowohl an Gott als auch an die Bibel als Gottes Wort glauben. In meinem bisherigen unter dem Kommunismus gebildeten Konzept gab es eine eindeutige Dichotomie. Auf der einen Seite war die Wissenschaft – sie ist rational und glaubwürdig – auf der anderen stand jede Art von Glauben – irrational, suspekt und eine Krücke für Menschen, die mit dem normalen Leben nicht fertig werden. Ich war äußerst neugierig auf einen angeblich an Gott glaubenden Wissenschaftler, zu dessen Vorträgen mich meine Englischlehrerin eingeladen hatte. Professor Werner Gitt war Leiter des Fachbereichs Informationstechnologie bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Mit großem Misstrauen ließ ich mich zu den evangelistischen Vorträgen einladen, die in einem bekannten Münchener Modehaus stattfanden. Meine materialistische Weltanschauung war unerschütterlich. Um meiner netten und hilfsbereiten Englischlehrerin eine Freude zu bereiten, war ich bereit, ein fairer Zuhörer zu sein. Während seiner Rede brachte Professor Gitt viele Argumente über die Entstehung von Information. Dies konnte ich von meinem Studium und meiner Erfahrung her nachvollziehen. Ich war mittlerweile in der Softwareentwicklung berufstätig. So war es mir eindeutig und verständlich, dass Intelligenz die Grundvoraussetzung für jegliche Information ist. Kein Computerprogramm schreibt sich von selbst; keine Hardware stellt sich selber zusammen, selbst wenn die Einzelteile vorhanden sein sollten. Vom Mathematikstudium her wusste ich, die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch reinen Zufall Zahlen oder Buchstaben sinnvoll ordnen, gleich Null ist. Die Lebewesen enthalten aber Unmengen kodierter Information, die auf den perfektesten „Festplatten“ minuziös und mit der höchsten bekannten Informationsdichte gespeichert sind. Es wäre ein blinder Glaubensakt, die Herkunft dieser Information sowie der dazu gehörigen „Verarbeitungsmaschinen“ reinen Zufallsprozessen zuzuschreiben. Von der Physik her, war mir ebenfalls klar, dass über die Zeit hinweg, die Materie dem Verfall unterliegt, aber nicht eine Höherentwicklung erfährt. Ohne intelligenten Input entsteht nichts Neues. Ein von Menschen verlassenes Gebäude fällt gemäß den physikalischen Gesetzen auseinander. Die beobachteten Prozesse verlaufen in Richtung von geschaffener Ordnung zum Chaos und nicht umgekehrt. Die Vorträge von Professor Gitt hatten mich massiv angesprochen. Als Techniker konnte ich seinen Gedankengängen perfekt folgen. Alles, was er erklärte, hatte für mich Sinn; es war wissenschaftlich, logisch, glaubwürdig. Ich wurde gezwungen, intensiv nachzudenken und musste lernen umzudenken. Meiner evolutionistischen Weltanschauung, die ich für unantastbar hielt, wurde nicht nur von den Grundprinzipien der physikalischen und mathematischen Wissenschaften widersprochen; nein, es kamen noch sehr massive Einwände seitens der Naturgesetze der Information hinzu. Die Evolution setzt auch einen Glauben voraus – nämlich die Abwesenheit einer leitenden Intelligenz. Die Möglichkeit, dass es einen Gott gibt, wird in einem naturalistischen Denkschema von vorneherein ausgeschlossen. Dadurch werden Zufallsprozesse und die Zeit de facto zur höchsten Instanz der Evolution erklärt. Die sachlichen Argumente, die Professor Gitt brachte, haben einen rigorosen Umsturz in meiner Denkweise verursacht. Die Fundamente meines rein materiellen Gedankengebäudes wurden direkt getroffen. Alles stürzte in sich zusammen. Es blieb nur noch ein Trümmerhaufen übrig, auf dem ich mein Leben weder aufbauen konnte noch wollte. Mir wurde klar, die Schöpfung selbst ist kein intelligenter Geist. Gewiss offenbart ein Schöpfer einiges von seinen Charaktereigenschaften durch sein von ihm geschaffenes Werk, aber dieses intelligente Wesen existiert außerhalb seiner Schöpfung. Der Bäcker ist ja bekannterweise auch nicht im Brot. So erkannte ich nun die Welt, das Universum und alles Materielle als etwas Geschaffenes, und zwar von einem unendlich intelligenten Wesen. Diese Information war bei mir zum ersten Mal im Leben durchgedrungen. Ich glaubte nun, dass es einen Gott nicht nur geben könnte – Er musste existieren. Aber was nun? Wer ist dieser Gott? Kann man über ihn etwas Gewisses sagen? Kommuniziert Er mit uns Menschen? Auch mit mir? Selbst in Abermillionen von Jahren würde ich nie von selbst darauf kommen können, wer dieser Gott der Schöpfung ist. Ich wusste genug, um zu wissen, dass der Mensch 9 viel zu wenig weiß. Wo sollte man denn mit der Suche nach Gott anfangen? Auf dem Jahrmarkt der Meinungen wurde man geradezu überhäuft mit Angeboten. Was ist aber vertrauenswürdig? Was ist wahr? Auf einer von Menschen erfundenen Philosophie zu bauen, hat weitreichende Konsequenzen, sowohl für den Einzelnen als auch für das Zusammenleben von Menschen. Dies kannte ich viel zu gut vom Leben unter dem Kommunismus. In seiner Vortragsreihe redete Professor Gitt von einem persönlichen Gott, der sich uns Menschen offenbart. Genau wie meine Lehrerin sprach dieser Wissenschaftler von der Bibel als einer von Gott gegebenen Botschaft. Es steht geschrieben: „… getrieben vom heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet“ (2 Petrus 1,21). Ich nahm mir nun vor, die Bibel soweit wie möglich unvoreingenommen zu lesen. Und ich wollte über das Gelesene nachdenken. Meine Lehrerin hatte mir geraten, Gott zu bitten, mir zu helfen, sein Wort zu verstehen. Sie bemerkte auch, es sei nicht ganz einfach, denn der natürliche Mensch will eigentlich in seiner Unwissenheit in Ruhe gelassen werden. Die Wahrheit ist nicht immer bequem. Gott anzusprechen, zu ihm zu beten, kam mir als völlig nichtreligiöser Mensch am Anfang äußerst seltsam vor. Aber ich wollte mich wirklich auf die Suche begeben. Und wenn es eine Antwort auf alle meine Fragen gab, wollte ich sie wissen. So bat ich Gott von Herzen, mir die Wahrheit zu zeigen und mich vor Irrwegen zu bewahren. Ich betete, Er möge mir den nötigen und richtigen Glauben geben, denn ich wollte auf einem festen Fundament bauen. Etwas zu wissen, ohne die logischen Konsequenzen daraus zu ziehen, war für mich eine Art von Heuchelei. Dies kannte ich auch vom Kommunismus her, wie Menschen innerlich gespalten werden, wenn sie einer Sache „glaubten“, aber in Wirklichkeit doch nicht glaubten. Meine Sicht war: Wenn ich glaube, dann muss es die reine Wahrheit sein, und erst danach kann ich darauf etwas aufbauen. Ich räumte den gesamten Gedankenschutt meiner bisherigen Lebensphilosophie weg und fing an, die neuen Bauanweisungen zu lesen. Ich griff zur Bibel….Durch Gottes andauernden Beschuss kapitulierte ich endlich. Nun stand ich, der erbärmliche Sünder, vor meinem gerechten Richter. Ich beugte mich vor Ihm und bereute zutiefst mein selbst orientiertes, gottloses Leben. Ich hasste die todbringende, gottbeleidigende Sünde, die mich mein Leben lang gefesselt gehalten hatte. Ich wollte mich von ihr für immer abwenden, war aber machtlos. Ich war auf Gottes Gnade angewiesen. Gottes Wort machte mir endlich klar, dass die einzige Hoffnung Jesus Christus ist. Er ist Gott selbst, nahm aber Fleisch und Blut an, um unter uns Rebellen zu wohnen. Er fügte sich in Gehorsam und in Demut ganz dem Willen seines Vaters. Er führte das vollkommene Leben, das ich niemals hätte leben können und opferte sich als unschuldiger Sohn Gottes freiwillig für mich, den Schuldigen, auf. Er wurde mein Stellvertreter. Der Unschuldige trat für mich, den hoffnungslos verdammten Rebellen, ein. Wie ein Blitzableiter nahm der Herr Jesus Christus Gottes gerechten Zorn auf sich. Mir, den die Strafe eigentlich hätte treffen sollen, blieb das Gericht dadurch erspart. Ich bat Gott, mir zu helfen, das Evangelium von ganzem Herzen zu begreifen und mich vor jeder Selbsttäuschung zu bewahren. Als Zweifel aufkamen, betete ich, dass Er mir die Wahrheit in Seinem Wort zeigen, und die Überzeugung und Kraft geben möge, auf eine Ihm wohlgefällige Weise zu reagieren. Ich warf mich voll auf Seine Gnade und bat immer wieder um Vergebung – so tief und innig war ich von meiner Schuld überzeugt. Ich bat um den Glauben, mich auf Ihn und Sein Werk ganz zu verlassen und kehrte meinem bisherigen Leben entschlossen den Rücken und folgte dem Herrn Jesus Christus nach. Ich erkannte, dass mein Erretter vom Tode allein das Recht hat, über mein Leben zu bestimmen. Fürbitte und Bitte Meine Bekehrung zu Jesus Christus gab meinem Leben eine völlig neue Richtung. Ich besuchte regelmäßig eine Gemeinde und studierte eifrig Gottes Wort, die Bibel. Von dieser großen Wende meines Lebens, von diesem neuen Anfang berichtete ich dann all meinen Freunden und Bekannten. Weiter: file:///Users/soulsurfer/Downloads/Zdenek-karasek%20(1).pdf

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