Ein Psychiater über Jugendgewalt

Ein Experte kommt zu Wort.

ali

SZ: Viele Menschen sind fest überzeugt, es werde immer schlimmer mit der Jugendgewalt. Die jüngsten Taten in Tessin in Mecklenburg oder in München scheinen das zu bestätigen. Aber stimmt es denn überhaupt?

Freisleder: Nein, das kann man so pauschal überhaupt nicht sagen, auch wenn Politiker oder die Polizei das behaupten. In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren erlebten Großstädte wie München ein Ausmaß an Jugendgewalt, wie wir sie heute überhaupt nicht mehr kennen.

Es gab die "Blasen", rivalisierende Banden, die sich Straßenschlachten lieferten, da war das Niederstiefeln eines anderen noch die harmlosere Variante.

Aber es stimmt, dass heute eine Art der Aggressivität von Jugendlichen um sich greift, wie wir sie vor 20 Jahren nicht hatten.

SZ: Wie definieren Sie diese?

Freisleder: Es scheint schon fast zum Umgangsstil von bestimmten gefährdeten Jugendlichen aus einem sozial problematischen Milieu zu gehören, sehr rasch zuzuschlagen.
  
Die Hemmschwelle sinkt. In diesem Milieu ist Gewalt oft über Generationen ausgeübt worden. Jugendliche lernen, dass Gewalt sich auszahlt. Und die Medien dienen als Verstärker.

SZ: Die Täter in Mecklenburg-Vorpommern, die ein Ehepaar erstachen, haben offenbar Gewalt- und Horrorgames gespielt. Kann das so eine Tat tatsächlich auslösen?

Freisleder: PC-Spiele alleine sicher nicht. Aber bei bestimmten Jugendlichen, bei denen Gewalt schon zum Lebensstil gehört, wird die Hemmschwelle weiter sinken.

Aus vielen Begutachtungsfällen weiß ich, dass der unkontrollierte, stundenlange Konsum von solchen Filmen oder Video-Spielen wie "Counterstrike" zum Verstärker von Gewaltexzessen werden kann.

SZ: In den aktuellen Fällen in Tessin und München haben die Täter Dutzende Male auf ihre Opfer eingestochen. Wie kommt es zu solch exzessiver Gewalt?

Freisleder: Das ist gar nicht so untypisch, und auch hier gibt es Vorbilder in Filmen und Videospielen. Da herrscht das Motiv vor: Dem zeig ich es jetzt, den besiege ich nicht nur, den vernichte ich.

SZ: Ist die neue Jugendgewalt denn eher ein Unterschichten-Problem, ein Mittel zur Durchsetzung für jene, die sich zu kurz gekommen fühlen?

Freisleder: Es gibt auch die Wohlstandsverwahrlosung. Wenn ein Kind materiell überverwöhnt und emotional vernachlässigt ist, dann kann es passieren, dass es später keine Frustrationstoleranz hat.

Die Jugendgewalt hängt aber sicherlich stärker mit sozialen Problemen zusammen. Aggressives Verhalten gibt es daher häufiger bei Jugendlichen mit nicht-deutschem Hintergrund. Es gibt eine Gewalt an der Grenzlinie zwischen den Kulturen, Albaner gegen Türken oder Russlanddeutsche gegen Jugendliche vom Balkan – und natürlich sind auch deutsche Jugendliche dabei.

SZ: Also: Mehr Integration, weniger Gewalt?

Freisleder: So kann man es sagen. In Frankreich, wo die Integration einer halben Generation von Arabischstämmigen misslungen ist, ist es besonders schlimm.

SZ: Bayern will die "Killerspiele" verbieten, weil labile Jugendliche die virtuelle Gewalt auf die reale Welt übertragen könnten. Hilft ein solches Verbot?

Freisleder: Ja. Die große Mehrheit der Jugendlichen ist durch solche Spiele zwar nicht gefährdet. Aber denken wir an den Amokläufer aus Erfurt, der in seiner alten Schule 16 Menschen erschoss. Diese Jugendlichen haben sich zurückgezogen. Sie sind in der Vereinsamung versunken. Sie suchen sich die virtuelle Welt als Lebensplatz – und kehren dann voller Hass zurück in die reale. Dann gibt es Gruppentäter, die sich gemeinsam so was anschauen und sich in Taten überbieten wollen. Die Gefahren sind einfach zu groß, daher wäre ein Verbot der richtige Weg. Und die Gesellschaft würde ein Zeichen setzen, dass sie solche Spiele aus ethischen Gründen nicht toleriert.

SZ: Hilft es, das Jugendstrafrecht zu verschärfen, wie Unionspolitiker fordern?

Freisleder: Das Jugendstrafrecht reicht an sich aus. Ich habe aber Probleme damit, wenn die Gerichte bei den 18- bis 20-Jährigen manchmal reflexhaft das mildere Jugendstrafrecht angewendet wird, ohne im Einzelfall hinzusehen: Ist denn dieser Heranwachsende wirklich noch unreif?

Franz Joseph Freisleder ist Ärztlicher Direktor der Heckscher-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in München.

 

Kommentare

  1. Anonymous

    Kinder und Jugendliche handeln doch vornehmlich nach Vorbildern. Wenn es dann in der Familie keine positiven Vorbilder gibt, in den Medien auch kaum welche, der Glaube nur noch mit Terror verbindet wird, wie kann man dann, den Kindern und Jugendlichen vorwerfen schlecht, unmenschlich oder gar teuflisch zu handeln. Ihr Handeln ist blos der Spiegel der Erwachsenen. Wollen wir keine mordenden Kinder und Jugendlichen, so braucht man keine Spiele zu verbieten, sondern verbietet das Morden und Töten im Auftrag im von Frieden. Es ist geradezu absurd die Spiele zu fokusieren, während täglich von ermordeten Menschen überall auf der Welt berichtet wird, und nicht nur von Terroristen, sondern auch von Soldaten, die jeder Steuerzahler dieser Welt mitfinanziert, aslo auch der liebe Nachbar. Wenn der Glaube, ob nun christlich oder muslimisch, fast schon als staatsgefahr gesehen wird, da braucht man sich nicht wundern, dass sich immer mehr böse Geister Eintritt in die Kinderzimmer erschleichen. Sie füllen den Raum, der von unserer mehrheitlich ateistischen Gesellschaft frei gelassen wird. Du sollst nicht töten!
    Aber wer anfangt die Gebote aufzuweichen, sie so hindreht, dass sie in unsere Zeit passen, der darf nicht den Kindern und Jugendlichen die Schuld geben, sondern sich selber.

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