100 Jahre William S. Burroughs (1914-1997). Poet out of Space.

Berlin. Irgendwann in den 1980ern. Burroughs hält eine Dichterlesung: „Dr. Benway nahm die rostige Sardinenbüchse als Skalpellersatz und öffnete damit den Bauch des Patienten….“ Seine schleppende, monotone Stimme gewann an Farbe, als William Seward Burroughs ein Joint aus dem Publikum gereicht wurde. Eine tiefe Inhalation und Dr. Benway war bereit, weiter zu operieren. Der Schriftsteller, Drogenkonsument und Waffenfetischist Burroughs hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Kultstatus erlangt. Eine lebende Legende, der gemeinsam mit den Freunden und Schriftstellerkollegen Jack Kerouac und Allen Ginsberg die prägendsten literarischen Werke dieser Generation schrieb, nämlich „Naked Lunch“ (Burroughs), „On the Road“ (Kerouac) und „Howl“ (Ginsberg).
Schon als Junge hatte Burroughs von einer literarischen Karriere aus absolut außerliterarischen Gründen geträumt. Er wollte schreiben, „weil Schriftsteller reich und berühmt waren, in Singapur und Rangun herumhingen, gelbe Seidenanzüge trugen und Opium rauchten oder Haschisch in den Vierteln der Einheimischen von Tanger und dabei eine zahme Gazelle streichelten“. Sein Vorwort zu dem autobiografischen Roman „Junkie“ beschreibt seine wohlbehütete Kindheit, in der er beschlossen hatte, später einmal Opium zu rauchen, da er von Ängsten und Wahnvorstellungen geplagt wurde. Er war Harvard-Zögling, doch hasste er den Universitätsbetrieb. Er war der verwöhnte
Kronprinz einer Industriellenfamilie, die ihm aus einem Fond lebenslang Geld zukommen ließ. Gelangweilt machte er die Bekanntschaft einiger reicher Homosexueller, die in der Welt umhergondelten und sich in den Schwulenbars von New York bis Kairo trafen. Doch William, selbst homosexuell, befand diese Leute als dekadente Hampelmänner und seine anfängliche Begeisterung ließ spürbar nach. Er trieb sich etwa ein Jahr in Europa umher, studierte kurzzeitig Medizin an der Universität in Wien, heiratete in Dubrovnik pro forma eine Jüdin, um ihr die Einreise in die USA zu ermöglichen. Zurück in Amerika vertrieb er sich die Zeit mit Psychologiekursen, Jiu-Jitsu-Unterricht und einer psychoanalytischen Behandlung,die ihm zum Teil seine Ängste nahm und ihn einen Lebensstil erkennen ließen, in dem alles möglich zu sein schien. So kam er mit Opiaten in Berührung, die ihn schließlich ein Leben lang süchtig machten. Wenn man sich die vielen Fotos von ihm anschaut, dann ist es auffällig, dass er fast auf keinem dieser Bilder lächelt oder ein freundliches Gesicht aufweist. Sein Gesichtsausdruck ist die unerschütterliche, wie in Granit gemeißelte Miene eines typischen Junkies. Trotz seiner homosexuellen Neigung war Burroughs zweimal mit einer Frau verheiratet. Die bereits beschriebene Verbindung zu der Jüdin war eine reine Zweckheirat. Seine zweite Frau erschoss er im Drogenrausch auf einer Party: „Lass uns den Wilhelm-Tell-Akt machen…“ Die genauen Umstände wurden nie geklärt, doch für Burroughs ging es glimpflich aus. Der Skandal jedoch verlieh ihm jenen düsteren Glanz, der ihn später zur schwarzromantischen Pop-Ikone machte: Er war der schriftstellernde Outlaw, der
Revolver held mit der Schreibmaschine, der sich um die Gesetze nicht sonderlich kümmerte, weder um die des Lebens noch um die der Literatur. In seinem bekanntesten und wichtigsten Roman „Naked Lunch“ verwendete er die Cut-up-Methode, die er gemeinsam mit dem Schriftsteller und Maler Brion Gysin entwickelt hatte und zwar im Beat Hotel in Paris, wo Burroughs und Gysin zusammen wohnten. Zusammenhängende Texte wurden dabei auseinandergeschnitten und neu zusammengefügt. So wurde das Buch nicht mehr nach einem schriftstellerischen Exposé entwickelt und geschrieben, sondern geklebt. So entstand „Naked Lunch“. Dieses Werk behandelt in
unkonventioneller und radikaler Manier alle nur denkbaren Tabuthemen wie Drogensucht, Drogenhandel, Homosexualität, Gewalt, Wahnsinn und sexuelle Perversionen.
Auch in seinen späteren Romanen setzte Burroughs diese Methoden vermehrt ein. Der nachhaltige Erfolg von „Naked Lunch“ war nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass das Buch mehrfach verboten wurde, bis es schließlich 1966 ganz legal zu erwerben war. Zum Schreiben kam William S. Burroughs durch
seine Beatnik-Dichterfreunde.
Allen voran Jack Kerouac, der ihn immer wieder dazu ermunterte oder auch ermahnte „Schreib das auf, Bill!“. Kerouac war es auch, der dem Buch „Naked Lunch“ den Titel gab und der in Tanger, Marokko, die handgeschriebenen Manuskripte zu Burroughs Erstlingswerk „Junkie“ ordnete und fein säuberlich mit der Schreibmaschine abschrieb. Erstaunlicherweise überlebte er alle trotz seiner Drogen-Vita (er selbst sagte, gerade deshalb!). Er wurde 83 Jahre und ein reicher und berühmter Schriftsteller, der in dem letzten Drittel seines Lebens noch die erstaunlichsten Eskapaden in anderen Genres vollführte. So hört man ihn auf Musikproduktionen von „Psychic TV“, einer britischen Avantgarde-Band, neben der Fixerin Christiane F. in düsteren Endzeit-Klängen. Es war die Filmmusik zu Decoder.
Selbst als bildender Künstler blieb er seiner Natur treu. Burroughs probierte eine neue Schrotflinte aus und schoss in seinem Garten auf eine Farbdose. Die Farbspritzer auf der dahinterstehenden Wand inspirierten ihn zu einer Serie von Bildern, „Schieß-Kunst“ genannt. William Burroughs Einfluss ist bis heute ungebrochen. Er hat ganze Generationen mit seinem Gedankengut infiziert. Seine Botschaft ist unmissverständlich: Höre auf zu denken und zerstöre jegliche Moral, die dein Leben einschränkt. Burroughs selbst erklärte sich zum Medium von fremden Mächten, die gerade durch seine Cut-up-Methode der Menschheit ihre Botschaften übermitteln. Er befindet sich somit in der gleichen Liga wie der Okkultist Aleister Crowley, dessen Botschaft lautete: Tue was du willst, das ist das ganze Gesetz. William Seward Burroughs starb am 2. August 1997 in Lawrence, Kansas. Auch er wird einmal vor Gott stehen und sein Leben rechtfertigen müssen. Hatte er vielleicht davor zeit seines Lebens so große Angst?

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