Oder eine Mastgans?
ali
Sören Kierkegaard (1813-55): Die Wildgans – Ein Sinnbild
Es war einmal eine Wildgans. In der Herbstzeit, als der große Zug bevorstand, bemerkte sie die zahmen Gänse. Sie fasste Zuneigung zu ihnen; es schien ihr, dass es eine Schande sei, von ihnen wegzufliegen; sie hoffte, die zahmen Gänse für sich zu gewinnen, so dass sie sich entschließen könnten zu folgen, wenn der Schwarm davonflog.
Zu diesem Zweck suchte sie auf jede Weise mit ihnen in Berührung zu kommen, suchte sie zu verlocken, sich ein wenig höher und dann noch ein wenig höher zu erheben, in der Hoffnung, dass sie möglicherweise dem Schwarm folgen könnten, befreit von diesem erbärmlichen Leben der Mittelmäßigkeit, auf dem Erdboden als respektable zahme Gänse herumzuwatscheln.
Anfangs fanden die zahmen Gänse das sehr unterhaltsam; sie mochten die wilde Gans gern. Aber bald wurden sie ihrer müde, sie gaben ihr scharfe Worte und verlachten sie als eine phantastische Närrin ohne Erfahrung und ohne Klugheit.
Leider aber hatte die wilde Gans sich so tief mit den zahmen Gänsen eingelassen, dass sie Gewalt über sie hatten, dass ihre Worte für sie wichtig wurden das Ende der Geschichte war, dass aus der wilden Gans eine zahme Gans wurde.
In gewissem Sinn kann man ja sagen, dass, was die wilde Gans tun wollte, sehr hübsch war, aber trotzdem war es ein Irrtum; denn – das ist die Regel – eine zahme Gans wird niemals eine wilde Gans, aber eine wilde Gans kann sehr wohl eine zahme Gans werden.
Wem das, was die wilde Gans tat, irgendwie lobenswert vorkommen könnte, der sollte vor allem auf eine Sache achten: auf Selbstbewahrung.
Sobald du merkst, dass die zahmen Gänse beginnen, Macht über dich zu gewinnen, dann fort! fort und weg mit dem Schwarm ! damit es nicht damit endet, dass du eine zahme Gans wirst, die mit ihrem jämmerlichen Los glückselig zufrieden ist.
Wer diese Zeilen liest oder sogar m j.w.d. war, der muß sich fragen lassen: Was nun??
Was für Konsequenzen soll das Gehörte und Gelesene für dich haben?
Sören Kierkegaard (1813-55), Christ und Philosoph erzählt dazu folgende Geschichte:
„Ein Haufen schnatternder Gänse wohnt auf einem wunderbaren Hof. Sie veranstalten alle sieben Tage eine herrliche Parade. Das stattliche Federvieh wandert im Gänsemarsch zum Zaun, wo der beredteste Gänserich mit ergreifenden Worten schnatternd die Herrlichkeit der Gänse dartut. Immer wieder kommt er darauf zu sprechen, wie in Vorzeiten die Gänse mit ihrem mächtigen Gespann die Meere und Kontinente beflogen haben. Er vergaß nicht dabei das Lob an Gottes Schöpfermacht zu betonen. Schließlich hat er den Gänsen ihre kräftigen Flügel und ihren unglaublichen Richtungssinn gegeben, dank deren die Gänse die Erdkugel überflogen. Die Gänse sind tief beeindruckt. Sie senken andächtig ihre Köpfe und drücken ihre Flügel fest an den wohlgenährten Körper, der noch nie den Boden verlassen hat. Sie watscheln auseinander, voll Lobes für die gute Predigt und den beredten Gänserich. Aber das ist auch alles. Fliegen tun sie nicht. Sie machen nicht einmal den Versuch. Sie kommen gar nicht auf den Gedanken. Sie fliegen nicht, denn das Korn ist gut, der Hof ist sicher, und ihr Leben bequem.“
Gott bewahre dich, dass dein Leben nach dem Lesen dieser Zeilen unverändert bleibt!!
Martin