Der Theologe Paul C. Murdoch über den Verlust des Heiligen, die Kraft der Empörung und den Auftrag der Christen in der Gesellschaft. factum: Sie sagen, die Gesellschaft habe die Achtung vor der Heiligkeit Gottes weitgehend verloren. Woran messen Sie diese Entwicklung?
Paul C. Murdoch: Die Gottlosigkeit hat nicht nur zugenommen, sie ist auch noch salonfähig geworden. Das gab es zwar schon immer in der Geschichte der Menschheit – die Missachtung Gottes und seiner Heiligkeit. Davon redet die Bibel von der Urgeschichte an. Dennoch meine ich, dass die Gottlosigkeit in unseren Tagen eine neue Qualität bekommen hat.
factum: Nennen Sie uns Beispiele.
Paul C. Murdoch: Bei seiner Vereidigung 1998 verzichtete Bundeskanzler Schröder als erster deutscher Bundeskanzler auf den Zusatz «So wahr mir Gott helfe». Ganze sieben seiner Minister taten es ihm gleich – so viele wie noch nie zuvor. Das ging Hand in Hand mit dem Scheitern derer, die gerne den Gottesbezug in der Verfassung der Europäischen Union gesehen hätten. Das wäre ein Beispiel auf der rein formalen Ebene.
Auf der praktischen Ebene sehen wir es durch eine Profanisierung der Sprache, der Werte und der Kunst. Jesus wird im Theater als kiffender Schwuler dargestellt; eine weltberühmte, inzwischen verstorbene Theologieprofessorin bezeichnete vor Studenten den «Vater-Gott» als «altes Schwein», eine andere meinte, die Regelblutungen der Frauen hätte mindestens so viel Heilswirkung für die Menschheit wie das Blut Christi.
Konservative Formen der Frömmigkeit werden von Psychologen als «krank» oder «gefährlich» angesehen. Aber auch Dinge wie Freundschaft werden nicht mehr so in Ehren gehalten wie früher. Die Demontage der Tugenden durch die 68er hatte durchschlagende Kraft.
Wer sich umschaut, kann es nicht übersehen: Das Heilige ist entweiht, das Sakrale profan und das Erhabene vulgär gemacht. Es ist nichts mehr heilig! Nicht die Ehre, nicht die Treue, nicht das Gute, nicht das Schöne. Die Demontage der Tugenden hat zum Verlust des Heiligen geführt – und umgekehrt.
Lesen Sie das ganze Interview in factum 2/2011.