Der ewige Urlaubswahn und die Hypermobilität auf der Suche nach dem verlorenen Paradies.
Die Ruhelosigkeit der Gegenwart ist ohne jedes Mass. Nie wurde mehr
geflogen, nie mehr gereist. Und nie flohen mehr Menschen. Die heutige
Mobilität an sich ist dem industriellen Fortschritt bei den
Verkehrsmitteln geschuldet und der entsprechend marktwirtschaftlichen
Preisentwicklung über den gesamten Globus. Waren es vor hundert Jahren
noch eine Hand voll Reisende, die mit der Dampfeisenbahn,
der Titanic, dem Automobil tagelange Strapazen auf sich nahmen, sind
heute sowohl die Reisezeit wie auch der Preis auf ein erschwingliches
Mass für die Masse geschmolzen. Das eröffnet nie dagewesene Lösungsräume
für globale Aktivitäten, die die Welt zum Dorf machen. Der
Mobilitäts-Wahnsinn ist leider eine der Schlaraffenland-Krankheiten von
heute. Mit ihr wird unsere Erde zum geilen Spass an die Wand gefahren,
geflogen und geschifft: Immer-noch-mehr-bis-zum-Geht-nicht-mehr. Es ist
das falsche Programm. Mit der Suche nach dem ultimativen Paradies machen
wir die Erde zu einer Art Vorhölle. Mit der Erde kann es nur weiter
geben, wenn vor allem die Menschen in den Schlaraffenländern verzichten
lernen. Die Generation, die das will, kann und tut, scheint es leider
nicht zu geben. Auch die Friday-Kids werden da nicht mitmachen.
Das
Leben ist eine Reise und Stillstand bedeutet, wie wir alle wissen den
Tod. Wenn nichts mehr passiert, sind wir weg vom Fenster. Im Reisen
liegt eine Form der Selbstvergewisserung. Reisen bedeutet immer auch
(den Versuch) eines Neuanfangs. Das gilt für Flüchtlinge, wie Touristen.
Reisen liefert uns den Gegenentwurf zum stillen Glück am heimischen
Herd. “Etwas Besseres als den Tod findest du überall” heisst es schon
bei den Bremer Stadtmusikanten. Die Tiere beschließen dem Tod zu
entkommen und begeben sich dafür auf Reisen. Die Flucht vor dem eigenen
Ende löst stille innere Ängste aus, vor dem Tod nicht gelebt zu haben.
Was den Mensch geradezu in einen zwanghaften “Run” katapultiert,
möglichst alles noch zu erleben, bevor man sich von dieser Welt
verabschiedet. Die Ruhe der Gegenwart wird so zum feindlichen Treiber.
Da ist mir das Leben als Pilger zu ewigen Heimat lieber:
Wir heißt es in einem Lied:
Wir sind nur Gast auf Erden
und wandern ohne Ruh
mit mancherlei Beschwerden
der ewigen H e I m a t zu.
In unserem Haus lebt ein älteres Ehepaar (Endsiebziger). Der Mann fuhr als Schiffsingenieur früher lange zur See in der DDR-Handelsflotte; seine Frau durfte ihn oft begleiten. Mag sein, dass beide damals besonders linientreu waren, damit es zu solchen Privilegien kam. Aber das interessiert mich jetzt nicht.
Sie leben jetzt seit wohl über 10 Jahren ein stilles beschauliches – allerdings auch nicht von ernsten Krankheiten verschontes – Leben in unserer Kleinstadt und besuchen von Frühjahr bis Herbst einzig und allein ihren ca. 100km entfernt liegenden Schrebergarten nahe der mecklenburgischen Ostseeküste, wo sie sie sich dann wochenlang aufhalten.
Die Frau sagte mir mal im Gespräch über Reiseziele in fernen Ländern:
“Ach, wissen Sie, im Grunde ist es doch überall auf der Welt gleich.”
Mir gab dieser Satz einer Weitgereisten durchaus zu denken – sie hat in einem gewissen Sinne recht.
Wir haben in unserer eigenen Bekanntschaft bzw. Verwandschaft mehrere geradezu (fern)reisesüchtige Paare – ob sie dadurch bislang glücklicher geworden sind?
Ich habe da erhebliche Zweifel….