Es ist ja nicht nur das ewige Kind in einem, auch der Rock’n’Roll selbst gleicht einer Diva, die sich beharrlich weigert, das eigene Alter zur Kenntnis zu nehmen. Der Sieg des Lustprinzips über die Leistungsgesellschaft, des Moments über die Dauer, der Söhne über die Väter sind ihre historischen Triumphe, und weil’s so schön war, werden sie in rituellen Feierlichkeiten immer wieder neu gefeiert. Rock’n’Roll, obwohl als Kultur inzwischen selbst rüstig auf die siebzig zugehend, ist nun einmal ein Synonym für ewige Jugend: Selig die rechtzeitig von uns Gegangenen, die, die das Ausbrennen dem allmählichen Verlöschen vorgezogen haben, im Pantheon des Rock sind sie die schönen Leichen, denn sie ersparen uns den Anblick von Alter und Siechtum. Zuletzt durfte die arme Amy Winehouse auf ihre Weise das Gesetz bestätigen, nach dem der beste Rockstar ein toter Rockstar ist. Wenn schon altern, dann in der Manier eines Keith Richards, mit der Whiskeybuddel in der Hand, als echsenhafter Überlebender an Bord eines Piratenschiffs, das noch immer die sieben Weltmeere kreuzt, oder wie Bob Dylan, dessen Fleisch ganz Legende geworden zu sein scheint, mehr mystische Erscheinung als Mensch. Auch Johnny Cash wollen wir uns gefallen lassen, seinen späten Aufnahmen zu lauschen hat so etwas wohlig Unzeitgemäßes, es ist, als würde man einem würdigen Großvater die letzte Beichte abnehmen: Rock’n’Roll als Sterbehilfe. Sich aber trotz fortschreitender Demenz auf die Bühne zu stellen und damit ein Signal zu setzen: Hey, noch gibt es mich, vielleicht nicht mehr lange, denn die Krankheit höhlt mich von innen her aus, doch solange ich ein Mikrofon halten kann, ist es nicht ganz vorbei – das, verehrtes Publikum, hat noch keiner gebracht. Zum Artikel: www.zeit.de/2011/37/Album-Glen-Campbell/seite-2