Japan-Berichterstattung: Schreckensmetaphern aus der Bibel

„Apokalypse“, „Armageddon“, „Tsunami biblischen Ausmaßes“ – wer dieser Tage Meldungen über Japan liest, dem schlägt eine Fülle biblischer Schreckensmetaphern entgegen. Offenbar reichen die gewöhnlichen Superlative nicht mehr aus, um die Lage in Japan zu beschreiben. Oder geht es den Medien nur um Aufmerksamkeit?
Die Verkettung von Naturkatastrophen und der anschließenden Angst vor einem Super-GAU scheint auch in den Medien eine neue Dimension darzustellen. Um die verheerenden Ausmaße der Zerstörung und Angst zu beschreiben, griffen einige Zeitungen zu biblischen Zitaten.
So schrieb die Tageszeitung „Welt am Sonntag“ (WamS) vergangenen Sonntag: „Nun hat die Apokalypse wieder an unsere Tür geklopft (…) Erst tobte ein Tsunami biblischen Ausmaßes über Japans Küstenlandschaft, dessen gewaltige Zerstörungskraft allein schon gereicht hätte, einen schwarzen Tag im Kalender der Menschheitsgeschichte zu markieren. Doch es sind gleich mehrere apokalyptische Reiter auf der Insel unterwegs. Als wäre das Seebeben mit seinen grauenhaften Folgen nicht schon genug des Unglücks, folgt nun wahrscheinlich noch eine nukleare Katastrophe mit unabsehbaren ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Folgen.“
„Es herrscht Endzeitstimmung“
Die WamS („Es herrscht Endzeitstimmung“) war mit wortgewaltigen Anleihen aus der Offenbarung und anderen Schriften der Bibel keine Ausnahme. Laut „Focus Online“ sind die Ereignisse in Japan eine „atomare Apokalypse“. Rettungsmaßnahmen sind laut „Stern.de“ ein „Helfen in der Hölle“. „Zeit Online“ nannte den Flüchtlingsstrom aus der japanischen Hauptstadt „Exodus aus Tokio“. Die „Financial Times Deutschland“ titelte: „Japans Armageddon“ – und bekam Zustimmung von „Stern.de“: „In den Reaktoren von Fukushima kämpft gleichzeitig ein todgeweihtes Kommando von Helden für das Überleben der Menschheit. Armageddon.“
Dabei ist fraglich, ob der normale Leser den Ursprung dieser Terminologie überhaupt kennt – oder nicht eher an Hollywood denkt („Apocalypse now“ oder „Armageddon“). „Apokalypsen“ sind Schriften, die sich mit dem Weltuntergang beschäftigen. Heute meint man damit meist die Stellen aus der Offenbarung und anderen biblischen Büchern, die das kommende Endgericht Gottes betreffen – mit Fokus auf den verheerenden Zerstörungen durch Naturkatastrophen. „Armageddon“ oder „Harmagedon“ ist der Name des Berges, auf dem nach Offenbarung Kapitel 16 die endzeitliche Entscheidungsschlacht stattfindet.
Dass diese Assoziationen problematisch sein können, schien niemanden zu interessieren. Einzig das österreichische „Wirtschaftsblatt“ kommentierte zynisch: „Die einzigen zwei Schreckgespenster, die noch nicht durch die Berichterstattung des Boulevards galoppiert sind, sind Beelzebub und die Hure Babylon.“
„Sprache beschwört den Weltuntergang“
Doch was bewirken die in großen Lettern gedruckten Brachial-Überschriften in den Köpfen der Leser? Für Michael Schenk, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, ist die Endzeit-Sprache Kalkül: „Diese Sprache ist sehr stark emotionalisierend. Sie beschwört den Weltuntergang herauf, Gedanken werden bewusst in eine bestimmte Richtung gelenkt. Das führt natürlich zu starker Aufmerksamkeit“, so Schenk gegenüber pro. Durch die Emotionalisierung der Debatte fehlten den Medien schlicht die Superlative.
Eine andere Frage ist, ob die Presse sich genau so verhalten würde, wenn die verheerende Katastrophe in Deutschland passiert wäre. Schenk betont: „Hier in Deutschland sind wir in bequemer Distanz, im warmen Bett.“ Es sei kaum vorstellbar, dass Journalisten in einem betroffenen Land in dieser Weise über die Katastrophe berichten würden. Durch endzeitliches Vokabular werde im Katastrophenfall diese Angst noch weiter befeuert: „Die ohnehin wahnsinnige Angst wird dadurch nur noch emotional hochgefahren. Das hält man nicht aus“, sagt der Kommunikationswissenschaftler. „Mich würde deswegen interessieren, wie japanische Medien darüber berichten.“
Die sind offenbar wesentlich zurückhaltender, wie Miho Tsuji, eine Künstlerin aus Tokio, in einem Skype-Interview mit „Sueddeutsche.de“ berichtet. Ob sie auch Medien aus dem Ausland nutze? „Im Moment eher nicht. Normalerweise verfolge ich die internationale Presse, aber im Moment neigen die ausländischen Medien dazu, die Situation besonders schlimm darzustellen.“ Sie erhalte ständig besorgte E-Mails und Telefonate von ihren Freunden aus dem Ausland. „Alles, was ich sagen kann, ist: Wir sind sicher, macht euch keine Sorgen.“
Auch demütige Töne zu vernehmen
Doch auch demütige Töne sind in diesen Tagen zu vernehmen. Zwar spricht kein Medium von den Zeichen der Endzeit im wörtlichen Sinne, doch immerhin ist die Übermacht der Katastrophe für Manche zumindest eine Zäsur im Denken und Empfinden. Der Mensch scheint einzusehen, dass er seine Macht überschätzt hat. Im Umgang mit der Atomkraft hat er seine Grenzen erfahren. „Zeit Online“ zitierte einen Kiewer Tschernobyl-Fotografen, der sich gerade die Bilder aus Fukushima angesehen hat: „Der Mensch hat die Rolle Gottes an sich gerissen und spielt mit dem Feuer. Doch er erntet nur Horror.“
Die „Bild am Sonntag“ (BamS) rief zum Umdenken auf: „Wohl dem, der in diesen Tagen beten kann; der eine Adresse hat, seine Hilf- und Ratlosigkeit abzugeben. (…) Wer aus dieser Katastrophe nicht endlich lernt, dem gnade Gott!“

Für die „Rheinische Post“ (RP) ist „der feste Glaube an die Technik“ eine Ursache der drohenden atomaren Katastrophe, und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sah gar einen neuen „Glaubenskrieg“ heraufziehen zwischen den „Kernkraftjüngern“ und jenen, „die in der Kernkraft einen Dämon sehen, den es auszutreiben gilt“. Die „Welt“ kommentierte in Anlehnung an das biblische Ereignis im Buch Daniel: „Die Gefahr, die nun von der Atomkraft ausgeht, wirkt wie ein Menetekel menschlicher Selbstüberschätzung.“
Im Hinblick auf die Ohnmacht des Menschen gegenüber der Atomkraft wirkt der erste Teil des Menetekels aus Daniel 5,26 in der Tat passend: „Gott hat dein Königtum gezählt und beendet.“ (pro)

Kommentare

  1. Peter

    Wenn man in dieser westlichen Welt fragt, was gut und was schlecht, was erstrebenswert und was zu verdammen ist, so findet man doch immer wieder den Wertmaßstab des Christentums auch dort, wo man mit den Bildern und Gleichnissen dieser Religion längst nichts mehr anfangen kann.
    Wenn einmal die magnetische Kraft ganz erloschen ist, die diesen Kompaß, gelenkt hat so fürchte ich, daß sehr schreckliche Dinge passieren können, die über die Konzentrationslager und Atombomben hinausgehen.
    Werner Heisenberg

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