Als Schülerin von Theologen wie Rudolf Bultmann und Ernst Fuchs, Friedrich Gogarten und Gerhard Ebeling hatte ich die besten Lehrer, welche die historisch-kritische Theologie mir bieten konnte. Auch sonst kam ich keineswegs zu kurz. Mein erstes Buch erwies sich als ein Bestseller. Ich wurde ordentliche Professorin für Theologie und Methodik des Religionsunterrichtes an der Technischen Universität in Braunschweig. Aufgrund meiner Habilitation ernannte man mich zur Honorarprofessorin für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Philipps-Universität in Marburg und nahm mich als Mitglied in die Society for New Testament Studies auf. Ich durfte mich der zunehmenden Anerkennung durch meine Kollegen freuen.
Unter dem Strich keine Wahrheit
Geistig beheimatet in der historisch-kritischen Theologie, war ich fest davon überzeugt, mit meiner theologischen Arbeit Gott einen Dienst zu tun und zur Verkündigung des Evangeliums einen Beitrag zu leisten. Dann aber musste ich einsehen, dass bei dieser „wissenschaftlichen Arbeit am Bibeltext“ unter dem Strich keine Wahrheit herauskommen kann und dass diese Arbeit der Verkündigung des Evangeliums nicht dient. Damals war das nur eine praktische Erkenntnis, aus Erfahrungen gewachsen, die ich nicht länger wegzuleugnen vermochte. Inzwischen habe ich Einsicht gewonnen in den Charakter dieser Theologie: Anstatt im Wort Gottes gegründet zu sein, hat sie Philosophien zu ihrem Fundament gemacht, welche sich entschieden haben, Wahrheit so zu definieren, dass Gottes Wort als Quelle der Wahrheit ausgeschlossen ist.
Ich erlebte eine tiefe Frustration
Zunächst aber führten mich meine Beobachtungen in eine tiefe Frustration. Ich versuchte, mich zu betäuben. Ich wurde ein SkIave des Fernsehens und geriet in zunehmende Abhängigkeit vom Alkohol. Durch Christen, die berichteten, was Gott in ihrem Leben getan hatte, traf ich die Entscheidung, mein Leben unter Gottes Leitung zu stellen. Etwa einen Monat später erlebte ich, dass Gottes Verheißungen in der Bibel Realität sind. Ich hatte den Bericht eines Mitarbeiters der Wycliff-Bibelübersetzer, der in Nepal arbeitete. Er teilte mit, dass sein Sprachhelfer während seiner Abwesenheit ins Gefängnis gekommen war, weil es in Nepal verboten ist, Christ zu werden, und was dieser junge Christ bei der Gerichtsverhandlung geantwortet hatte. Aufgrund von früheren Berichten war mir augenblickIich kIar, dass er seine Antwort niemals aus seinem eigenen Vermögen hatte geben können. Ein Wort Jesu drängte sich in mein Bewusstsein – ein Wort, das ich bisher nur mit akademischem Interesse zur Kenntnis genommen hatte – und ich konnte nicht umhin zuzugeben, dass diese Verheißung hier erfüllt war: „Wenn sie euch nun hinführen und überantworten werden, so sorgt euch nicht vorher, was ihr reden sollt; sondern was euch in jener Stunde gegeben wird, das redet. Denn ihr seid’s nicht, die da reden, sondern der Heilige Geist“ (Markus 13,11).
Ich wollte für meine Studenten kein blinder Blindenleiter sein
Schlagartig wurde mir klar, dass Gottes Verheißungen Realität sind. Alles, was ich in den Monaten vorher an Berichten über Erlebnisse mit Gott gehört hatte, fügte sich in diesem Augenblick wie Puzzle-Stücke ineinander. Mir wurde meine Torheit bewusst, angesichts dessen, was Gott heute tut, behauptet zu haben, die Wunder, die im Neuen Testament berichtet würden, seien „nicht passiert“. Schlagartig wurde mir klar, dass ich für meine Studenten ein blinder Blindenleiter gewesen war. Wieder einen Monat spater stand ich vor der Entscheidung, entweder die Bibel weiter durch meinen Verstand zu kontrollieren oder mein Denken durch den Heiligen Geist bestimmen zu lassen.
Nein zur kritischen Theologie
An der Bibelstelle Johannes 3,16 wurde mir diese Entscheidung kIar, denn ich hatte inzwischen die Wahrheit dieses Wortes erfahren: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondem das ewige Leben erhalten.“ Es machte jetzt mein Leben aus, was Gott für mich und für die ganze Welt getan hat: seinen Sohn dahinzugeben. Das konnte ich nicht mehr als ein unverbindliches Wort eines – mehr oder weniger – von der Gnosis beeinflussten theologischen Schriftstellers beiseiteschieben. Auf Gottes verbindlicher Zusage kann der Glaube ruhen. Theologische Sätze sind nur von akademischem Interesse. Ich erfuhr, dass Jesus nicht nur Gottes Sohn genannt wird, sondem dass er es ist, und dass er von einer Jungfrau geboren wurde, dass er der Messias und Menschensohn ist und ihm solche Titel nicht durch menschliche Uberlegungen beigelegt wurden. Ich habe die Inspiration der Heiligen Schrift erkannt und dann auch lebendig erfahren. Deshalb sage ich Nein zur historisch-kritischen Theologie. Nach wie vor erachte ich alles, was ich gelehrt und geschrieben habe, bevor ich Jesus mein Leben übergab, für falsch. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um daraufhinzuweisen, dass ich meine beiden Bücher „Gleichnisse Jesu … “ und „Studien zur Passionsgeschichte“ samt meinen Beiträgen in Zeitschriften, Sammelbänden und Festschriften verworfen habe.
Prof. Dr. Eta Linnemann, idea-Spektrum