Michael Jackson ist tot: Jetzt ist er größer als Elvi?

Zynischerweise kam sein Tod aus vermarktungsstrategischer Hinsicht zum idealen Zeitpunkt. Einerseits war Jackson durch die spektakuläre Tourankündigung samt fantastischem Vorverkauf endlich wieder als Künstler im Gespräch. Andererseits war das von vielen mit voyeuristischer Vorfreude prognostizierte Scheitern seines Comebacks mit einem Schlag aus der Welt. In pietätvollem Konsens wurde Michael Jackson heilig gesprochen, wodurch all die Kontroversen, die es in den vergangenen Jahren um bemitleidenswerte Gerichtsauftritte, alarmierende Gerüchte über seinen Gesundheitszustand, den wachsenden Schuldenberg und einen exzessiven Lebensstil gegeben hatte, gegenstandslos waren.
Ein durchaus geläufiges Phänomen: Auch andere mehr oder weniger tragisch aus dem Leben geschiedene Ikonen der Popkultur wie der verfettete Las-Vegas-Rentner Elvis, der streitbare Privatier John Lennon oder die verschwenderische Prinzessin der Herzen Diana hatten zu Lebzeiten durchaus ihre Kritiker, die aber angesichts der kollektiven Trauer zumindest vorübergehend verstummten.
Bei Michael Jacksons Tod potenzierte sich der empathische Impuls um ein Vielfaches, wohl auch aus der Ahnung heraus, dass es womöglich nie wieder ein Ereignis dieser Dimension geben würde.
Keiner der noch lebenden Popstars, kein Bob Dylan oder Robbie Williams, keine Madonna, aber wohl auch kein Schauspieler, Sportler, Politiker oder Religionsoberhaupt, das darf man prophezeien, wird bei seinem Ableben einen solchen alle nationalen, ethnischen, konfessionellen und ideologischen Grenzen überwindenden Emotionsschub auslösen wie der letzte globale Superstar.
Zumindest symbolisch markiert Michael Jacksons Tod somit auch das Ende der anglo-amerikanischen Kulturhegemonie. Die zukünftigen Protagonisten der Popmusik mögen aus Johannesburg, São Paulo, Bangkok oder Hannover kommen oder auch, wie der Jackson-Clan, aus einem Kaff im Südosten von Chicago – aber dass ihnen noch mal die ganze Welt zuhört, ist unwahrscheinlich.
Aus dem gedruckten Tagesspiegel vom 25. Juni 2010.
Michael Jacksons Leben war ein Superlativ, ein Wahnsinn, ein Irrsinn, eine Übertreibung, ein Geniestreich und auch eine Niederlage. Lange Zeit sah es aus, als würde ein Biggest Event den nächsten jagen, als würde dieser Mann mit dem Gemüt eines Kindes, dem Perfektionismus einer Spinne, die ihr Netz baut, und einem unbarmherzigen Geschäftssinn, die Realität nach seinem Willen formen. Und dieser ehrgeizige Wille hatte ein Motto: Größer, größer, größer. Bizarr gerieten dann auch später seine  Auftritte im Jahr 2005 bei den Prozessen, in denen er wegen Kindesmissbrauchs angeklagt war. Da kam er auch schon mal in der Pyjamahose zur Verhandlung. Von den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs wurde er freigesprochen. Der Irrsinn, mit dem er damals in der Öffentlichkeit auftauchte, was er wie erzählte, wie es sich darstellte, aber blieben in Erinnerung und es ist, selbst wenn man zynisch veranlagt ist, ein bittere Erinnerung.
Woher der Wahnsinn kam, den Jackson als Markenzeichen zu kultivieren schien, lässt sich nicht einfach beantworten. Der immense Erfolg? Die schier erdrückende Vergötterung durch wild gewordene Fans? Der Druck der Medien? Die Jagd nach ihm als einem Mann mit einem der bekanntesten Gesichter der Welt? Wohl alles zusammen. Und ganz sicher seine Kindheit, die keine war. Eine traurige Kindheit habe er gehabt, sagt Michael Jackson später. Und sein „traurig“ klang wie ein Hilfsausdruck für Unbeschreibliches.
Aus einer Fahrt, die nur nach oben zu führen schien, wurde – zunächst noch unbemerkt, dann aber in Titelzeilen weltweit fett hingedruckt – eine Achterbahnfahrt. An den tiefsten Punkten dieser Fahrt erschien Jackson weniger als gebrochener Mann, den als kindliche Witzfigur jenseits jeder Realität. Noch bevor also die Proben für die Irrsinns-Rückkehr starten konnten, endete dieses tragische Leben. Und es endete mit einem bizarren Wettlauf um die erste definitive Todesmeldung. Sogar, als das Herz aufgehörte hatte zu schlagen, hatte die Jagd auf den Über-Superstar kein Ende.salzburg.com

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