Neverending Wahnsinn

Die Party hat ein Ende – das Leben beginnt

Frühling 1963. Mein Opa feierte gerade seinen Geburtstag am Abend des 29. Aprils. Ich war dabei – vielmehr: Ich wollte dabei sein, denn ich war noch im hochschwangeren Bauch meiner Mutter. Am gleichen Abend wurde ich geboren.

Partystimmung. Dieses Ereignis prägte vielleicht mein ganzes weiteres Leben. Als Kind war ich ein ungebändigter, fröhlicher und sorgloser Wirbelwind, der alle zu begeistern und zu vereinnahmen schien. Gegen den Kindergarten rebellierte ich erfolgreich, mit der Schule war das nicht möglich; das versetzte mir einen ersten handfesten Schock. Meine kindliche Welt von Freiheit und Abenteuer war zerbrochen.

Rebellion. Die Schule eröffnete jedoch neue, interessante Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. Ich tat meistens alles andere, nur nicht das, was ich eigentlich sollte. Lange Haare, verwaschene, löchrige Jeans, laute Rock- und Punkmusik waren Lehrern und Eltern ein Dorn in Auge und Ohr. Bier, Wein und Haschisch gehörten dazu. Von guten Noten, Abitur und Studium konnte deshalb keine Rede sein. Ich war ein Freak.

1984. Mit 21 Jahren war meine schulische Karriere beendet. Es war keine glanzvolle Karriere, zugegebenermaßen. Immerhin hatte ich die Mittlere Reife und eine abgeschlossene Berufsausbildung. Doch das war in meinen Augen nichts wert. Meine Vorstellung vom Leben glich der eines Künstlers. Und genau das hatte ich im Sinn: Künstler sein! Kompromisslose Kunst wollte ich machen und eine Menge Kohle damit verdienen.

Berlin war damals ein Magnet für so Ausgeflippte wie mich. Die wenigsten waren wirkliche Künstler, aber die meisten waren wahre Lebenskünstler. Bunte Malereien spiegelten mein schön-verrücktes Berlin-Party-Feeling wider. Drogen gehörten dazu: Haschisch, LSD, Meskalin, Speed, Kokain und Heroin.

Junk. Eines Morgens wachte ich auf und ich wusste: Ich bin süchtig! “Heroine, it’s my wife and it’s my life!”, das sang Lou Reed und es wurde auch zu meiner Wahrheit. Harte Jahre des Straßen-Junkietums begannen. Die Künstlerkarriere sowie alle damit verbundenen Träume und Illusionen waren begraben unter der Last der Drogensucht. Ich war als fast schon toter Junkie ein Einzelkämpfer in einer Hölle auf Erden. Alles was ich aufgebaut hatte, zerfiel ins Nichts. Ich lebte auf der Straße, in besetzten Häusern, unter Brücken, bei “Freunden” und mein ganzer Tagesablauf drehte sich nur noch um Heroin und ähnliche Substanzen.

Totentanz. Die Dosis wurde immer höher. Wenn ich ein wenig unterversorgt war, dann wurde mir der ganze Wahnsinn ein wenig bewusst. Dann hatte ich Schmerzen, Angst und Verfolgungswahn. Jede neue Injektion konnte den Tod bedeuten: Ich wusste nie, ob ich mir nicht Rattengift oder Strychnin mit verabreichte. Wenn ein Mensch in der Sucht der Spritzgifte gefangen ist, dann gibt es für ihn nur zwei Zustände: Entweder der Affe (Entzugssymptome) wie vorher beschrieben oder der Zustand des Rausches und je praller man ist, desto besser. Ich wollte einfach gar nichts mehr mitkriegen, weder mein eigenes Elend, noch das Elend der anderen und dieser Zustand war schon totengleich. Einmal wachte ich an einem Wintermorgen in einem Berliner Park (zum Glück wieder) auf und konnte mich an nichts mehr erinnern. Ich lag im Schnee, doch ich verspürte weder Kälte noch Angst, weil das Heroin so stark gewesen war, dass ich noch “gut versorgt” war. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wo ich nur knapp dem Tod entronnen bin.

Kampf. Nach langen und harten Jahren der Sucht in Berlin hatte ich nun endlich den Willen, damit aufzuhören. Ein furchtbarer, wochenlanger Entzug ließ mich die ganze Realität des Süchtigendaseins erkennen. Trotz schlimmer Vergangenheit, krasser Gegenwart und hoffnungsloser Zukunft wollte ich nicht aufgeben. Es begann ein ziemlich nervenaufreibender Kreislauf von Entzug, Therapie, Arbeit, Beziehung, Cleansein, Zweifel, Sinnlosigkeit und Rückfall. Sieben Jahre fuhr ich in diesem Trottel-Karussell und es bewegte sich immer schneller. Ich kam an einen Punkt, wo ich verzweifelt erkannte, dass ich keine Chance gegen meine Sucht hatte. Nach zwei abgeschlossenen Therapien und einem Methadonprogramm resignierte ich im Rausch und dachte: Dies ist halt mein Leben! Ich war bereit, den Kampf aufzugeben. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich jegliche Hoffnung verloren und ich war bereit zu sterben. Doch war ich dazu wirklich bereit? Das war 1995.

End(s)partystimmung. Ein x-ter Rückfall bewirkte, dass ich mich voll pumpte mit allem, was ich in die Finger bekam. Es war ein grotesker Tanz auf dem Vulkan. Mein Arsch würde sowieso bald im Sarg liegen und dann wäre alles vorbei, so dachte ich. Alle meine Beziehungen zu Menschen waren zerstört. Unzählige Versuche, drogenfrei zu leben, lagen hinter mir. Selbst die zwei abgeschlossenen Therapien hatten mein Leben nicht wirklich verändert. Meine private Party schien ein Ende zu haben. Wo waren all die Freiheitsgedanken und die Glücksgefühle geblieben? Ich war fest an die Droge gekettet, innerlich war ich hohl und abgestumpft, mir war alles egal, weil ich nichts mehr spürte. Ohne Sinn und ohne Ziel hauste ich in einem Kellerloch, aus dem ich nur dann hervorkam, wenn ich Drogen oder Geld für Drogen benötigte.

Todesangst. Und dennoch regte sich in diesem Zustand noch einmal mein altes Kämpferherz. Noch einmal wollte ich den Kampf gegen die Sucht aufnehmen, mehr als verlieren konnte ich nicht. Wieder einmal wollte ich die Qualen des Entzugs auf mich nehmen. Ich setzte alles ab und 24 Stunden später war ich voll auf’m Affen. Aber es war extremer als sonst. Die Symptome waren stärker und plötzlich befand ich mich in einem Zustand, den ich vorher nicht gekannt hatte. Mein Herz raste, der Brustkorb vibrierte, meine Hände wurden grün-blau, mein Augeninnendruck war so stark, dass ich dachte, mir platzt gleich der Kopf. Ich hatte Todesangst und ich wusste, dass ich jetzt gleich sterbe und dass ich dann verloren bin, irgendwie konnte ich in diesem Moment ein bisschen über den Punkt des Todes hinausblicken und das bereitete mir in diesem unvorbereiteten Zustand eine unsagbare, nie gekannte Angst vor etwas ganz Schrecklichem. Wenn jetzt nichts passierte, dann käme ich an einen Ort, an den ich nie und nimmer wollte. Es war schrecklich.

Retter in der Not. Dann tat ich etwas in dieser Agonie, was ich mir nie gedacht hätte: Ich betete. Seltsam, ich wollte doch mein ganzes Leben nichts mit Gott zu tun haben. Gott war das egal. Er erhörte mein Gebet. Schlagartig ging es mir besser und ich hatte einen nie gekannten Frieden. Ich wusste, es wird alles gut, nur nicht wie, wann und warum. Plötzlich war da ein Vertrauen und Hoffnung und das Beste: Ich wusste, es gibt einen Gott, der in meiner höchsten Not meinen Schrei nach Leben gehört hat und sofort reagierte.

Gott lässt nicht los. Kurze Zeit danach ging es mir wieder besser und ich vergaß mein Erlebnis, bzw. ich verdrängte es, da mein rationaler Verstand solcherart Gedanken nicht zuließ. Auf der Drogenszene begegnete ich jedoch Menschen, die sehr freundlich und bestimmt auf uns Drogenfreaks zugingen, mit Kaffee, Kuchen und Einladungen zum Bibellesen. Moment mal? Bibellesen? Ich? Aber: Da war doch was. Ich erinnerte mich sofort an das Gebet und dann dachte ich, weil ich auch vorher niemals in meinem Leben so konkret angesprochen wurde, dass ich mir diese Chance einfach mal gebe. So verabredete ich mich mit einem jungen Mann und ging mit zu einer Familie, wo mehrere Leute im Wohnzimmer saßen, die mich alle recht freundlich begrüßten, so als gehörte ich schon immer dazu und ich dachte, die spinnen, die verwechseln mich. Aber nein, sie nahmen mich wirklich freundlich auf und dann kam der Hammer: Der Gastgeber las aus der Bibel vor und erklärte in seinen eigenen Worten, was es damit auf sich hat. Jedes einzelne Wort traf mich mitten ins Herz. In mir drinnen rührte sich etwas und ich erkannte, dass alles, was hier mit Gottes Worten erklärt wurde, die Wahrheit ist, nach der ich so lange suchte. Ich weinte und betete. Ich erkannte mein kaputtes Leben mit einem Schlag und ich wusste, dass nur Gott mir helfen kann.

Endlich frei! Das liegt nun einige Jahre zurück. Seit dieser Zeit ist eine ganze Menge passiert, so viel, dass ich mindestens noch mal so viel wie bis hierher schreiben müsste, doch das mag ich jetzt keinem mehr zumuten. Um es kurz zu machen: Ich begann dann selbst in der Bibel, im Neuen Testament, zu lesen und lernte einen Jesus kennen, wie ich ihn vorher nicht kannte. Ich weinte und betete immer wieder, bis ich an einen Punkt kam, an dem ich realisierte, dass ich ein Kind Gottes bin, weil ich erkannt hatte, dass Gott Jesus auch für mich geschickt hatte, dass er für all meine Sünden stellvertretend bezahlt hat am Kreuz auf Golgatha. Durch den Glauben daran und an die Auferstehung Christi habe ich ein neues Leben bekommen. Das ist mein voller Ernst. Gott hat mein Leben wunderbar verändert und tut es weiterhin, tagtäglich und ich bin ihm so dankbar dafür. Es ist das Beste, was mir passieren konnte.

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