„Vater, ich gehe jetzt zu dir“, waren die letzten Worten von Rocky, alias Gerd Bauer, bevor er in die Ewigkeit abgerufen wurde. Udo Lindenberg war so beeindruckt von der Glaubenszuversicht seines Freundes, dass er dadurch inspiriert wurde zu seinem wohl populärsten Song „Hinterm Horizont geht´s weiter.“
In den 80er Jahren wurden die beiden „Freunde für die Ewigkeit“. Das erste Mal sah Udo Rocky im Vorbeifahren auf der Reeperbahn in Hamburg St. Pauli. Hier war der komplett tätowierte und gepiercte Mann mit Irokesenhaarschnitt in seinem schwarzen, ledernen mit Nieten und Ketten besetzten Kampfanzug seit 20 Jahren zu Hause, „Diesen Mann muss ich unbedingt kennen lernen“, nahm sich der Rocksänger vor. Bald darauf präsentierte ihn Udo als Sänger und Animateur auf der Bühne und ließ ihn als „Kulturminister in seinem abendfüllenden Spielfilm „Panische Zeiten“ auftreten.
Ich freundete mich nur wenige Wochen vor seinem Tod in einem Hamburger Krankenhaus mit ihm an, wo der Sterbenskranke mir auf seinen Wunsch hin mir sein letztes Interview gab, sozusagen sein Vermächtnis.
Der an Prostata-, Haut und Lungenkrebs erkrankte 59-jährige Rocky ließ mit letzter Willensanstrengung sein tragisches Leben Revue passieren. Als Fluchthelfer wurde er 1948 in Berlin von den Russen geschnappt und zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt.. Als er nach sechsjähriger Haft von der Bundesrepublik freigekauft wurde, war er durch seine vorwiegend im Zuchthaus eingeritzten Tätowierungen als Außenseiter abgestempelt. Er wurde Rockerkommandant und verschrieb sich mit seinem Blut dem Teufel. Fortan wurde der gewalttätige Exot von den Zuhältern im Milieu gefürchtet und von den Huren verehrt.
In seiner letzten Show in Berlin trat Rocky in Berlin als Satan und Udo als Papst auf . Nach der Vorstellung brach Rocky zusammen und wurde ins Krankenhaus eingeliefert.
Noch einmal rappelte er sich auf, war aber nicht mehr bereit, den „Leibhaftigen“ zu spielen. Auf der Reeperbahn sprach ihn ein junger Christ an, der für ihn beten wollte. „Ich spürte eine ungeheure Kraft und eine Gottesnähe wie nie in meinem Leben“, bekannte er. „Danach besuchte ich einen Gottesdienst in der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde in Altona, wo ich zum ersten Mal ein Zuhause gefunden habe. Ich konnte meine Maske ablegen, den Kampfanzug ausziehen und mich auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes taufen lassen.“ Sein Taufspruch lautete: Ich wandte mich an den Herrn, und der Herr antwortete mir. Er befreite mich von allen meinen Ängsten.“ (Psalm 34,5). In den folgenden Monaten beglich der neugeborene Christ seine Schulden, bat seine Feinde um Vergebung und bekannte vor Huren und Zuhältern, dass sein Glaube an Jesus Christus einen neuen Menschen aus ihm gemacht habe. Überall in den Kneipen, Spielhöllen und Bordellen staunendes Entsetzen. Auch Udo konnte es kaum fassen. „Udo ruft mich jetzt oft im Krankenhaus an und will vorbeikomen, sagte er mir der schwer Kranke. In seinem letzten Lebensjahr wurde Rocky zum Seelsorger für Kriminelle, Drogensüchtige und Penner, aber auch für Krankenschwestern und Ärzte im Krankenhaus.
Als Rocky am 1. April 1987 starb, schlug die Todesnachricht im Rotlichtmilieu wie eine Bombe ein. Die Huren hängten die Todesanzeige in ihre Schaufenster.
Am Ende meiner Traueransprache spielte ich vom Tonband die letzten Sätze vor, die Rocky mir in einem fast einständigen Interview am Krankenbett als Vermächtnis seines Lebens hinterlassen hat:
„Der auferstandene Jesus ist für uns alle lebendig und für alle greifbar.
Du kannst seine Hand ergreifen – jetzt in diesem Augenblick.
Du brauchst nicht dein ganzes Leben so vertun wie ich.
Ergreif´ seine Hand. Er streckt sie dir hin.
Ich habe sie ergriffen und seine Kraft erfahren.
Herr, ich bin dir so dankbar dafür.
Und du wirst der Lebendige bleiben in alle Ewigkeit.
Früher war der Tod für mich Furcht und Schrecken.
Heute ist es ein Heimgehen zu Gott. Und dafür danke ich.“
Totenstille. Etliche Trauergäste, besonders Huren und auch hartgesottene Männer, wischten sich verstohlen Tränen aus dem Gesicht. Unter ihnen auch die legendäre Rocklady Elli Pirelli . „Udo wäre gern gekommen, aber er muss heute Abend in Köln bei Boulevard Bio im Fernsehen auftreten“, sagte sie betroffen. Neben dem aufgebahrten Sarg las ich auf einer Kranzschleife: „Unserm lieben Rocky! Udo und die Panikfamilie.“
Ich höre Rocky noch auf seinem Sterbebett sagen: „Ich bete für meinen Freund Udo, dass GOTT ihm genauso wie mir die AUGEN ÖFFNEN MÖGE, um seine KRAFT und LIEBE ÜBER den TOD HINAUS zu ERFAHREN.“
„Hinterm Horizont geht’s weiter.“
Günther K.