Wir waren Gefangene des IS.

Diese Christen sind der Hölle des IS enkommen. Sie wurden freigekauft:

„Im Morgengrauen des 23. Februar beginnt der Alptraum. Im Dorf Tal Goran am Fluss Chabur im Norden Syriens harren 17 Männer aus, darunter die drei Zayas. Sie wollen ihre Häuser und ihre Felder vor Plünderern schützen. Die restlichen der einst 200 christlichen Bewohner sind vor den näher rückenden IS-Kämpfern bereits in die nordsyrische Stadt Al-Hasaka geflohen. Außer den Männern sind in Tal Goran nur noch Najma Youkhanna und zwei Frauen anwesend, um für die Männer zu kochen. Auch ein kleines Mädchen ist dabei. Es wollte unbedingt seinen Vater sehen. Heute wissen alle, dass es absoluter Wahnsinn war, in dem Dorf zu bleiben: „Wir waren leichtsinnig“, sagt Youel Zaya, der gleichzeitig Taxifahrer, Bauer und Bürgermeister des kleinen Dorfes gewesen ist. Doch sie haben nicht mit einem so schnellen Überraschungsangriff des IS gerechnet. Systematisch durchkämmen die Islamisten die meisten der 34 am Fluss liegenden christlichen Dörfer. Sie treiben die 21 verbliebenen Christen aus Tal Goran in einem Haus zusammen und plündern die Wohnhäuser. In Autos mit abgedunkelten Scheiben werden die Christen dann in die vom IS kontrollierte Stadt Al-Schadade abtransportiert.

Dort pferchen die IS-Kämpfer die insgesamt etwa 250 Geiseln in einem mehrstöckigen Haus ein – Männer und Frauen getrennt. „Wir waren 66 Frauen in einer Wohnung, darunter auch junge Mütter mit Säuglingen“, erinnert sich Najma Youkhanna. Die älteste Geisel schätzt sie auf etwa 90 Jahre. Eine Frau brach sich beim IS-Sturm ein Bein und hat schlimme Schmerzen. Doch das interessiert die radikalen Muslime nicht. Die verdreckte Unterkunft stinkt, Möbel gibt es nicht. Der Boden ist hart, und es ist so eng, dass sich nachts nicht alle gleichzeitig hinlegen können. Nach einigen Tagen bringen die Islamisten zumindest einige Matratzen: „Der schlimmste Moment war immer, wenn die IS-Kämpfer in die Wohnung kamen. Wir mussten jedes Mal mit dem Schrecklichsten rechnen.“ Die Islamisten befragen alle Frauen, ob sie verheiratet sind, wie viele Kinder sie haben und wer noch Jungfrau ist. „Die Angst, vergewaltigt zu werden, war immer da“, sagt Najma Youkhanna leise. Doch dazu kommt es – zumindest in der Zeit, die sie dort verbringt – nicht. „Wir haben viel geweint und noch mehr gebetet.“ Als eine junge Frau laut über Selbstmord nachdenkt, weisen die älteren sie zurecht: „Du bist Christin. Du darfst Dich nicht selbst umbringen.“

Die Männer sind derweil in einem anderen Stockwerk untergebracht. Die 17 Männer aus Tal Goran dürfen in einem Zimmer zusammenbleiben. Sie fürchten sich vor den Islamisten und bitten Gott nur noch um eines: „Wenn sie uns töten wollen, dann lass uns durch eine Kugel sterben und nicht durch Messer oder Feuer.“ Der seelische Druck ist riesig. Sie müssen sich Videos der IS-Kämpfer anschauen, wie sie andere Geiseln kaltblütig ermorden. Zudem hören sie aus anderen Wohnungen oft Schreie von gefolterten Menschen. Immer wieder werden sie gedrängt, zum Islam überzutreten. Das würde doch viele Annehmlichkeiten mit sich bringen – beispielsweise bis zu vier Ehefrauen. Und es gebe im Haus einen Raum mit „Sklavinnen“. Als Muslime dürften sie mit ihnen tun, was sie wollten. Die Christen lehnen entsetzt ab. Sie wollen an ihrem Glauben festhalten. Und sie verweisen die Kämpfer auf den Koran: Dort stehe doch, dass Christen ihren Glauben behalten dürfen, wenn sie eine Kopfsteuer zahlen. Doch die IS-Kämpfer lassen sich auf keine Argumentation ein. Niemals wären sie damals Muslime geworden, sagt Youel Zaya energisch und richtet sich kerzengerade auf seinem Stuhl auf: „Unser Glaube ist unsere Identität. Wir sprechen Aramäisch – die Sprache Jesu –, wir haben unsere christlichen Traditionen in muslimischen Ländern seit Jahrhunderten bewahrt. Unseren Glauben werden wir nicht aufgeben. Niemals.“
Unter den IS-Kämpfern entdecken sie auch einige Muslime aus ihrer Nachbarschaft. Manche von ihnen sind fast noch Kinder. Sie sehen auch asiatisch aussehende Männer, die kein Arabisch sprechen, erzählen sie. „Ich habe in keinem Gesicht eines IS-Kämpfers Menschliches entdecken können“, sagt Aowaya Zaya. „Die Augen waren immer eiskalt.“ Was die Christen zum damaligen Zeitpunkt nicht wissen: Es laufen Verhandlungen um ihre Freilassung. Sie hatten in Tal Goran gute Kontakte zu Beduinen in der Nähe ihres Dorfes gepflegt.“ (idea.de)

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