5. August 1945 wurde unser Freund und Bruder Franz Huber geboren. Vom Todesjunkie zum Diener Gottes.

»Acta probat exitus« lese ich auf einem Grabstein des Friedhofs am Perlacher Forst, als wir Franz Hubers Leib von der Aussegnungshalle zum Grab geleiten – »Der Prüfstein für unsere Taten ist unser Ausgang«. Nach diesem »Ausgang« dieser Beerdigung mit über 300 Trauergästen (der größten, die ich je erlebt habe) zu urteilen, muss Franz ein ganz Großer gewesen sein, der in seinem äußerst bedeutenden Leben gewaltige Taten vollbracht hat. Ein ganzseitiger Artikel in Deutschlands größter Tageszeitung auf Seite 3 (2 cm hohe Schlagzeile: »Ein Junkie im Dienste Jesu Christi«, Untertitel: »Franz Huber: von der Gosse zu Gott«) zu seinem Tod – vielen »großen« Politikern, Medienstars und Wirtschaftsbossen widmet die Presse bei ihrem Ableben nicht mehr als eine Randnotiz.
Unmittelbar nach dem Krieg im zerbombten München erblickte Franz »das Dunkel der WeIt«, wie er selbst immer sagte. Die Geburtsurkunde spricht Bände: »Die Fabrikarbeiterin Elisabeth Maurer, … verwitwet, … hat
am 5. August 1945 zu München einen Knaben geboren … Eingetragen auf schriftliche Anzeige der Vorstandschaft des Mütterheimes, München, Taxisstraße 3«.
Franz bekommt den Namen des Großvaters, wächst als »Schlüsselkind« auf, kommt auf eine Sonderschule, beginnt eine Metzgerlehre, aus der er mit 16 – es ist 1961, das Jahr des Berliner Mauerbaus – in die Rauschwelt der Drogen flüchtet, die ihn 20 Jahre lang versklaven und ruinieren: Haschisch zunächst, dann Amphetamine, LSD und Kokain, schließlich der absolute Absturz in die Heroinsucht. 20 Jahre Leben unter Gelegenheitsdieben und Prostituierten, Zuhältern und Einbrechern und anderen Kriminellen und Gescheiterten, das Ganze notdürftig glorifiziert mit markigen Sprüchen wie »Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll« und »Live fast, love hard, die young!«
Franz pendelt zwischen München und Amsterdam, oft auf der Flucht vor der Polizei und dem Sicherungshaftbefehl. Doch gerade als Franz am Tiefpunkt und scheinbar unausweichlichen Schlusspunkt seines Lebens angelangt ist, da erreicht ihn die rettende Liebe Jesu: über einen Freund kommt er in Holland zu einer christlichen Gemeinschaft, der »Stiftung Jezus Kinderen« in Kloosterburen, wo er eine gründliche Entziehungskur macht, deren furchtbare Qualen er aber nur durch die Kraft des
Evangeliums durchstehen kann, das er hier konkret als »Gottes Kraft zum Heil (und zur Heilung) für jeden auf Jesus Vertrauenden« erfährt. Ein Jahr arbeitet er dort, bleibt »clean«. Am 6. 10. 1981 wird vom Landgericht
München der Sicherungshaftbefehl aufgehoben, denn »es bestehen derzeit keine hinreichenden Gründe mehr für die Annahme, dass die bedingte Aussetzung widerrufen werden wird. Der Verurteilte hat nunmehr wieder Kontakt zu seinem Bewährungshelfer. Er befindet sich derzeit in Holland seit 10. 10. 1980 in einem Heim, das bestätigt hat, dass der Verurteilte absolut drogenfrei ist und sich im Übrigen gut führt«.
Franz kommt zurück nach München, wo wir ihn kennen lernen, zieht
mit in unsere Wohngemeinschaft im »Haus Laim«, wo er sofort anfängt, sein Leben weiter in Ordnung zu bringen. Trotz »Weichteildefekten an den Fußsohlen als Folge einer chronischen Durchblutungsstörung, die ihm
keine längere mechanische Belastung der Füße erlauben«, so das
Attest seiner Ärztin, beginnt er zu arbeiten, als Schneeräumer bei der Stadt,
als Pizzabäcker, als Tellerwäscher in einem Schwabinger Steak-Haus, als Palmenbauer, schließlich als zertifizierter »Auskunftsassistent/
Werkschutzmann«, wo er bei einem Veranstaltungsdienst
Kontroll-, Ordnungs- und Wachaufgaben wahrnimmt.
Kaum jemand kann ermessen, was regelmäßige, ehrliche Arbeit bei einem ehemaligen Junkie bedeutet: Vielleicht mehr als alles andere ist das der unwiderlegbare Beweis, dass sich in seinem Leben ein unbegreifliches, allen Erfahrungen und natürlichen Erklärungen widersprechendes Wunder vollzogen hat (Franz selbst sagte: »Arbeit und Religion – das waren
die absoluten Brechmittel für einen süchtigen 68er«).
Das verdiente Geld aber nutzt Franz zum großen Teil zur Wiedergutmachung. »Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite vielmehr und wirke mit seinen Händen das Gute, auf dass er dem Dürftigen mitzuteilen habe.« Im Leben von Franz wird auch dieses Bibelwort Fleisch, wird von ihm konsequent praktiziert. Aktiv sucht er, wo alte Schulden und Forderungen da sind aus Sachbeschädigungen, Mietrückständen, Apothekeneinbrüchen und Diebstählen. In oft kleinen Raten, aber konsequent und über Jahre hinweg zahlt Franz zurück, bis er schließlich sagen kann: »Schuldenfrei!« Manchmal erlebt Franz sein verändertes Leben in Momenten augenfälliger göttlicher Ironie: etwa wenn er 1988 bei der Beerdigung von Franz Josef Strauß als Ordner in Uniform eingesetzt
wird und Polizisten, seine ehemaligen Erzfeinde, ihn als »Herr Kollege« ansprechen und zur gemeinsamen Brotzeit einladen, wie er mir im Anschluss begeistert erzählt.
Oder wenn er, der ehemalige Apothekeneinbrecher, 1990 bei einer Pharma-Messe als Wachmann hochwertige Psychopharmaka bewachen muss!
Dabei ist Franz aber stets voll in die Gemeinde integriert, ist begeistert vom Wort Gottes und von Jesus, dem er alles verdankt, das weiß er nur zu gut, wahrscheinlich besser als wir alle. Und Franz vergisst nicht seine alten
Freunde und Bekannten, ob innerhalb oder außerhalb der Drogenszene, ob obdachlos oder künstlerisch arriviert und wirtschaftlich gut situiert. Mit unglaublicher Treue geht er ihnen nach; besucht sie, telefoniert, schreibt Postkarten (ein ehemaliger Junkie sagte uns, er hätte von Franz in zwei Jahren an die 50 [!] Karten erhalten). Er will ihnen bedingungslos Freund sein, weil sein großer Freund – Jesus, der Freund der Sünder – auch der
Freund seiner Freunde werden soll.
Wir messen Größe oft nach Schädelumfang, aber Franz’Größe lag nicht in seinem Kopf – dafür hatten ihm 20 Jahre Drogensucht zu viele Gehirnzellen durchgebrannt – seine eigentliche Größe, glaube ich, lag in seinem großen und heißen Herzen: ein Herz brennend für Jesus, deswegen ein Herz voll von Jesus, und daher ein Herz, überfließend von der Liebe Jesu, für andere. Dieses brennende Herz war auch die Triebfeder, der Motor für seinen bis zur Selbstentäußerung gehenden Einsatz für das Reich Gottes, besonders für die Kaputten und Ausgestoßenen und Hoffnungslosen. »Jesus liebt die Schwachen, darum lieb ich Ihn« stand mit Filzstift an der Wand seines Badezimmers. Das große Herz voll von der Liebe Jesu gab diesem schwachen ausgemergelten Körper mit seinen kaputten Füßen, seiner Hepatitis C und Dutzenden anderen Krankheiten die unglaubliche Energie, bis zum letzten Atemzug durchzuhalten, ohne je zu jammern, hinzugehen an die Wege und Zäune unserer Gesellschaft mit praktischer Hilfe für den
Leib, mit freundschaftlichem Trost und Verständnis für die Seele, vor allem aber mit der Botschaft von der glühenden Retterliebe Jesu, die Franz verkörpert hat wie kaum ein anderer.
Ein wahrhaft Großer ist heimgegangen zu seinem Herrn und der Himmel salutiert. Möge dieser Nachruf ein Aufruf an uns sein: »Den Ausgang seines Wandels anschauend, ahmt seinen Glauben nach« – denn »acta probat exitus«.
Alois Wagner

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Ich stimme zu

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.